Typisch Yasmina Reza
Literatur Die Französin lässt in ihrem Roman „Babylon“mal wieder die bürgerlichen Fassaden krachen. Das gelingt ihr gekonnt, routiniert und mit viel Wortwitz. Und doch schießt sie ein bisschen übers Ziel hinaus
Es gibt Schriftsteller und Schriftstellerinnen, deren erzählerisches Strickmuster erkennt man schon am Klappentext. „Als Elisabeth eine Frühlingsparty gibt, stimmt das Datum, 21. März, aber draußen schneit es.“So wird der Leser vom HanserVerlag auf den neuen Roman von Yasmina Reza vorbereitet, und da weiß er schon: Frühling, Schnee. Das kann nur eine Katastrophe geben. Weil es bei Reza doch immer so ist: Da kündigt sich etwas als harmlose Sache an. Da organisiert eine Frau mittleren Alters in einem Pariser Vorort ein kleines Fest, sorgt sich um Gläser und Stühle, solche Sachen, dann schneit es, die Gäste treffen ein, und wer weiß, was die leichten Flocken in Bewegung bringen, plötzlich stürzen die bürgerlichen Fassaden krachend zusammen. „Babylon“heißt der Roman, in dem am Ende die Leiche von Lydie, der New-Age-Therapeutin mit den wilden Locken, im Koffer aus dem Haus geschleift wird.
Typisch Yasmina Reza also. In einem ihrer berühmtesten Werke, dem Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“, lässt die Französin zwei Ehepaare sich behacken, weil der eine Sohn dem anderen mit einem Stock zwei Schneidezähne ausgeschlagen hat. Die Eltern wollen anfangs vernünftig den Versicherungsfall klären, sind ja schließlich nur Kinder, etwas später aber hauen sie sich mit Furor gegenseitig die Rübe ein. Nach ähnlicher Strickart, als Roman in etwas kompliziertem Muster gearbeitet, funktioniert nun auch „Babylon“, nur dass sich alle Beteiligten so wie Yasmina Reza selbst, 58, schon in etwas vorgerücktem Alter befinden. Elisabeth, die Ich-Erzählerin, ist Patent-Ingenieurin – „sagt keinem Menschen etwas, und ich versuche nicht mehr, es so zu erklären, dass es attraktiv klingt“–, ihr Mann Pierre ein Lehrer. Sie ist mit ihm nicht unglücklich. Die Sache mit dem Frühlingsfest kommt ihr so in den Sinn, etwas Ähnliches haben sie noch nie gemacht. Also fehlen Gläser, Stühle. Die könnte man bei den Nachbarn in der Wohnung darüber leihen, dann müsste man sie aber auch einladen. Warum auch nicht, man mag sich, trifft sich hin und wieder: JeanLino Manoscrivi, sanftmütiger Elektrogeräteverkäufer, der sich die Haarsträhnen über den halbkahlen Schädel klebt, und seine Frau Lydie, etwas schräg, will die Menschheit mit Pendeln heilen und macht sich für den Tierschutz stark. Während des Festes, das sich gut anlässt, fragt Lydie dann aber nach, ob in dem von anderen Gästen mitgebrachten Hühnchen-Cake auch ein glückliches Tier verarbeitet wurde. Und da weht plötzlich ein kalter Hauch mitten hinein ins Frühlingsfest.
Dass Jean-Lino seine Frau später umbringen wird, das erzählt der Verlag übrigens schon im Klappentext. Es nimmt dem Roman nichts, schließlich hat Yasmina Reza keinen verfasst, sondern ist in ihrem Genre geblieben: „Babylon“ist eine routiniert und gekonnt geschriebene Gesellschaftssatire, in der nahezu keine Seite ohne Pointe auskommt. Einmal erinnert sich die Erzählerin an das Lieblingsspiel ihres kleinen Sohnes am Meer. Der Junge stellte sich ins Wasser, die Mutter musste einen Namen nennen, zum Beispiel den eines Lehrers, dann schlug das Kind aufs Wasser ein. „So brachten wir sie einen nach dem anderen um.“Das genau ist Yasmina Rezas Trick: Erst zaubert sie eine wunderbar glatte Wasseroberfläche, dann spritzt es von allen Seiten. Aber wie mit allen Tricks, so verhält es sich auch mit diesem: Er nutzt sich ab. Die Kunst, die sie so perfekt beherrscht, verliert an Wirkung. Und wird zur Masche.
Das bringt die Komödie gelegentlich in die Nähe der Klamotte. Sie flutet den Roman förmlich mit einer Wortwitzwoge, sodass die andere große Stärke von Rezas Schreiben unterzugehen droht. Was die Französin nämlich mit ebensolcher Perfektion beherrscht, ist das kaltschnäuzige Sezieren ihrer Figuren, der mitleidlose Blick ins Innere.
Elisabeth ist trotz ihrer funktionierenden Ehe, dem beruflichen ErKrimi folg, dem gelungenen Sohn – „Content Champion in einer Werbeagentur“– eine in der Welt verlorene Heldin. Eine, die sich gerne die Fotografien im berühmten Bildband „The Americans“von Frank Arnold ansieht, weil da ebenso einsame Seelen abgebildet sind, wie sie selbst eine ist. Um gegen das Alter anzugehen, bestellt sie sich gerne Kosmetikprodukte, die von Hollywoodstars angepriesen werden, ahnt über sich selbst: „Irgendwo muss ich einen kleinen Knall haben. Im Radio sprachen die Leute kürzlich über die seelische Erschöpfung der Franzosen. So schwammig der Begriff auch ist, dass die übrigen Franzosen in derselben Lage sind wie ich, hörte ich gerne.“
Dass ihre Mutter vor wenigen Tagen erst gestorben ist, erfährt der Leser eher en passant. Für Elisabeth ist auch das kein Drama, der Vorteil einer lieblosen Erziehung, aber wie Reza das formuliert, zeigt eben wieder ihren feinen Umgang mit den Worten. Es habe sich für ihr Leben wenig geändert, „abgesehen davon, dass sich eben irgendwo auf der Welt meine Mutter befand“. Womit klar wird: Natürlich geht es um Liebe, um unerwiderte, um unerwünschte, um sehnlich erhoffte.
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Und um die Langeweile, die durch den bürgerlichen Kosmos wabert. „Ich nahm Pierres Hand, ich war etwas ängstlich und verspürte zugleich eine schreckliche Lust, in das dichte Dunkel vorzudringen.“Hinein ins Reich des Mörders Jean-Lino, dem sie schließlich helfen wird, seine tote Frau in einen Koffer zu packen. Und weil der Koffer nicht zugehen will, muss man sich draufsetzen: „Das ist so grässlich.“Slapstick vom Feinsten.
Typisch Yasmina Reza also, was auch bedeutet: Lesenswert, witzig, spritzig, trotz und auch wegen der Masche. So tickt nun mal die brave Bürgerin. Kommt einer vorbei mit einer schlimmen Nachricht, liegen die Nerven blank, dann räumt man am besten erst einmal ein bisschen auf, zückt den Handstaubsauger. Fassadenerhalt eben. Keine beschreibt dieses unsinnige Bemühen besser.
A. d. Französischen von Frank Heribert und Hinrich Schmidt Henkel. Hanser, 219 S., 22 ¤