Neuburger Rundschau

„Arm, unerzogen, vater und mutterlos“

Waisenhaus­stiftung Seit 400 Jahren kümmert sich die Stiftung um Kinder in Not. Peter Steuart wollte die elternlose­n Kinder im 17. Jahrhunder­t nicht länger leiden sehen. Doch sein Mitleid hatte auch – heute unvorstell­bar – Grenzen

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Ingolstadt Was heute unerhört klingt, war damals, vor 400 Jahren, ein fortschrit­tlicher Gedanke. Peter Steuart, Theologiep­rofessor und Pfarrer von St. Moritz, konnte das Leid all der Kinder nicht mehr mit ansehen, die ihr Leben in bitterster Armut fristen mussten. Ihre Eltern waren gestorben. Fehlten Verwandte, kamen die Waisenkind­er ins Spital. Kaum konnten sie arbeiten, kamen die Kinder zu Handwerker­n, bei denen sie nicht selten als billige Arbeitskrä­fte missbrauch­t wurden.

Mit seinem Privatverm­ögen baute Steuart ein Waisenhaus in der heutigen Steuartstr­aße und legte damit 1617 den Grundstein für die Ingolstädt­er Waisenhaus­stiftung. Sie ist die älteste in ganz Oberbayern und feiert am morgigen Freitag, 21. Juli, das Jubiläum mit einem Festakt und dem Sommerfest am Nachmittag. Waisenkind­er leben im heutigen Peter-Steuart-Haus nicht mehr. Stattdesse­n junge Menschen, die aus einem problemati­schen sozialen Umfeld stammen.

In einem Brief, der im Stadtarchi­v aufbewahrt wird, legte der Stifter 1617 fest, wer im Waisenhaus aufgenomme­n werden durfte. „Arm mussten die Kinder sein, unerzogen, vater-und mutterlos und von Bürgersleu­ten in rechter Ehe gezeugt.“Aufgenomme­n wurden also nur katholisch­e und eheliche Kinder. Außerdem war auch festgelegt, dass die Waisenkind­er von „Georgi bis Michaeli“barfuß laufen mussten, um Schuhwerk zu sparen. Die Sonnund Feiertage waren ausgenomme­n. An diesen Tagen mussten die Kinder vormittags in die Messe in St. Moritz und nachmittag­s ins Münster. Danach gab’s – nicht unüblich für die Zeit – Bier für die Kleinen. Die Kinder mussten im Sommer um 5 Uhr aufstehen, im Winter um 6 Uhr. Die Buben wurden im Waisenhaus so lange behalten, bis sie zu „ehrlichen Künsten und Handwerken“gelangt, die Mädchen, bis sie zum Dienen qualifizie­rt seien. Die Erziehung und Pflege der Kinder besorgten ein Waisenvate­r und eine Waisenmutt­er.

1808, also zur Zeit der Säkularisa­tion, wurde das Waisenhaus per kurfürstli­chem Dekret geschlosse­n. Das Stiftungsv­ermögen blieb erhalten, die zehn Kinder wurden jedoch bei Privatleut­en untergebra­cht. Für viele Kinder muss es dort eine Qual gewesen sein, etliche waren körperlich, geistig und seelisch verwahrlos­t. Schließlic­h, 1841, kümmerten sich die Armen Schulschwe­stern um die Kinder. Zunächst allerdings nur um die Mädchen. Erst rund 30 Jahre später wurden auch die Buben vom Orden betreut – damals wurde das neue Haus an der Sommerstra­ße eingeweiht. Zudem wurde eine sogenannte Kleinkinde­rbewahrans­talt, eine Vorläuferi­n des heutigen Kindergart­ens, eröffnet.

100 Jahre lang lebten die Kinder in diesem Gebäude, 1973 wurde schließlic­h an der Herschelst­raße das heutige Peter-Steuart-Haus gebaut. In den vergangene­n Jahren hat sich das Haus zu einer Jugendhilf­eeinrichtu­ng mit bedarfsger­echten stationäre­n, teilstatio­nären und ambulanten Hilfsangeb­oten entwickelt. Waisenkind­er gibt es heute keine mehr im Peter-Steuart-Haus. Betreut werden Kinder, Jugendlich­e und junge Erwachsene, die in ihrer seelischen Entwicklun­g einen besonderen Förderbeda­rf haben. Aktuell gibt es 35 Plätze in vier Wohngruppe­n. Weiterhin werden zwischen 50 und 60 Familien ambulant betreut. Außerdem gibt es Platz für über 100 Kita-Kinder. (nr) O

Jubiläum Am Freitag, 21. Juli, findet im Peter Steuart Haus zunächst um 10.30 Uhr ein Festakt für geladene Gäste statt. Am Nachmittag feiern Kinder, Ju gendliche, Ehemalige und Freunde ein Sommerfest.

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