Die Frage der Woche Kein deutsches Auto mehr kaufen?
Jahrzehntelang gab es in diesem Land genug Leute, wahrscheinlich waren es 50 Millionen plus x, die wären lieber zu Fuß gegangen als kein deutsches Auto zu fahren. Ob das heute noch so ist, wo der Glanz der deutschen Autobauer zwischen getürkten Abgaswerten, missglückter Aufrichtigkeit und Kartellverdacht wegrostet? Fraglich, aber insgesamt doch eher: wahrscheinlich.
Gleichwohl: Die Nibelungentreue zu den angeblich besten Autos der Welt muss jetzt vorbei sein. Leicht gesagt. Was tun? Die Alternativen sind überschaubar, weil die saubere Schweiz ja keine Autos baut und der Vatikan vor lauter eigenen Sorgen nicht dazu kommt, ein Papamobil in Serie zu produzieren, das dem Volk den Glauben ans Gute im und am Auto zurückgeben könnte. Also Frankreich, das Land der schönsten Automobile? Die Peugeots im Nostalgiekopf ein Traum (204, 304, 404, 504!), die Citroëns (selbst im Vatikan weiß man, was für ein Traumwagen die DS war, genannt „die Göttin“) nicht minder – und Renault mit seinem R 4 ja sowieso. Aber heute ist das modellpallettig doch alles austauschbar, und wer nicht täglich den Wirtschaftsteil liest, weiß ja nicht, ob Citroën gerade zu Peugeot gehört und beide zu Opel oder alle drei zu Dacia in Rumänien, zu Ryanair oder umgekehrt ... Alles andere ist eh deutsch (auch wenn Seat draufsteht oder Skoda). Chinesen und Tata-Inder sind noch nicht so weit, Fiat hängt an Italien und Italien hängt durch – und „die Japaner“? Mögen ADAC-Gaustammtische diese Fragen wälzen. Am Ende lässt sich die Frage nur so beantworten: Den alten Wagen so lange weiterfahren, bis er zusammenfällt. Und wenn sich die dunklen Abgaswolken dann verzogen haben, schafft man sich gleich einen selbstfahrenden Apple 100 S mit 50 000 Terabytes unter der Haube an.
Es steht nicht gut um die Moral in der deutschen Autoindustrie. Da wird gelogen und betrogen und gekungelt, dass die Mafia dagegen aussieht wie eine Pfadfindergruppe. Und jetzt? Jetzt ermitteln deutsche Staatsanwälte und europäische Beamte. Irgendwann kommt dann ein Urteil und die Firmen müssen zahlen – oder eben nicht. Je nach dem. Soll man deswegen, in einem Akt ziviler Selbstjustiz, keine deutschen Autos mehr kaufen?
Empörung und Entrüstung sind menschlich und erst mal gut. Aber wenn der Blutdruck sinkt und das Hirn wieder etwas Sauerstoff bekommt, kann man ja mal noch über ein paar andere Fragen nachdenken, bevor man eine Entscheidung trifft. Zum Beispiel jene, warum man überhaupt ein Auto kauft: Weil man ein Verkehrsmittel braucht, das einen zuverlässig und günstig von A nach B bringt? Oder weil es für den richtigen Auftritt sorgen soll – lässig, sportlich, fortschrittlich, je nach Typ? Für die Ersten ist die Antwort klar: Durch die Aufdeckung der Skandale sind deutsche Autos ja nicht schlechter geworden, sondern im Zweifelsfall jetzt sogar besser. Bei aller Aufregung um manipulierte Dieselmotoren: Die wahre Diskussion dreht sich nicht um die Zukunft deutscher Diesel, sondern jener des Dieselmotors überhaupt. Es geht um Elektro oder Verbrenner, um Klimarettung, Verkehrskollaps und automatisiertes Fahren. Um Betrug kümmern sich Gerichte.
Wer seine Entscheidung vom Gefühl abhängig macht, hat es kurzfristig natürlich leichter. Ein spontaner Individualboykott für deutsche Autos kann helfen, sich moralisch integer zu fühlen. Ungefähr so, wie wenn man bei Facebook seine Empörung über den aktuellsten Aufreger postet und sich so sehr preisgünstig distanzieren kann. Tut nicht weh. Haut aber voll rein.