Wohlklang, Witz und unbändige Spielfreude
Stadttheater Die Neuburger Kammeroper mit „Arzt wider Willen“und „Alles verhext?“. Dafür gab es viele Bravos und Vorhänge. Könnte gut sein, dass Neuburg dieses Alleinstellungsmerkmal noch länger bleibt
Alle möglichen Kopfstände und Purzelbäume veranstalten Kulturund Eventmanager, um für ihre Stadt, für ihre Produktion etwas zu finden, was sie aus der Menge sommerlicher Festspiele oder Festspielchen herausheben könnte. In der Kulturstadt Neuburg müssten sie nicht lange suchen, um ein besonderes Alleinstellungsmerkmal zu finden: die Neuburger Kammeroper.
Horst Vladar, seit den Anfängen 1969 Künstlerischer Leiter, Regisseur, mitreißender Sänger als Bassbuffo, Übersetzer und Bearbeiter zahlloser Libretti, hat für die Saison 2017 zwei Perlen der venezianischen opera buffa neu entdeckt. Die Einakter „Arzt wider Willen“und „Alles verhext!?“des damals berühmten Komponisten Francesco Gardi wurden im Jahre 1800 mit großem Erfolg in Venedig uraufgeführt, Autor der turbulenten Textbücher ist Guiseppe Maria Foppa.
Was Orchester, Sänger und die Regie der Neuburger Kammeroper aus diesem „Material“zauberten, war spritziges, temporeiches, höchst unterhaltsames Operntheater. Minutenlanger Applaus, viele Bravos und Vorhänge waren der wohlverdiente Lohn. Der Akademische Orchesterverband München, seit 1973 das „Stammorchester“der Kammeroper, war vom ersten Takt an voll konzentriert. Die Musiker unter dem feurigen Dirigat von Alois Rottenaicher gingen mit Können und Schwung ans Werk, sie leuchteten alle Facetten der Irrungen und Wirrungen auf der Bühne aus. Brillant und blitzsauber die Hörner, bestens aufgelegt die übrigen Bläser und hoch engagiert die Streicher. Dynamisch wäre etwas weniger an machen Stellen vielleicht mehr gewesen, aber das ist bei der inneren Begeisterung des gesamten Klangkörpers eine lässliche Sünde.
Es war ein reines Vergnügen, den Sängerinnen und Sängern zuzuhören und zuzuschauen. Horst Vladar brillierte als sonorer Bassbuffo, in Mimik und Gestik geradezu prädestiniert für das Genre der komischen Oper und mit allen musikalischen und darstellerischen Wassern gewaschen. Aber eben nicht zu routiniert, sondern frisch und fröhlich. Und mit einem sehr guten Händchen bei der Requirierung immer neuer Sängerinnen und Sänger für die Neuburger Kammeroper. Laura Faig etwa, Sopranistin aus Ingolstadt und als Solistin schon auf großen Häusern gefeiert, begeisterte bei ihrem Debüt mit feinen Koloraturen und Kantilenen. in der Höhe ohne Schärfe und mit Glanz. Gleiche Qualitäten zeigte die Mezzosopranistin Denise Felsecker, zum zweiten Mal in Neuburg auf der Bühne. Sie reizte die Klangfarben ihrer Stimme von lockend bis drohend oder durchtrieben voll aus. Und beide Sängerinnen überzeugten mit koketter, verführerischer oder auch scheinbar naiver Ausstrahlung, wenn sie auf der Bühne den arglosen Vater, den geizigen Vormund oder einen aufgeblasenen Verehrer hinters Licht führen.
Ein Gewinn für die Kammeroper sind die beiden Neulinge Semjon Bulinsky (Tenor) und Wilfried Michl (Bariton). Der in Luzern aufgewachsene Bulinsky zeigt sich als Tenor mit weichem und strahlendem Ton, er muss auch in sehr hohen Lagen nicht forcieren. Als junger Liebhaber mit schauspielerischem Talent präsentierte er sich stark in beiden Einaktern.
Wilfried Michl singt seine Partien als Diener und als draufgängerischer, falscher „Capitano“souverän mit Witz und Charme. Gleichzeitig hat er als schlauer Diener „Avorio“und als intriganter „Capitano“schauspielerisch einiges zu bieten. In diesem Punkt jedoch ist Joachim Herrmann, als geschätzter Bariton bereits ein alter Hase bei der Kammeroper, der Star des Abends. Der lange Schlacks reißt als falscher Arzt und vor allem als aufgeblasener und grandios erfolgloser Verehrer das Publikum mit seiner Komik und Selbstironie hin. Beim ersten großen Auftritt Hoffmanns als „Don Tirante“in „Alles verhext!?“liefern Orchester und Sänger ein kleines komödiantisches Gesamtkunstwerk ab. Mit der Inszenierung von „Arzt wider Willen“und als kraftvoller Bariton in der Rolle des „Avorio“im Einakter „Alles verhext!?“bot Michael Hoffmann eine reife Leistung. Der gebürtige Regensburger ist stets voll präsent und setzt mimische Akzente wirkungsvoll ein. Eine besondere Note setzten die pantomimischen Auftritte der sogenannten “Zannis“, dargestellt von Neuburger Laiendarstellern aus verschiedenen Chören.
Nächstes Jahr wird es die 50. Produktion der Kammeroper geben. Horst Vladar, inzwischen auch schon 75, will weitermachen, solange er Freude daran hat und es gesundheitlich geht. An beidem mangelt es augenscheinlich nicht, das Neuburger Publikum hat also die Chance, sich noch lange an diesem Alleinstellungsmerkmal und an Horst Vladar zu erfreuen.
Sie reizte die Klangfarbe ihrer Stimme voll aus