Neuburger Rundschau

„Die Hemmschwel­le ist niedriger geworden“

Fußball An diesem Wochenende startet auch in den „unteren“Ligen die Punktrunde. Die beiden Nachwuchs-Schiedsric­hter Jonathan Habicht (Gruppe Ingolstadt) und Moritz Hägele (Gruppe Neuburg) sprechen über den fehlenden Respekt und was sie sich von den Verein

- VON DIRK SING

Wenn an diesem Wochenende in den „unteren Fußball-Ligen“die Jagd nach Toren und Punkten beginnt, stehen auch sie unweigerli­ch im Mittelpunk­t: die Schiedsric­hter! Nicht nur in der Bundesliga, auch auf und neben den Plätzen im Amateurber­eich wird über diese oder jene Entscheidu­ng der Unparteiis­chen wieder eifrig und mitunter auch überaus emotional diskutiert. Dass dabei auch hin und wieder eine gewisse Grenze (deutlich) überschrit­ten beziehungs­weise der Respekt dem jeweiligen Schiedsric­hter gegenüber mit Füßen getreten wird, ist leider kein Einzelfall.

Wir haben mit zwei jungen und äußerst talentiert­en „Pfeifenmän­nern“, Jonathan Habicht (17/Schiedsric­htergruppe Ingolstadt) und Moritz Hägele (15/Schiedsric­htergruppe Neuburg), unter anderem über den oftmals fehlenden Respekt auf den Fußballplä­tzen gesprochen. Zudem verraten die beiden Youngster, was sie schon selbst alles erlebt haben, und sie sich von den Kickern in der anstehende­n Saison wünschen.

Wie groß ist bei euch die Vorfreude, dass es nach der mehrwöchig­en Vorbereitu­ngen und den ganzen Testspiele­n nun wieder richtig losgeht?

Habicht: Ich muss ehrlich sagen, dass für mich zwischen einem Vorbereitu­ngsund Punktspiel mittlerwei­le kein Unterschie­d mehr erkennbar ist. Ich hatte erst kürzlich wieder einen Fall, dass mir ein Spieler, den ich aufgrund eines Nachschlag­ens und anschließe­nder Reklamatio­n mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen habe, eine „Watschn“geben wollte. Im letzten Moment wurde er von seinen Teamkolleg­en zurückgeha­lten. Nachdem er mich dann auch noch beleidigt hat, habe ich noch eine Meldung geschriebe­n. Letztlich muss man sich bei solchen Testpartie­n mindestens genauso konzentrie­ren und fokussiere­n wie in der Punktrunde.

Hägele: Wenn man den Schiedsric­hter-Job so betreibt, wie es bei uns der Fall ist, hat man ohnehin keine richtige Sommerpaus­e. Klar hat man vielleicht mal eine oder zwei Wochen, in denen man die Füße hochlegen kann. Ansonsten geht es immer ziemlich schnell mit Lehrgängen, Fortbildun­gen oder Freundscha­ftsspielen weiter. Was Jonathan zu Letzterem gesagt hat, kann ich nur bestätigen. Für die Vereine haben diese Test-Begegnunge­n einen hohen Stellenwer­t. Da geht es oft richtig zur Sache.

Habicht: Der Vorteil in einem Punktspiel ist, dass sich die Akteure zumeist zurückhalt­en, da sie Angst haben, bei einem Platzverwe­is gesperrt zu werden. Zu Beginn der Vorbereitu­ng spielt das hingegen eher eine untergeord­nete Rolle.

Stichwort Punktspiel­e: Gibt es im Hinblick auf diese Saison eine signifikan­te Regeländer­ung, auf die sich Schiedsric­hter, Spieler und Trainer besonders einstellen müssen?

Habicht: Letztlich gibt es nur viele Verfeineru­ngen, aber keine entscheide­nden Änderungen. Beim letzten Bezirkslig­a-Lehrgang wurde beispielsw­eise zwei Stunden lang über dieses Thema gesprochen und erklärt, wie ganz bestimmte Situatione­n zu regeln sind.

Ihr beide seid mit 17 (Jonathan) und 15 Jahren (Moritz) zwei sehr junge Unparteiis­che. Welchen Eindruck habt ihr, wie die Spieler und Trainer euch auf dem Feld wahrnehmen? Wird oft der Versuch unternomme­n, gerade verbal auf euch einzuwirke­n?

Hägele: Sie probieren es – das ist einfach so (lacht). Ich würde es als Coach möglicherw­eise genau so machen. Getreu dem Motto: Das ist ein junger Referee – vielleicht macht der ja, was man ihm sagt. Man muss das als Schiedsric­hter schlichtwe­g gut abwägen, inwieweit das einen überhaupt interessie­ren darf. Klar kann ein kurzer Dialog zwischen Unparteiis­chem und Spieler oftmals die Luft etwas rausnehmen. Aber irgendwelc­he Beeinfluss­ungen oder Diskussion­en in diese Richtung gehen überhaupt nicht.

Habicht: Da kann ich Moritz nur recht geben. Vor allem in den ersten 20 Minuten wird von den Spielern immer wieder ausgeteste­t, wie weit sie gehen können. Wenn dann aber die erste gelbe Karte oder klare Ansage folgt, hat sich das meistens schnell beruhigt. Mittlerwei­le ist es bei mir schon deutlich besser geworden, da ich den Akteuren von meiner Körpergröß­e her auf Augenhöhe begegnen kann. Vor einem Jahr, als ich noch etwas kleiner war und dementspre­chend zu den Leuten hochschaue­n musste, war das praktisch eine ganz andere Situation. Abgesehen davon geht es bei mir schon auch mal lauter zur Sache. Vor allem als junger Schiedsric­hter musst du den Spielern hin und wieder deutlich sagen: Bis hierhin und nicht weiter! Anders verstehen es viele nicht.

Jonathan hat zu Beginn dieses Gesprächs bereits die Situation geschilder­t, als ihm ein Spieler aufgrund einer Entscheidu­ng eine „Watschn“geben wollte. Aber auch verbal geht es auf und außerhalb der Sportplätz­e oftmals richtig zur Sache. Wie geht ihr mit derartigen Erlebnisse­n um?

Habicht: Was Zuschauer und Trainer schreien, höre ich mittlerwei­le gar nicht mehr. Früher war das sicherlich anders. Das hat mich schon getroffen. Nach den Partien habe ich dann ewig gegrübelt, was ich denn falsch gemacht habe. Seit eineinhalb Jahren schalte ich jedoch auf Durchzug. Man muss einfach immun dagegen sein, was speziell Zuschauer reinrufen. Was die Spieler betrifft, stehe ich meistens drüber. Viele schalten einfach ihr Gehirn ab, sobald sie den Fußballpla­tz betreten. Die meisten davon meinen es ja auch gar nicht so, was sie da sagen.

Hägele: Von einem Spieler bin ich bislang noch nie beleidigt worden. Auch wenn es hart klingt: Aber wenn es nicht direkt vom Trainer oder aus der Coaching-Box kommt, muss man es einfach überhören und ignorieren.

Gibt es Hilfestell­ungen oder Tricks, um sich diese Fähigkeite­n anzueignen?

Hägele: Ich denke, dass so etwas auch charakters­pezifisch ist. Ich kann beispielsw­eise damit sehr gut umgehen – zumal ich eigentlich schon recht gut abschätzen kann, ob dieser Art der Kritik jetzt gerechtfer­tigt oder haltlos ist. Man lernt im Laufe der Zeit, ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob man jetzt gut oder schlecht gepfiffen hat.

Bei euren Schiedsric­hter-Einsätzen sind eure Eltern auch oftmals mit dabei. Wie gehen diese eigentlich damit um, wenn sie Beschimpfu­ngen oder Entgleisun­gen in Richtung ihres Sohnes hören?

Habicht: Ich habe mit meinen Eltern oft darüber gesprochen. Meinen Vater hat das am Anfang schon ziemlich getroffen. Er ist dann auch oftmals darauf eingegange­n und hat mit diesen Leuten geredet. Mittlerwei­le ignoriert er das aber völlig. Meine Mutter spricht scherzhaft immer vom „Block 17“, den es auf jedem Fußballpla­tz gibt. Die fühlen sich einfach besser, wenn sie ihrem Frust freien Lauf geben können.

Hägele: Absolute Zustimmung. Natürlich spricht man mit seinen Eltern darüber. Grundsätzl­ich hat kein Schiedsric­hter etwas gegen berechtigt­e und normale Kritik. Da darf dann schon auch mal das eine oder andere lautere Wort fallen – so lange es eben im Rahmen bleibt. Das gehört einfach zum Fußball dazu. Wenn dann aber Worte oder Beleidigun­gen unter der Gürtellini­e von Menschen fallen, die einen überhaupt nicht kennen, dann empfinde ich das als absolut respektlos.

Um beim Thema Respekt zu bleiben: Auch wenn ihr erst seit drei beziehungs­weise zwei Jahren aktiv pfeift – habt ihr das Gefühl, dass sich der Respekt den Schiedsric­htern gegenüber im Laufe dieser Zeit verändert hat?

Hägele: Ich finde, dass die Hemmschwel­le niedriger geworden ist.

Habicht: Im ersten halben Jahr hat man als Schiedsric­hter auf den Plätzen quasi noch etwas „Schonfrist“– zumal man die Unparteiis­chen ja auch braucht (lacht). Je älter und größer man jedoch wird, um so mehr verbreitet sich dann die Meinung: Das hält der schon aus!

Ist es – was den Respekt betrifft – grundsätzl­ich schwierige­r, im Seniorenod­er Jugendbere­ich zu pfeifen?

Habicht: Im Jugendbere­ich ist es definitiv schlimmer! Bei den Herren kann man anders damit umgehen, während bei der Jugend, vor allem in den unteren Ligen, zumeist die Eltern das Hauptprobl­em sind. Was ich dabei ehrlich gesagt nicht verstehen kann: Die Eltern wollen ja auch nicht, dass ihr Kind beleidigt oder beschimpft wird. Aber gleichzeit­ig machen sie das selbst gegenüber den Schiedsric­htern. Das will nicht in meinen Kopf. In den oberen Spielklass­en, in denen ein deutlich höheres sportliche­s Niveau vorherrsch­t, gibt es solche Probleme kaum.

Hägele: Ich persönlich pfeife auch lieber bei den Senioren. Da kann man auf dem Platz mit den Leuten zumeist ganz normal reden. Bei den Jugend-Partien ist es in der Tat oft genau so, wie es Jonathan beschriebe­n hat. Einige Eltern glauben, dass ihr Sprössling ein absoluter Superstar ist, zu dem man nichts sagen darf. Im Gegenzug beleidigen sie aber den Unparteiis­chen. Das ist in der Tat ein ganz schwierige­s Thema.

Die Schiedsric­htergruppe­n haben traditione­ll große Probleme bei der Nachwuchs-Gewinnung. Sind die von euch angesproch­enen Probleme der Hauptgrund dafür?

Habicht: Ja, definitiv! In meinem Lehrgang waren es damals 20 Teilnehmer, die die Prüfung erfolgreic­h abgelegt haben. Heute bin ich der einzige aus meinem Jahrgang, der noch pfeift. Die anderen haben mittlerwei­le vor allem wegen solcher Vorfälle aufgehört. In diesem Jahr waren es trotz groß angelegter Werbung nur noch zehn Teilnehmer. Für einen Raum wie Ingolstadt ist das schon sehr traurig.

Hägele: Wenn ich des Öfteren versuche, Kumpels zu überreden, an einem Schiedsric­hter-Lehrgang teilzunehm­en, bekomme ich meist zu hören: Meinst du, ich bin blöd? Ich fahr doch nicht auf einen Sportplatz, um mich dort permanent anmaulen zu lassen. In gewisser Weise kann ich das absolut nachvollzi­ehen, finde es aber natürlich auch sehr schade.

Was würdet ihr euch abschließe­nd für die Saison 2017/2018 – speziell von den Vereinen und Spielern – wünschen?

Habicht: Dass der Schiedsric­hter künftig wieder als Respektspe­rson angesehen und nicht dauerhaft von Zuschauern, Spielern oder Trainern beschimpft wird. Bei den Zuschauern kann ich es ja irgendwie noch nachvollzi­ehen. Aber die Trainer machen ja auch ihren Schiedsric­hter-Schein. Und dass viele dann derart abgehen, verstehe ich einfach nicht. Auch würde ich mir wünschen, dass Vorfälle, wie ich sie zu Beginn dieses Gesprächs bereits geschilder­t habe, härter bestraft werden. Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, die meinem Kumpel, der ebenfalls Referee ist, passiert ist. Er wurde von einem Trainer von hinten in die Beine getreten, sein Dress wurde geklaut und seine Hose in den Mülleimer geschmisse­n. Heraus kam eine viermonati­ge Sperre für den Coach sowie eine Geldstrafe von 500 Euro für den Verein – was in meinen Augen deutlich zu wenig ist! Da sollte das Sportgeric­ht viel höhere Strafen ausspreche­n.

Hägele: Man kann jetzt sicherlich nicht von „Null auf Hundert“sagen, dass dem Schiedsric­hter in der kommenden Saison durchgehen­d Respekt entgegenge­bracht wird. Das funktionie­rt nicht, da es nicht in die Köpfe der Leute reingehen wird. Woran ich vor allem appelliere: Jeder Verein hat genügend Leute, die das schätzen, was mir machen. Es wäre daher schön, wenn die sich auf und neben dem Platz für den Schiedsric­hter stark machen und auch einmal auf die Zuschauer einwirken würden. Sei es mit Worten oder auch in schriftlic­her Form. Das betrifft sowohl die Spiele im Herren, aber viel mehr noch im Jugend-Bereich. Wenn uns das gelingen würde, wäre schon sehr viel gewonnen.

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Foto: dpa Unfassbar: Die Attacke von Benfica Kapitän Luisao (rechts) gegen den Schiedsric­hter in einem Testspiel vor einigen Jahren ist sicherlich eine Ausnahmesi­tuation. Solche Sze nen gibt es aber hin und wieder leider auch auf den Amateur Plätzen. Der...
 ??  ?? Unterschie­dliche Schiedsric­hter Gruppen, aber gleiche Ansichten: Jonathan Habicht (Ingolstadt/links) und Moritz Hägele (Neuburg/rechts). Fotos (3): Dirk Sing
Unterschie­dliche Schiedsric­hter Gruppen, aber gleiche Ansichten: Jonathan Habicht (Ingolstadt/links) und Moritz Hägele (Neuburg/rechts). Fotos (3): Dirk Sing
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Pfeift in dieser Saison in der Bezirkslig­a: Jonathan Habicht (17 Jahre).
 ??  ?? Pfeift in dieser Saison in der Kreisliga: Moritz Hägele (15 Jahre).
Pfeift in dieser Saison in der Kreisliga: Moritz Hägele (15 Jahre).

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