Neuburger Rundschau

Ein Angriff auf das Herz Barcelonas

Es sind Bilder, die die spanische Stadt nicht vergessen wird: Ein Lieferwage­n rast über die Flaniermei­le, Touristen rennen um ihr Leben. So wie vier Mädchen aus Franken. Oder ein Pfrontener, der dem Anschlag knapp entkommen ist. Und was machen die Katalan

- VON MARKUS RÖCK, STEPHANIE SCHUSTER, SONJA KRELL, RALPH SCHULZE UND BASTIAN HÖRMANN

Barcelona/Tarragona Einen ganz kurzen Moment lang denkt Ingo Reinsberge­r, dass irgendwo auf der Straße ein Star aufgetauch­t sein muss. Weil die Menschen hier, auf den Ramblas in Barcelona, zu schreien beginnen, weil viele losrennen. Einen Moment später ist dem 51-Jährigen klar, dass etwas Schrecklic­hes passiert sein muss. Menschen strömen ins Hardrock Café, wenige Meter von der Prachtmeil­e entfernt an der Plaça de Catalunya, suchen Deckung, verkrieche­n sich mit weinenden Kindern unter den Tischen. Durch das Fenster sieht Reinsberge­r Passanten auf dem Boden liegen, beobachtet, wie Polizei und Krankenwag­en auf die Prachtmeil­e einbiegen – dort, wo Minuten zuvor ein weißer Lieferwage­n in die Menge gerast war.

Dabei sollte dieser Donnerstag ein besonderer Tag für Reinsberge­r, seine Frau und seine Tochter werden, die derzeit an einem Campingpla­tz an der Costa Brava Urlaub machen. Sie brachen zu einem Tagesausfl­ug nach Barcelona auf, gemeinsam mit einer Freundin und deren Tochter. „Ich hatte schon auf der Hinfahrt ein komisches Gefühl“, sagt der Mann aus Pfronten im Ostallgäu.

Am Tag danach wird Reinsberge­r klar, wie leicht der Terroransc­hlag auch seine Familie hätte treffen können. Zehn Minuten bevor der Lieferwage­n im Zickzackku­rs Menschen umfährt, war seine Frau noch dort unterwegs. Die Reinsberge­rs hatten sich aufgeteilt. Jeder soll den Stadtbumme­l dort genießen, wo es ihn am meisten hinzieht.

Die Ramblas sind eine der Hauptattra­ktionen in Barcelona. Ein breiter Boulevard, von Bäumen beschattet, an dem sich, bis hinunter zum alten Hafen der Stadt, historisch­e Häuser, alte Markthalle­n, urige Cafés, Hotels und Restaurant­s reihen. Es ist die Promenade, auf die es jeden Tag tausende Touristen zieht, auf der die Barça-Fans feiern, wenn ihr Fußballklu­b den ewigen Kon- kurrenten Real Madrid in die Knie zwingt.

Gegen 16.50 Uhr am Donnerstag registrier­en die Überwachun­gskameras einen Fiat-Transporte­r an der Plaça de Catalunya, der auf die Allee einbiegt. Doch der Mann am Steuer nimmt nicht die dafür vorgesehen­en Fahrstreif­en. Er rast auf den Fußgängerb­ereich in der Mitte der Allee zu, fährt Schlangenl­inien, gibt noch mehr Gas, überrollt, wie die Polizei später feststelle­n wird, „mehr als einhundert Menschen“. Und die Behörden werden sagen: „Sein Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu überfahren.“

Nizza, Berlin, London und jetzt Barcelona: Die Anschläge, die stets die Terrormili­z IS für sich reklamiert, ähneln sich. Ziel sind Passanten, Touristen, Menschen, die ausgehen, feiern, das Leben genießen wollen. In Barcelona traf es vor allem Touristen. Am Tag nach dem Terrorakt sind viele in der 1,6-Millionen-Stadt noch immer geschockt.

Auch die vier Mädchen, die mit ihrer Jugendgrup­pe aus dem Kreis Main-Spessart vor Ort sind. Am Donnerstag bummeln die Mädchen über die Ramblas, als sie hinter sich ein Geräusch hören. Es ist der weiße Transporte­r. Die Mädchen drehen sich um, sehen, dass der Wagen heranrast. Sie springen zur Seite, bringen sich in einem Hotel in Sicherheit. Andere werden vom Transpor- ter erfasst, durch die Luft geschleude­rt. Ana und Cristina, zwei spanische Urlauberin­nen, haben Glück. Sie schaffen es, rechtzeiti­g zur Seite zu rennen: „Er hat alles mit seinem Wagen umgemäht – Menschen und Verkaufsst­ände“, erzählen sie.

Nach gut einem halben Kilometer kracht der Transporte­r in einen Kiosk. Der Fahrer, der im Polizeifun­k als ein „Mann mit weiß-blauem Streifenhe­md“beschriebe­n wird, verschwind­et in den Gassen Barcelonas. Zurück bleiben auf dem Boden liegende, leblose Körper – und eine Spur des Todes.

Mindestens 13 Menschen sind tot, 130 zum Teil schwer verletzt. Unter den Verletzten sind auch 13 Deutsche. Ob bei dem Anschlag auch Deutsche gestorben sind, war am Freitagabe­nd noch unklar. Noch sind nicht alle Todesopfer identifizi­ert.

Bruno Gulotta hat seinen fünfjährig­en Sohn Alessandro an der Hand gehalten, als er von dem Lieferwage­n erfasst wurde. Seine Frau Martina trägt die einjährige Tochter auf dem Arm, schafft es noch, den Buben wegzuziehe­n.

Ingo Reinsberge­r und seine Familie ahnen zu dieser Zeit noch nicht, dass das Hardrock Café für die nächsten Stunden zu ihrem Bunker werden soll. Als die Terrormeld­ung die Runde macht, verrammeln die Mitarbeite­r die Türen, lassen die Eisengitte­r hinunter. Drinnen trösten sich Besucher und die, die von den Ramblas geflüchtet sind, gegenseiti­g. Die Mitarbeite­r im Café versorgen die Gestrandet­en. „Die Hilfsberei­tschaft war phänomenal“, sagt Reinsberge­r am Tag danach.

Andere genießen zu dieser Zeit noch ihren Urlaub. So wie Stefan Häck aus Ulm. Seit Mittwoch macht er mit seiner Familie in Tarragona Urlaub – 100 Kilometer südlich von Barcelona und nur 20 Kilometer entfernt von Cambrils, wo am frühen Freitagmor­gen ein schwarzer Audi in eine Menschengr­uppe rast. Eine Frau stirbt, fünf Passanten und ein Polizist werden verletzt, ehe die Beamten die fünf Angreifer töten.

Häck hat erst durch einen Anruf der Familie vom Terroransc­hlag erfahren, sich dann im Internet ein Bild von der Lage gemacht. „Sonst würde man hier gar nichts mitkriegen“, sagt er. Und, dass von Panik keine Spur sein könne. „Die Touristen sind gestern wie heute ganz normal auf den Straßen unterwegs. Nur das Polizeiauf­gebot wurde wesentlich erhöht.“Der 40-Jährige berichtet von Zufahrtsbe­schränkung­en in die Innenstadt, davon, dass Polizisten mit Maschinenp­istolen im Einkaufsze­ntrum patrouilli­eren und gepanzerte Fahrzeuge auffahren.

In Barcelona legen die Menschen am Freitag Blumen nieder, zünden Kerzen an – und sie strömen auf die Ramblas, um den Attentäter­n zu zeigen, dass sie sich nicht unterkrieg­en lassen. Tausende versammeln sich um 12 Uhr auf dem Plaça de Catalunya – dort, wo die Todesfahrt ihren Ausgang genommen hat. Stille kehrt ein. Eine Minute lang schweigt das sonst pulsierend­e Herz der katalanisc­hen Metropole. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffene­n, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlan­g applaudier­en die Bürger frenetisch im Gedenken an die Opfer. Ein Chor auf Katalanisc­h brandet auf: „No temim por“– Wir haben keine Angst!

Aina Ramis hat mitgeklats­cht, mitgesunge­n, mit Gänsehaut und Tränen in den Augen. „Barcelona wird sich nicht ändern, die Stadt trauert, die Polizeiprä­senz wird sicher in Zukunft höher sein, aber Barcelona bleibt so, wie es ist“, sagt die 24-jährige Journalist­in. Und doch beschleich­t die gebürtige Mallorquin­erin ein beklemmend­es Gefühl, wenn sie an ihre Heimatinse­l denkt. „Auch dort könnte es passieren.“

Es ist das, was in Spanien eigentlich keiner ausspreche­n will: dass der Terror irgendwann auch die Touristenh­ochburg Mallorca treffen könnte. Denn Spanien und speziell die Insel sind für Millionen Reisende bislang eines der verlockend­sten und vor allem sichersten Urlaubszie­le – auch, weil man keine politische­n Unruhen oder Terroransc­hläge wie in der Türkei, in Ägypten und Tunesien fürchten muss. Seit dem vergangene­n Donnerstag ist die Situation eine andere.

Daniel Vásquez wird diesen Tag nicht vergessen. Nicht nur, weil es sein 35. Geburtstag war. Nicht nur, weil sein Telefon ab dem späten Nachmittag nicht mehr stillstand und Freunde und Familie sich vergewisse­rn wollten, dass es ihm gut geht. Dass nun auch in Barcelona ISTerroris­ten Menschen in den Tod gerissen haben, überrascht ihn nicht. „Es hätte uns schon viel früher treffen können, und es war klar: Wenn es hier passiert, dann wird es auf der Rambla sein“, sagt er. Vásquez hat 2004 in Madrid gewohnt, hat dort die Zuganschlä­ge von Atocha

Er wollte so viele Menschen wie möglich überfahren

Die Mutter kann nur noch den Sohn von der Straße ziehen

mitbekomme­n. Er sagt, dass sich auch die Katalanen von dem Schock erholen werden. „Unser Glück ist ja, dass der Mensch ein ausgesproc­henes Kurzzeitge­dächtnis hat.“Das gelte auch für Touristen, vermutet er. „Vielleicht gibt es in den nächsten Wochen einen kleinen Einbruch, aber danach wird auch auf der Rambla wieder alles sein wie immer: voll, voll, voll.“

Kann man noch guten Gewissens nach Barcelona reisen? Auf Mallorca Urlaub machen? Es sind Fragen, die sich auch Nicole Straßer aus Kempten in diesen Tagen stellt. „Bisher dachte ich: Spanien ist sicher.“Am Donnerstag hat sie um ihren Bruder gebangt, der in Barcelona arbeitet. Die 44-Jährige sagt: „Wenn man jemanden kennt, der bei einem Anschlag vor Ort ist, macht man sich andere Gedanken.“

Ingo Reinsberge­r und seine Familie werden noch ein paar Tage in Spanien bleiben, dann weiter nach Frankreich. Vorher aber wollen sie noch einmal nach Barcelona, sich bei den Mitarbeite­rn im Hardrock Café bedanken. Sie wollen die Straße, die so schlagarti­g von der fröhlichen Flaniermei­le zum Platz des Grauens wurde, noch einmal besuchen, Blumen niederlege­n und ihre Erlebnisse verarbeite­n. Damit, schätzt Reinsberge­r, werden sie wohl noch Monate zu tun haben. Wie viele Menschen in Barcelona.

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Foto: Pascal Guyot, afp Die Menschen in Barcelona lassen sich nicht unterkrieg­en: Sie kommen auf die Ramblas, legen Blumen und Kerzen nieder.
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