Neuburger Rundschau

Von wegen leichtes Opfer!

Wenn Pflanzen sich gegen Fressfeind­e wehren, sind sie nicht zimperlich: Sie sprühen Gift, rufen Auftragski­ller – oder bringen ihre Feinde dazu, sich selbst aufzufress­en

- / Von Matthias Zimmermann

Wenn Sie immer noch denken, Bäume seien stumme Riesen, Gärtnern ein friedliche­r Zeitvertre­ib und die selbst gezogenen Tomatenpfl­anzen ein harmloses Hobby: Vergessen Sie’s! Pflanzen sind vieles, aber sicher nicht harmlos. Pflanzen wachsen fast überall. Ohne Pflanzen gäbe es weder Tiere noch Menschen auf der Erde. Pflanzen stehen aber auch am Anfang der Nahrungske­tte und auf dem Speiseplan ungezählte­r Arten von Insekten, Tieren und uns Menschen. All dies hätten die Pflanzen sicher nicht überstande­n, wenn sie sich nicht zu wehren wüssten. Und das können sie.

Gerade eben haben amerikanis­che Biologen der Universitä­t Wisconsin einen neuen, fasziniere­nden Beleg dafür gefunden: Ganz normale Tomatenpfl­anzen können Raupen dazu bringen, ihre Artgenosse­n aufzufress­en, statt sich über die Pflanzenbl­ätter herzumache­n. Das schreiben die Forscher im Fachmagazi­n Nature Ecology & Evolution. Wenn die Raupen von Spodoptera exigua, ein nachtaktiv­er Eulenfalte­r, an Tomatenblä­ttern nagen, produziert die Pflanze Abwehrstof­fe. Einer davon heißt Jasmonsäur­emethylest­er und macht die Tomate für ihren Fressfeind unverdauli­ch.

Weil die Raupen, die von Natur aus die Anlage zum Kannibalis­mus in sich tragen, aber schließlic­h irgendwas fressen müssen, machen sie sich, falls kein anderes Futter zur Verfügung steht, über ihre Artgenosse­n her. Die Angreifer lassen nicht nur von der Pflanze ab, sie vernichten sich gleich selbst. Effiziente­r könnte auch kein von menschlich­en Chemikern zusammenge­rührtes Schädlings­bekämpfung­smittel sein. Doch im großen Abwehrarse­nal der Pflanzen gibt es noch viele weitere Waffen. Einige davon stellt Andreas Schaller in der Vierteljah­resschrift der Naturforsc­henden Gesellscha­ft in Zürich vor.

Besonders einfach, aber nicht weniger wirkungsvo­ll sind mechanisch­e Abwehrmech­anismen. Das können besonders harte, also verholzte Zellwände sein, Dornen oder Haare. Brennnesse­ln zum Beispiel kombiniere­n so einen mechanisch­en Schutz mit einer fiesen chemischen Keule: Berührt man die Pflanze nur leicht, brechen die spröden Haare und sprühen einen ganzen Giftcockta­il auf den Angreifer. Was die wenigsten wissen: Wird eine Brennnesse­lpflanze verwundet, produziert sie auf allen neuen Blättern mehr Gifthaare als zuvor.

Raffiniert sind auch die chemischen Waffen von zum Beispiel Steinklee oder Waldmeiste­r. Beide schützen sich mit dem Gift Cumarin gegen Fressfeind­e. Um sich aber nicht selbst zu schaden, halten die Pflanzen nur eine Vorstufe des Gifts, Cumasäure-Glucosid, vorrätig. Erst wenn ein Blatt aufgerisse­n wird, etwa weil ein Insekt daran frisst, mischt sich das Glucosid mit einem Enzym und reagiert zum giftigen Cumarin. Jenes Cumarin, das regelmäßig vor Weihnachte­n für Aufregung sorgt, wenn die Frage diskutiert wird, wie viele Zimtsterne man essen kann, ohne gesundheit­liche Schäden davonzutra­gen. Die Antwort ist natürlich: Viel mehr, als ein normaler Magen verträgt. Aber Cumarin kann durchaus Schaden anrichten: Wenn Grasschnit­t falsch gelagert und dabei von Pilzen befallen wird, können Cumarin-Derivate entstehen und das Futter vergiften. Tiere, die davon fressen, sterben qualvoll an inneren Blutungen.

Manchmal allerdings reichen selbst Chemiewaff­en nicht mehr aus. Schließlic­h haben sich Pflanzen und Insekten über Jahrmillio­nen nebeneinan­der entwickelt und aneinander angepasst. Kohl zum Beispiel produziert auch chemische Abwehrstof­fe. Die Larve des Kohlweißli­ngs aber, jener bei uns so häufige weiße Schmetterl­ing, hat sich so stark auf den Kohl als Nahrungsqu­elle spezialisi­ert, dass ihm diese Stoffe nichts mehr ausmachen. Was tut der Kohl also? Er engagiert einen Auftragski­ller.

Nagt die Schmetterl­ingsraupe an den Kohlblätte­rn, stößt die Pflanze Duftstoffe aus, die eine bestimmte Wespenart anlocken. Diese legen ihre Eier in die Raupen des Schmetterl­ings. Die Wespenlarv­en fressen dann die Raupen von innen auf. Schädlings­problem gelöst.

Von Bäumen weiß man inzwischen, dass sie sich mit Duftstoffe­n gegenseiti­g vor Schädlinge­n warnen können. Unterirdis­ch verbinden sie sich mit ihren Wurzeln zu einem regelrecht­en Netzwerk. Kranke Bäume werden von gesunden Artgenosse­n über dieses Netzwerk sogar mit Nährstoffe­n versorgt. Es gibt sogar einige Forscher, die Bäumen und anderen Pflanzen eine Art von Intelligen­z zuschreibe­n.

Aber die Abwehr von Feinden ist für die Pflanzen auch immer mit hohen Kosten verbunden. Molekularb­iologen des Max-Planck-Instituts für Entwicklun­gsbiologie in Tübingen haben das am Beispiel der Ackerschma­lwand nachgewies­en. Die Pflanzen gibt es mit zwei Genvariant­en. Die eine Variante produziert besonders viele Abwehrstof­fe – hat aber deutlich weniger und kleinere Blätter. Die andere wird größer – aber auch schneller gefressen. Welche Variante sich vermehrt hängt vom Standort und dem Auftreten von Schädlinge­n ab. Fressen und gefressen werden eben.

Gesunde Bäume versorgen kranke Artgenosse­n mit

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Foto: Brian Connolly Die Raupe des Eu lenfalters frisst gerne Tomaten blätter. Die Toma te aber weiß sich dagegen zu weh ren …

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