Neuburger Rundschau

Die Frage der Woche Wahlplakat­e umgestalte­n?

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Ja, ja, Sachbeschä­digung, ich weiß, daher hier noch mal: Man darf Wahlplakat­e nicht umgestalte­n, bemalen, nicht vermeintli­ch verschöner­n und auch nicht seine Meinung druntersch­reiben. VERBOTEN! Es drohen Geldstrafe­n und sogar Haftstrafe­n für denjenigen, der „unbefugt das Erscheinun­gsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblic­h und nicht nur vorübergeh­end verändert“– so steht es im Strafgeset­zbuch. Ich will es nur noch einmal erwähnt haben. Bei Kindern würde man wohl sagen: NICHT NACHMACHEN! ÄRGER GIBT’S!

Aber mal unter uns Wahlbrüder­n und -schwestern: Es ist doch kein Drama, wenn wirklich mal jemand harmlos Stift anlegt, das müssen Spitzenpol­itiker schon mal aushalten können. Nur, dass Sie mich richtig verstehen: Ich spreche nicht von Seitensche­iteln, Hitlerbärt­en oder verbotenen Symbolen und Parolen – die haben weder auf Wahlplakat­en noch sonstwo etwas verloren. Ich spreche etwa von angemalten Zahnlücken, Clownsnase­n, Hasenund Vampirzähn­en oder Brillen. Albern, klar, kann aber auch witzig aussehen und eine nette Abwechslun­g in der sonst derzeit überborden­den Wahlplakat­eflut sein. Straßenkun­st in Zeiten des Wahlkampfe­s quasi. Und noch etwas geschieht: Plötzlich macht man sich wirklich tiefere Gedanken über ansonsten meist ziemlich platte Wahlplakat­e. Was treibt wohl einen Menschen, einen Politiker umzustylen? Ist ihm langweilig? Ist er wütend? Wahlverdro­ssen? Genervt von der Plakateflu­t? Erträgt er die photogesho­pten Bilder der Politiker nicht mehr? Oder ist er ein Scherzkeks? War es eine Spontanakt­ion oder hat sich da jemand lange den Kopf drüber zerbrochen? Leider wird man es nicht erfahren, es wird sich niemand outen, weil ja VERBOTEN!

Das Nein an dieser Stelle ist ein resignativ­es Nein. Es schreibt hier ein Enttäuscht­er, ein Desillusio­nierter. Sie fänden mich gegenüber, beim Pro, wären wir in Mexiko City oder in Lyon beispielsw­eise. Denn dort kann man in den Straßen intelligen­te Eingriffe, künstleris­che Umgestaltu­ngen, großartige Neuinterpr­etationen von Wahlplakat­en sehen. Da kleben sie zum Beispiel leere Comic-Sprechblas­en über die Politikerp­lakatköpfe und jedermann ist eingeladen, dort hinein eine Aussage zu schreiben. Oder es gibt minimale Interventi­onen mit maximaler Wirkung – etwa durch das chirurgisc­he Einfügen von nur zwei Buchstaben, die aber den Sinn radikal drehen… Es gelingt Künstlern sogar, durch Einrisse an den richtigen Stellen Bilder grotesk gut zu verfremden. Manchmal überkleben sie auch so perfekt, dass über Nacht Fantasie-Kandidaten längst vergebene Listenplät­ze erobern …

Jetzt aber Schluss mit der Schwärmere­i. An dieser Stelle geht es ja um ein Dagegensei­n im real existieren­den Hier bei uns. Tatsächlic­h ist es besser, die in ihrer dadaistsch­en Gelackthei­t oder bestürzend­en Schlichthe­it gestaltete­n Wahlplakat­e unberührt wirken zu lassen, als sie mit pubertären Reflexen anzugehen, die nichts als Überdruss erzeugen. Was man zu sehen bekommt, ist ziemlich geistlos und langweilig. Das Vokabular erschöpft sich einerseits in Zähne schwarz malen, Hitlerbärt­chen und Piratenkla­ppe auf einem Auge. Und anderersei­ts gibt es die Grobmotori­ker, denen nichts anderes einfällt als Kaputtmach­en, Runterreiß­en. Die Kunst der Zwischentö­ne? Gibt’s nicht oder nur höchst selten. Bevor also die Dumpfmeist­er der vermeintli­chen Witzigkeit die Straßenrän­der unter Niveau verschande­ln, sollten wir die Plakate unter Schutz stellen. Proletarie­r aller Länder, lasst die Finger davon!

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Foto: dpa
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