Die Kollegin trampt zum ersten Mal im Leben
Auf dem Mond kann man nicht ausgesetzt werden. Es bringt einen da ja keiner hin. Ins Ries aber schon. Da gibt es eine sehr schöne Wiese, oben am Kraterrand, womöglich haben da sogar einst die Apollo-Astronauten für ihren Mondeinsatz trainiert. Auf der Wiese stehen Buchen, Lärchen, Kiefern und dazwischen immer wieder kleine Wacholderbüsche. Vielleicht wussten die Kollegen nicht, wie verräterisch diese Büsche sind, wie typisch für die Gegend, als sie nach einem Ort suchten, an dem sie einen aussetzen können, vielleicht haben sie es auch einfach gut gemeint. Aber es ist jedenfalls so: Als die Kollegin die Augen aufschlägt, die Heide mit den Büschen sieht, dazwischen steiniger Boden, ruft sie aus: „Wir sind ja im Ries.“Steht dann auch auf dem etwa handtellergroßen Wegweiser am ersten Baum. Die ersten Menschen, denen wir eine halbe Stunde später begegnen, sind übrigens Engländer: Ein grauhaariges Ehepaar aus Manchester, das nicht weiß, wie man den Kofferraum des Leihautos öffnet. Das Navi aber läuft einwandfrei… Fängt also schon mal gut an diese Geschichte.
Zehn Minuten vor elf, die Wiese „Was mache ich hier?“, hat der große Reisende Rimbaud sich mal in einem Brief gefragt, da trieb er sich gerade in Äthiopien herum. Rimbaud war einer, den hielt es nirgends. Wir dagegen würden gerne genau hierbleiben, auf der Wiese, im Schatten der großen Buche, zwischen den Wacholderbüschen. Einfach ein bisschen auf die Landschaft blicken, Brötchen essen, nachdenken. Über die erste Aufgabe zum Beispiel: Wie eigentlich so ohne Geld an das Kilo Kartoffeln kommen? Selber ausbuddeln? Und sind die dann schon reif? Vor uns liegt der Krater, verläuft fast pfeilgerade eine Straße auf eine größere Stadt zu. Im Sommerdunst zeichnet sich unscharf ein Turm ab. Was machen wir eigentlich noch hier? Die Kollegen werden ja nicht wiederkommen.
Gut, die Engländer sind nun wirklich ein Glück. Martin und Kathrin Barnes, von München auf dem Weg nach Nördlingen. Wenn man ins Auto einsteigt, kann man gar nicht anders, man muss ja quasi auf das riesige Navi in der mittleren Konsole schauen. Da steht alles. Wo wir sind, Punkt, wo sie hinwollen, Fahne. Herumirren geht anders. 11.45 Uhr, exakte Ortung erledigt. Die Barnes’ sind im Übrigen froh, dass sie uns aufgelesen haben. Weil die Kollegin ihnen gleich gezeigt hat, wie man den Kofferraum öffnen kann. Immer diese deutschen Autobauer mit ihren Tricks. Jetzt sind die Koffer hinten drin und wir dafür auf dem Rücksitz. Kurzes Geplauder. Eine Woche sind sie hier. Nicht zum ersten Mal. Später wird es noch weiter nach Rothenburg gehen. Das Navi plärrt: „Please follow the road for 1000 meters.“Please stop now, hier an der Kreuzung und natürlich „Thank you“und „Goodbye“. Jetzt wollen wir mal was machen!
Kurz nach zwölf, Hoppingen Hinter uns Großsoringen, vor uns Hoppingen. So steht es auf den Schildern. Links wie rechts blühen Disteln, Schafgarbe und Klee, ein Sommerteppich am Straßenrand. Ein Bussard kreist. Je höher er sich schraubt, umso mehr gleicht er einem Schmetterling. Verharmlost könnte man das nennen, wenn es das Wort gäbe. Die Kollegin sagt: „Der sucht Beute.“Und lacht ein bisschen dreckig. Hoppingen sieht im Übrigen nicht so aus, als könnte man Beute machen. Leere Straßen, Vorgärten, so sauber, als sei einer mit dem Staubsauger drübergefahren. Aber, wieder ein Glück, in der Spitzengasse, gleich hinterm ehemaligen Schulhaus, steht Uschi Leinfelder, plaudert mit einer Bekannten über den Zaun hinweg. Als wir ihr unsere Geschichte erzählen, zieht ein Lächeln breit übers Gesicht. „A guts Witzle …“
Uschi Leinfelder trägt übrigens ein gestreiftes Top, knielange Hosen. Und hinten am Rücken zwei große, fast durchsichtig scheinende Flügel. Wobei das mit den Flügeln jetzt natürlich nur so dazuerfunden ist, aber wäre das eine Märchengeschichte, hätte sie ganz sicher welche … Typ gute Fee nämlich! Sie erfüllt drei Wünsche sofort. Bier, Kartoffeln und eine Fahrt zum nächsten Rathaus für den Stempel.
Was man hier nicht alles über Uschi Leinfelder schreiben könnte. Das Wichtigste aber nur in Kürze: Seit 50 Jahren verheiratet, „mit demselben Mann“, so lange auch in Hoppingen. Haus, tipptopp! Wenn man fragt, ob man drinnen die Schuhe ausziehen soll, sagt sie „Ihr könnt machen, was ihr wollt.“Lacht. Bringt Wasser, würde auch Kuchen bringen, stellt die von der Redaktion verlangten zwei halbe Bier auf den Tisch, wiegt Kartoffeln ab – „Bauernhofkartoffeln, 1 Kilo und 37 Gramm, passt das so?“– und entwirft mit den Ausgesetzten eine Taktik. „Jetzt ruft mal bei der Gemeinde Harburg an, ob die noch offen haben.“Hält einem das Telefon hin, gewählt hat sie schon. In Harburg geht Frau Riedel an den Apparat. Wir sollen einfach vorbeikommen. 1. Stock, erste Türe links… Wenn einem jeden Tag eine Uschi Leinfelder begegnen würde, man würde es weit bringen im Leben. Jetzt aber reicht erst einmal der nächste Ort.
Kurz vor halb eins, Harburg Vor dem Rathaus lässt Uschi Leinfelder uns aus dem Auto aussteigen. Wartet natürlich. Die Sache mit dem Stempel ist schnell erledigt. Treppe hoch, Türe auf: Bitte, haha, danke, auf Wiedersehen. Deutsche Rathäuser können herrlich unkompliziert sein. Und deutsche Parküberwacher so fröhlich und entspannt, als würden sie Freieis und Handtuchs Nährstoffe für mehrere Wochen saugen könne. Kein schlechter Rat, wenn man zum Beispiel zum Mond will – oder einfach nur raus aus Harburg.
Ein Traktorfahrer hält. Aber ein Traktor hat keinen Rücksitz. Eine Frau hält. Die aber muss vorne gleich abbiegen. Ein Paketbote winkt entschuldigend. Dann gibt es noch ein paar, da wollen wir jetzt nicht drauf rumhacken, aber ja, die geben Gas, wenn sie zwei schon ein bisschen erschöpfte Frauen am Straßenrand stehen sehen. Nicht nett! Vielleicht tun sie’s ja aber auch aus Verlegenheit. Die Kollegin trampt zum ersten Mal in ihrem Leben. Straßenbahnverwöhntes Stadtkind eben! Steffen Rösner aber liebt das Land. Rösner, das ist der junge Mann, der bei Airbus arbeitet, auf dem Weg von Huisheim zur Spätschicht ist und der einen schließlich fortbringt in seinem klimagekühlten BMW.
Viertel vor zwei, Donauwörth Es gibt ja diese Tage, da läuft’s! Rösner muss ohnehin durch Donauwörth, setzt uns direkt vor dem Rathaus ab. Gott ist das schon wieder schön. Vielleicht haben deswegen Touristen Münzen in den Brunnen geworfen: Weil sie wieder kommen wollen. Piazza del municipo. Die Kollegin denkt aber praktisch: Da glitzern fünfzig Cent im Wasser, da zwanzig, dann noch ein paar ausländische Münzen. Wenn man mit der Hand nur hinkäme. Aber klar: Dann lägen sie ja auch schon nicht mehr da … Fortsetzung auf Seite V2
Hoppingen sieht nicht aus, als könnte man Beute machen