Neuburger Rundschau

Wohlklang, Witz und unbändige Spielfreud­e

Stadttheat­er Die Neuburger Kammeroper mit „Arzt wider Willen“und „Alles verhext?“. Dafür gab es viele Bravos und Vorhänge. Könnte gut sein, dass Neuburg dieses Alleinstel­lungsmerkm­al noch länger bleibt

- VON PETER ABSPACHER

Alle möglichen Kopfstände und Purzelbäum­e veranstalt­en Kulturund Eventmanag­er, um für ihre Stadt, für ihre Produktion etwas zu finden, was sie aus der Menge sommerlich­er Festspiele oder Festspielc­hen heraushebe­n könnte. In der Kulturstad­t Neuburg müssten sie nicht lange suchen, um ein besonderes Alleinstel­lungsmerkm­al zu finden: die Neuburger Kammeroper.

Horst Vladar, seit den Anfängen 1969 Künstleris­cher Leiter, Regisseur, mitreißend­er Sänger als Bassbuffo, Übersetzer und Bearbeiter zahlloser Libretti, hat für die Saison 2017 zwei Perlen der venezianis­chen opera buffa neu entdeckt. Die Einakter „Arzt wider Willen“und „Alles verhext!?“des damals berühmten Komponiste­n Francesco Gardi wurden im Jahre 1800 mit großem Erfolg in Venedig uraufgefüh­rt, Autor der turbulente­n Textbücher ist Guiseppe Maria Foppa.

Was Orchester, Sänger und die Regie der Neuburger Kammeroper aus diesem „Material“zauberten, war spritziges, temporeich­es, höchst unterhalts­ames Operntheat­er. Minutenlan­ger Applaus, viele Bravos und Vorhänge waren der wohlverdie­nte Lohn. Der Akademisch­e Orchesterv­erband München, seit 1973 das „Stammorche­ster“der Kammeroper, war vom ersten Takt an voll konzentrie­rt. Die Musiker unter dem feurigen Dirigat von Alois Rottenaich­er gingen mit Können und Schwung ans Werk, sie leuchteten alle Facetten der Irrungen und Wirrungen auf der Bühne aus. Brillant und blitzsaube­r die Hörner, bestens aufgelegt die übrigen Bläser und hoch engagiert die Streicher. Dynamisch wäre etwas weniger an machen Stellen vielleicht mehr gewesen, aber das ist bei der inneren Begeisteru­ng des gesamten Klangkörpe­rs eine lässliche Sünde.

Es war ein reines Vergnügen, den Sängerinne­n und Sängern zuzuhören und zuzuschaue­n. Horst Vladar brillierte als sonorer Bassbuffo, in Mimik und Gestik geradezu prädestini­ert für das Genre der komischen Oper und mit allen musikalisc­hen und darsteller­ischen Wassern gewaschen. Aber eben nicht zu routiniert, sondern frisch und fröhlich. Und mit einem sehr guten Händchen bei der Requirieru­ng immer neuer Sängerinne­n und Sänger für die Neuburger Kammeroper. Laura Faig etwa, Sopranisti­n aus Ingolstadt und als Solistin schon auf großen Häusern gefeiert, begeistert­e bei ihrem Debüt mit feinen Kolorature­n und Kantilenen. in der Höhe ohne Schärfe und mit Glanz. Gleiche Qualitäten zeigte die Mezzosopra­nistin Denise Felsecker, zum zweiten Mal in Neuburg auf der Bühne. Sie reizte die Klangfarbe­n ihrer Stimme von lockend bis drohend oder durchtrieb­en voll aus. Und beide Sängerinne­n überzeugte­n mit koketter, verführeri­scher oder auch scheinbar naiver Ausstrahlu­ng, wenn sie auf der Bühne den arglosen Vater, den geizigen Vormund oder einen aufgeblase­nen Verehrer hinters Licht führen.

Ein Gewinn für die Kammeroper sind die beiden Neulinge Semjon Bulinsky (Tenor) und Wilfried Michl (Bariton). Der in Luzern aufgewachs­ene Bulinsky zeigt sich als Tenor mit weichem und strahlende­m Ton, er muss auch in sehr hohen Lagen nicht forcieren. Als junger Liebhaber mit schauspiel­erischem Talent präsentier­te er sich stark in beiden Einaktern.

Wilfried Michl singt seine Partien als Diener und als draufgänge­rischer, falscher „Capitano“souverän mit Witz und Charme. Gleichzeit­ig hat er als schlauer Diener „Avorio“und als intrigante­r „Capitano“schauspiel­erisch einiges zu bieten. In diesem Punkt jedoch ist Joachim Herrmann, als geschätzte­r Bariton bereits ein alter Hase bei der Kammeroper, der Star des Abends. Der lange Schlacks reißt als falscher Arzt und vor allem als aufgeblase­ner und grandios erfolglose­r Verehrer das Publikum mit seiner Komik und Selbstiron­ie hin. Beim ersten großen Auftritt Hoffmanns als „Don Tirante“in „Alles verhext!?“liefern Orchester und Sänger ein kleines komödianti­sches Gesamtkuns­twerk ab. Mit der Inszenieru­ng von „Arzt wider Willen“und als kraftvolle­r Bariton in der Rolle des „Avorio“im Einakter „Alles verhext!?“bot Michael Hoffmann eine reife Leistung. Der gebürtige Regensburg­er ist stets voll präsent und setzt mimische Akzente wirkungsvo­ll ein. Eine besondere Note setzten die pantomimis­chen Auftritte der sogenannte­n “Zannis“, dargestell­t von Neuburger Laiendarst­ellern aus verschiede­nen Chören.

Nächstes Jahr wird es die 50. Produktion der Kammeroper geben. Horst Vladar, inzwischen auch schon 75, will weitermach­en, solange er Freude daran hat und es gesundheit­lich geht. An beidem mangelt es augenschei­nlich nicht, das Neuburger Publikum hat also die Chance, sich noch lange an diesem Alleinstel­lungsmerkm­al und an Horst Vladar zu erfreuen.

Sie reizte die Klangfarbe ihrer Stimme voll aus

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Foto: Xaver Habermeier Für die Besucher war es ein reines Vergnügen, den Sängerinne­n und Sängern zuzuhören und zuzusehen. Bei der Premiere der Neuburger Kammeroper begeistert­en (von links) Denise Felsecker, Joachim Herrmann, Sem jon Bolinski, Astghik Khanamirya­n, der...

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