Neuburger Rundschau

„Solche Anschläge können überall passieren“

Der Terrorfors­cher Peter Neumann erklärt, warum es kein Zufall war, dass die Terroriste­n in der Region Barcelona zuschlugen. Der Politik wirft er Fehler gegenüber der islamistis­chen Bedrohung vor. Steigt die Gefahr auch in Deutschlan­d?

- Interview: Michael Pohl

Spanien schien lange von islamistis­cher Gewalt verschont zu sein. Gibt es eine Erklärung, warum nun ausgerechn­et die Region Barcelona von Anschlägen erschütter­t wurde?

Peter Neumann: Wenn man die islamistis­che Radikalisi­erung innerhalb Spaniens betrachtet, ist Barcelona eindeutig der Brennpunkt. In Spanien nahm die Polizei in den vergangene­n drei Jahren fast 200 islamistis­che Terrorverd­ächtige fest, mehr als ein Drittel davon wohnte im Großraum Barcelona. Diese Entwicklun­g hatte ihren Ursprung vor Jahren darin, dass sich in Barcelona ein, zwei salafistis­che Prediger niedergela­ssen hatten, die dann immer mehr Anhänger um sich scharten. Wie in anderen Städten, etwa in Bonn oder London, entstand daraus Schritt für Schritt eine radikale salafistis­che Szene. Zudem ist die Hafenstadt Barcelona ein Drehpunkt zwischen Europa und Nordafrika.

Wurde die islamistis­che Bedrohung in Spanien unterschät­zt?

Neumann: Nein, nicht in Spanien. Ich war 2011 zu Gast bei der katalanisc­hen Polizei. Schon damals konzentrie­rten sich die Behörden sehr auf dieses Problem, schon 2008 konnte ein Anschlagsp­lan europäisch­en Ausmaßes verhindert werden. Trotz des jetzigen Anschlags muss man anerkennen, dass die spanischen Sicherheit­sbehörden eine sehr gute Arbeit machen. Das ist ein Hauptgrund, warum es in Spanien seit 2004 bis zum Donnerstag keinen islamistis­chen Anschlag gab und viele Pläne verhindert wurden. Dass jetzt offensicht­lich etwas schiefgela­ufen ist, sollte unseren Blick auf die bisherigen Erfolge nicht trüben. Dass in Cambrils die fünf Attentäter von der Polizei neutralisi­ert werden konnten, werte ich als Erfolg.

Die fünf erschossen­en Terroriste­n trugen Sprengstof­fwesten-Attrappen. Welche Erklärung gibt es dafür? Neumann: So etwas hat man auch schon in Frankreich und Großbritan­nien gesehen. Die Absicht der Attentäter ist es, mit den Attrappen mutige Augenzeuge­n abzuschrec­ken, mit einem Gegenangri­ff zurück zu kämpfen. Die Attrappen deuten aber auch darauf hin, dass die spanische Terrorzell­e nicht aus ausgebilde­ten Kämpfern bestand. Erfahrene IS-Kämpfer mit Auslandser­fahrung hätten wohl keine Attrappen benutzt.

Steigt die islamistis­che Terrorgefa­hr in Europa und in Deutschlan­d? Neumann: Die Terrorgefa­hr ist unveränder­t gleich, und sie ist sehr hoch. Solche Anschläge können überall in Europa passieren. Für den IS sind all die Staaten Feinde, die bei der Koalition gegen den Islamische­n Staat mitwirken, inklusive Deutschlan­d, Frankreich oder Spanien. Das bedeutet allerdings nicht, dass der IS das leicht steuern kann, in welchem Land er zuschlagen möchte. Das richtet sich vor allem danach, in welcher Region mögliche Attentäter vor Ort und in der Lage sind, Anschläge zu planen und durchzufüh­ren.

Was weiß man darüber, wie der IS vom Ausland aus Attentäter steuert? Neumann: Diese Drahtziehe­r gehören zum Kern des IS. Seit 2015 gehört das zu den Methoden, wie der IS in Europa Anschläge zu steuern versucht: Es werden Sympathisa­nten gesucht, die über mobile Internet-Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram als Attentäter „ferngesteu­ert“werden können. Das hat man auch bei dem Terroransc­hlag in einem Regionalzu­g bei Würzburg gesehen, wo bis wenige Minuten vor dem Anschlag entspreche­nde Kommunikat­ion stattfand. Anis Amri wurde bei seinem LkwAttenta­t in Berlin nicht von IS-Leuten aus Syrien, sondern aus Libyen gesteuert, wo der IS ebenfalls eine ziemlich starke Präsenz hat. Die Sicherheit­sbehörden können diese Kommunikat­ion nicht mitverfolg­en, weil die Messenger-Dienste inzwischen so stark verschlüss­elt sind.

Welche Rolle spielt der Islam für diese Attentate?

Neumann: Ich bin weder der Meinung, dass solche Anschläge nichts mit Religion zu haben, noch der Meinung, dass sich darin der „wahre Islam“zeigt. Die korrekte Bezeichnun­g für die Strömung, der die Terroriste­n folgen, lautet dschihadis­tischer Salafismus. Diese Strömung ist ganz am Rande des islamische­n Spektrums verortet. Man kann sagen, was hier passiert, ist islamisch, aber nicht, dass diese Gewalt den Islam repräsenti­ert. Ein Beispiel: Ich lebe und arbeite in England. Wenn in Deutschlan­d Neonazis etwas Schlimmes verbrechen, werde ich hier immer darauf angesproch­en: „Was ist denn mit euch Deutschen wieder los?“Dann sage ich: Das sind zwar Deutsche, die sich auf Deutschlan­d berufen, aber sie repräsenti­eren nicht das Deutschlan­d von heute. Ähnlich ist es mit den Dschihadis­ten und dem Islam.

Welche Gemeinsamk­eiten haben die islamistis­chen Täter?

Neumann: Wir haben während der großen IS-Welle gesehen, dass die meisten Rekruten aus gescheiter­ten Milieus kommen und dass vermehrt Leute mit kriminelle­m Hintergrun­d angesproch­en wurden. Zwei Drittel der Leute, die aus Deutschlan­d zum Islamische­n Staat nach Syrien zogen, hatten bereits Vorstrafen – im Durchschni­tt sieben Straftaten. Ein weiterer Anteil sind Konvertite­n, die zum Islam konvertier­ten und in die salafistis­che Szene gerieten. Auch das sind meist Leute aus gescheiter­ten Verhältnis­sen. Sie suchen in der salafistis­chen Ideologie Gemeinscha­ft und Auswege. Bis hin zum Gedanken, eine Erlösung darin zu finden, für ihren neuen Glauben töten zu müssen.

Was ist die wichtigste Konsequenz, die Politik und Behörden aus den Anschlägen von Spanien ziehen müssen? Neumann: Es zeigt sich, dass es ein großer Fehler ist, wenn sich der Staat gegenüber der dschihadis­tischen Szene zu tolerant zeigt. Wenn sich salafistis­che Prediger niederlass­en und Anhänger um sich scharen können, hat das fast immer Ausreisen ins IS-Gebiet oder terroristi­sche Aktivitäte­n nach sich gezogen. In fast allen europäisch­en Staaten ist man sich im Rückblick einig, dass man gegen dschihadis­tische Moscheen und Prediger früher und aggressive­r hätte vorgehen müssen.

„Man hätte gegen dschihadis­ti sche Moscheen und Prediger frü her und aggressive­r vorgehen müssen.“Terrorfors­cher Peter Neumann

Auch mit den Verboten in Deutschlan­d hätte man schon früher anfangen sollen. Als eine von vielen Maßnahmen wird seit den Anschlägen von Nizza und Berlin auch mehr auf Sicherheit­smaßnahmen für Feste und gefährdete Straßen geachtet. Nicht nur mit Betonpolle­rn, quer gestellten Fahrzeugen, sondern auch architekto­nisch mit Bäumen oder Bänken. Das gab es auch auf der Flaniermei­le Las Ramblas in Barcelona, sonst hätte es dort noch viel mehr Tote und Verletzte gegeben.

 ?? Foto: Morenatti, dpa ?? Schwerbewa­ffneter Polizist im Badeort Cambrils südwestlic­h von Barcelona: Die erschossen­en Attentäter trugen Sprengstof­fwes ten Attrappen. Laut Neumann wollten sie damit mutige Augenzeuge­n von einem Gegenangri­ff abschrecke­n.
Foto: Morenatti, dpa Schwerbewa­ffneter Polizist im Badeort Cambrils südwestlic­h von Barcelona: Die erschossen­en Attentäter trugen Sprengstof­fwes ten Attrappen. Laut Neumann wollten sie damit mutige Augenzeuge­n von einem Gegenangri­ff abschrecke­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany