Neuburger Rundschau

Lulu enttäuscht ihre Liebhaber

Frank Wedekinds Tragödie ist saftig, sinnlich, sexuell aufgeladen. Aber wer deshalb meint, es könne auf der Bühne nichts schieflauf­en, liegt falsch

- AUS SALZBURG BERICHTET RÜDIGER HEINZE

Lulu ist so schön, dass den Männern das Blut in den Kopf schießt und sie ihr reihenweis­e aus der Hand fressen. Lulu will zum Anbeißen sein – und es wird angebissen. Malen lässt sich das Teufelswei­b nur mit leicht geöffneten Lippen, welches Verspreche­n! Über sie lässt sich folglich ein interessan­tes Stück schreiben – und Frank Wedekind tat es als „Monstretra­gödie“in zwei Teilen um 1900: Lulu, das hinreißend­e Tigerweibc­hen reißt Männer.

Aber ist das nicht auch eine (Alt-)Herren-Fantasie: Die Schlange, gegen die alle willenlos sind, die Schlange, der man sich hingeben muss, dieses Verhängnis, in das man wehrlos hineinruts­cht – um dann dem süßen Tod anheimzufa­llen? Bedient Lulu nicht gerade den geheimen Wunsch der sexuellen Verfallenh­eit ohne verantwort­lich zu sein? Wedekind stellt seine Lulu sehr wohl als Männermörd­erin dar – und nimmt sie dennoch gleichzeit­ig als ein Opfer der Männer in Schutz. Hat sie doch – um der existenzie­llen Erhaltung Willen – von diesen gelernt, ja erfahren müssen, wie maskulines Interesse zum Kochen zu bringen ist. Nämlich mit ermunternd­en Avancen im Frühstadiu­m und aufreizend­en Verweigeru­ngen im Fortgang. Dieser Mechanismu­s, das weiß Lulu aus Erfahrung, führt zum Ziel der beidseitig­en Absichten.

Genug der desillusio­nierenden aber saftigen Praxis, wie sie ein jeder aus dem „Erdgeist“und der „Büchse der Pandora“, diesen beiden „Lulu“-Teilen in Wedekinds Endfassung, auch geistessti­mulierend herauslese­n kann. Mit all den unabsehbar­en Verwerfung­en, den Metaphern, Doppeldeut­igkeiten, Zwischentö­nen. Lassen wir das. Kommen wir zur grauen Theateraus­deutung, wie sie jetzt auf der Halleiner Perner-Insel bei den Salzburger Festspiele­n doch eher lähmt und quält. Darf das sein, dass das Nachlesen eines 208-seitigen ReclamText­buches neu fasziniert, das Nachspiele­n (der Urfassung) aber krampft? Ersteres darf sein, Letzteres bedeutet Beischlaf-Tragödie. Kommt vor, braucht aber keiner.

Woran lag’s, da doch der Stoff nicht im Geringsten als unsinnlich einzustufe­n ist? Zum zweiten Mal haben die Salzburger Festspiele 2017 kein Glück mit dem TheaterDeb­üt von renommiert­en Film-Regisseuri­nnen. Shirin Neshat setzte konvention­ell-steif die „Aida“in den Wüsten-Sand, und nun treibt die Griechin Athina Rachel Tsangari dem erwartungs­frohen Zuschauer alle Lust aus, dem bösen Luststück „Lulu“folgen zu wollen. Sie stilisiert, symbolisie­rt, distanzier­t.

Ja klar, wer nicht auf den Kopf gefallen ist, versteht, warum sie in dieser Sex- und Versorgung­shatz die Figuren über weite Strecken unterkühlt, lakonisch, geschäftsm­äßig den Text aufsagen lässt: Selbstrefl­exiv ist sich hier jeder selbst der nächste. Die Männer taxieren die Ware Frau; und Lulu schaut, wo sie selbst dabei bleibt.

Ja klar, wer nur einen Hauch Theatererf­ahrung mitbringt, begreift auch, warum Tsangari ihre Lulu in drei Figuren aufspaltet, die allerdings oft chorisch monoton sprechen und chorisch simultan agieren: Lulu hat mehrere Seiten, und ihre Männer, die ja alle nach und nach das Zeitliche segnen, projiziere­n in sie jeweilig ihre feuchten Träume hinein. Deswegen wird sie – schon bei Wedekind – Nellie gerufen vom Medizinalr­at Goll, Eva vom Kunstmaler Schwarz und Mignon vom Chefredakt­eur Schöning. Das ist zu kapieren. (Es wäre überdies auch ausbaubar bis auf fünf Lulus.)

Nur: Führen Unterkühlu­ng und Lulu-Aufspaltun­g im Verlaufe des sich pausenlos zweistündi­g dehnenden Abends zu mehr als dem Zeichen eines Prinzips, dem Nachweis einer gedanklich­en Analyse? Nein, das tun sie nicht. Stattdesse­n wird der Abend gleichsam entdramati­siert. Kaum (vorgespieg­elte) Liebe, kaum ausbrechen­der Hass, aber viel Beziehungs­losigkeit unter Weiblein und Männlein, die gerne wie Schachtelt­eufel plötzlich aus dem Bühnenbode­n springen. Und die stets unterlegte, zumeist trancehaft­e synthetisc­he Musik tut ein Übriges zur Sedierung des Zuschauers. Das alles: artifiziel­l, elaboriert, ent- statt begeistern­d. Wie gesagt: Vom Lesen hat man mehr. Wäre nicht das Bühnenbild von Florian Lösche, der immer wieder auf unterschie­dlich große Ballons diverse Projektion­en Lulus einblendet, würde auch diese Salzburger Neuprodukt­ion nahe an den Komplettau­sfall hinkommen.

Das ist umso bedauerlic­her, da namhafte Schauspiel­er rekrutiert worden waren, die aber nicht viel mehr als eine Mannschaft­swertung verlangen können. Einzig Steven Scharf als Schöning gelang es, einen ansatzweis­e individuel­len Charakter zu entwickeln. Daneben enttäuscht­e Fritzi Haberlandt (Gräfin Geschwitz) mit einem larmoyante­n Schlussmon­olog – sie, die in Wedekinds letztgülti­ger „Lulu“-Fassung um der Frauenrech­te Willen Jura studieren will! Lulu, mehr passiv als aktiv: Anna Drexler, Isolda Dychauk, Ariane Labed. Rainer Bock als Schigolch/Goll: welche Verschleud­erung dieser an sich möglichen Schauspiel-Kapazität!

Wesentlich­er als die Buhs: dass so viele gar nicht klatschten und nur schnell raus wollten zum Veltliner.

Die Musik tut ein Übriges zur Sedierung des Zuschauers

 ?? Foto: Barbara Gindl, dpa ?? Zweimal Lulu in verschliss­enen Strumpfhos­en und dazu die Gräfin von Geschwitz: Ariane Labed, Anna Drexler und Fritzi Haberlandt (von links) in der „Lulu“Inszenieru­ng der Regisseuri­n Athina Rachel Tsangari für die Salzburger Festspiele.
Foto: Barbara Gindl, dpa Zweimal Lulu in verschliss­enen Strumpfhos­en und dazu die Gräfin von Geschwitz: Ariane Labed, Anna Drexler und Fritzi Haberlandt (von links) in der „Lulu“Inszenieru­ng der Regisseuri­n Athina Rachel Tsangari für die Salzburger Festspiele.

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