„Geiselnehmer“muss ins Gefängnis
Prozess Die Strafe fällt aber milde aus. Denn das Gericht wertete die Tat am Ende als Freiheitsberaubung
Es war ein schwieriger Fall mit teilweise „bizarren Zügen“, sagte Jochen Bösl, Vorsitzender Richter am Landgericht Ingolstadt. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft dem 47-jährigen Angeklagten aus dem Landkreis Ansbach Geiselnahme, Vergewaltigung und Körperverletzung vorgeworfen (wir berichteten). Gestern ging der Prozess allerdings mit einem Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu Ende. Mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten kommt der Mann vergleichsweise glimpflich davon.
Gemäß den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll der 47-Jährige am 3. Mai 2016 eine 55-jährige Allgäuerin, mit der er geschäftlich unterwegs war, geschlagen, gefesselt, geknebelt und über Prag in die Slowakei verschleppt haben. Dort soll er sich viermal an ihr vergangen haben. Drei Tage später, am Morgen des 6. Mai, war sie von der slowakischen Polizei in einem Hotel in Levcoa befreit worden.
Kennengelernt hatten die beiden sich an ihrer früheren Arbeitsstelle, einer Obdachlosenunterkunft. Er habe ihr erzählt, schilderte die Frau an einem früheren Verhandlungstag, er besitze eine Gartenbaufirma, habe einen Hof geerbt und erhalte monatliche Entschädigungszahlungen in fünfstelliger Höhe, da er in der ehemaligen DDR misshandelt worden sei. Wegen dieser schweren Zeit, brauche er eine Betreuerin, eine Art Assistentin. Nach etwas Zögern kündigte die Frau ihre alte Stelle und ließ sich von ihm anstellen. Er habe einen Stundenlohn von 75 Euro und einen Dienstwagen in Aussicht gestellt. Die Frau begleitete den Mann also künftig zu Terminen quer durch die Republik, so auch am 3. Mai. Allerdings war es nicht er, sondern sie, die die Hotelrechnungen und das Benzin bezahlte. Als die 55-Jährige an besagtem Tag endlich ihren Lohn forderte, drohte das Lügengeflecht des Angeklagten aufzufliegen. Der Mann musste reagieren.
Vor Gericht hatte der Angeklagte zuletzt ausgesagt, er habe die Allgäuerin nicht vergewaltigt. Vielmehr habe die verheiratete Frau eine Liebesbeziehung zu ihm gesucht, wollte aus ihrem alten Leben und vor ihrer Familie flüchten. Der Beischlaf sei einvernehmlich gewesen. Die Frau hingegen erzählte: „Wenn er gewollt hätte, hätte er es schon sehen können, dass ich nicht will.“Sie sei auf seine Forderungen eingegangen, weil er ihr eigenes und das Leben ihrer Familie bedroht habe. Das reiche allerdings rechtlich nicht für eine Vergewaltigung, erklärte Richter Bösl. Und auch für eine Verurteilung wegen Geiselnahme reichte es am Ende nicht. Die Kammer sei nicht überzeugt, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als er sich sein Opfer schnappte, bereits eine bestimmte Handlung – in diesem Fall die Vergewaltigung – herbeiführen wollte, fuhr der Richter fort. Die Entführung sei nicht von langer Hand geplant gewesen, ein solcher Vorsatz sei nicht nachzuweisen. Der Mann leidet unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung mit emotional-infantilen und narzisstischen Anteilen, das heißt unter anderem, er neigt zur Hochstapelei. All dies wertete das Gericht zu seinen Gunsten. Ebenso, dass der 47-Jährige nicht einschlägig vorbestraft ist. Zu seinen Lasten ging, dass er früher einmal erheblich straffällig geworden war und dass die 55-Jährige seit der Tat unter Ängsten, Schlafund Nervenstörungen leidet.
Die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre und zehn Monate, die Verteidigung einen Freispruch, die Nebenklagevertretung vier Jahre und sechs Monate. Das Verfahren gegen die Mitangeklagte – eine 64-Jährige, die der Beihilfe beschuldigt worden war – wurde gegen eine Auflage von 1000 Euro eingestellt, weil sie mit ihrer Aussage wesentlich zur Überführung des Täters beigetragen hatte. Der Angeklagte erklärte Rechtsmittelverzicht, die Nebenklagevertreterin gab keine Erklärung ab, eine Revision ist möglich.