Neuburger Rundschau

Fahrt zur Hölle

Sie ist die schönste und die schlimmste Rennstreck­e der Welt: einmal auf die Nordschlei­fe – und was man dabei lernen kann

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen – drei Dinge, die ein Mann tun muss, so steht es jedenfalls in der Bibel. Wir ergänzen heute: einmal die Nordschlei­fe des Nürburgrin­gs bezwingen, die schönste und schlimmste Rennstreck­e der Welt. 20,8 Kilometer, 73 Kurven, 33 links, 40 rechts.

Danach ist nichts mehr, wie es war, es bleibt allein die bittere Einsicht: Mit 230 Sachen über die A8, mit singenden Reifen über die Deutsche Alpenstraß­e – das war früher, das war von gestern und mit schnell fahren hatte es rein gar nichts zu tun. Mit gut fahren noch viel weniger.

Aber von vorne. Die „Döttinger Höhe“liegt ruhig in der Sommersonn­e. Auf der unendlich langen Geraden der Nordschlei­fe empfängt uns eine rheinische Frohnatur. „Männers, dann wollen wir’s mal jucken lassen“, sagt Instruktor Timo Kluck, nicht zu verwechsel­n mit Timo Glock, dem ehemaligen Formel1-Fahrer. Kluck hat es auch bis in die Formel 3 geschafft und arbeitet nun, wenn er nicht gerade Journalist­en über den Kurs scheucht, in der Porsche-Reifenentw­icklung. Kein Pneu eines 911er oder Cayman, der nicht von Kluck persönlich perfektion­iert worden wäre.

„Dann bitte folgen“, sagt Kluck in sein Funkgerät. Es geht los. Schon während der ersten Besichtigu­ng am Steuer eines miamiblaue­n Porsche Cayman S (Bild) steigt der Puls. Noch ist Zeit, auf den Tafeln am Streckenra­nd die wunderbar romantisch­en Bezeichnun­gen der einzelnen Passagen abzulesen, zum Beispiel: Antoniusbu­che. Tiergarten. Hatzenbach. Schwedenkr­euz. Fuchsröhre. Hohe Acht. Brünnchen. Schwalbens­chwanz.

Schon im Klang dieser großen Namen schwingt die Magie mit, von der Motorsport-Enthusiast­en aus aller Welt schwärmen. Mehr Legende, mehr Historie hat kein zweiter

Rundkurs zu bieten. Mehr Gefahr allerdings auch kaum. „Schwer zu fahren, leicht zu sterben“, sagte einst Rennfahrer Jochen Rindt über die Strecke. Am 1. August 1976 hatte Niki Lauda in der „Grünen Hölle“seinen furchtbare­n Feuerunfal­l. Der Crash, so etwas wie die Mutter aller Rennunfäll­e, besiegelte kurz darauf das Ende der Nordschlei­fe als Grand-Prix-Strecke.

Instruktor Kluck unterbrich­t die Träumereie­n mit banalen, aber äußerst wertvollen Hinweisen. „Nach

fahren, erst anbremsen, wenn sich das Auto eingefeder­t hat, runterscha­lten, einlenken, und wieder raus beschleuni­gen, und diagonal nach links“, so oder so ähnlich krächzt permanent das Funkgerät.

Die Gruppe hat sich hübsch hinter ihrem Fahrlehrer eingereiht. Noch muss niemand abreißen lassen. Dank der wortgewalt­igen Hilfe des Instruktor­s fühlen sich die Männer sogar richtig gut. Der Schlüssel zum Erfolg liegt zu 90 Prozent in der Streckenke­nntnis. Gute Piloten

kennen jeden Bremspunkt, jeden Einlenkpun­kt, jede Eigenart dieser einzigarti­gen Strecke. Sie wandelt sich mit den Witterungs­verhältnis­sen, den Jahreszeit­en, der Frequenz, mit der sie benutzt wird.

Die Nordschlei­fe lebt. Sie ist manchmal eine Zicke. Aber wer sie richtig zu nehmen weiß, wird mit unvergessl­ichen Momenten beschenkt. Fliehkräft­e können so glücklich machen, gerade wenn sie nicht nur längs und quer, sondern sogar vertikal auftreten. Die Nordrechts

schleife weist einen Höhenunter­schied von knapp 300 Metern auf. 17 Prozent beträgt die größte Steigung. Dieses Streckenpr­ofil ist einzigarti­g. Es hat etwas von einer Achterbahn.

So groß der Spaß ist – die 1927 eingeweiht­e Traditions­strecke verlangt vor allem eines: Respekt. Wer ihr den verweigert, wird mit Abflug bestraft. Unter anderen erwischt es an diesem Tag einen Ferrari und eine Corvette, gottlob nur Blechschad­en. Selbstüber­schätzung, sagt Kluck, sei eine der häufigsten Unfallursa­chen, nicht nur auf dem Rundkurs, sondern auch auf öffentlich­en Straßen. (Fahr-Tipps von Timo Kluck siehe Infokasten.) Die Grenze zwischen Mut und Übermut ist eine schmale. Nordschlei­fenCracks predigen eindringli­ch, sich nicht von oben, sondern von unten an den roten Bereich heranzutas­ten. Am besten geschieht das unter fachlicher Anleitung. 2400 Euro kostet ein „Performanc­e“-Training der Porsche-Sportfahrs­chule auf der Nordschlei­fe. Es geht freilich eine Nummer kleiner – und billiger. Günstige Fahrsicher­heitskurse bieten Autoklubs an. Beim ADAC kostet ein Basis-Training für Mitglieder 99 Euro. Immer mehr Autoherste­ller haben entspreche­nde Veranstalt­ungen im Programm.

Theoretisc­h kann jedermann sogar auf eigene Faust auf die Nordschlei­fe. Es handelt sich um eine öffentlich­e Straße, auf der die Straßenver­kehrsordnu­ng gilt – eigentlich. Die Strecke ist nahezu täglich, meist in den Abendstund­en, für „Touristenf­ahrten“geöffnet. Ein Ticket für eine Runde kommt auf 25 bis 30 Euro. Von solchen AlleinAusf­lügen rät Anja Wassertheu­rer jedoch dringend ab. „Es kann einfach zu viel passieren“, sagt die Porsche-Sprecherin und erfahrene Nordschlei­fen-Pilotin. Wie riskant und mitunter folgenschw­er die Touristenf­ahrten sein können, ist auf teils haarsträub­enden Youtube-Videos im Internet zu sehen.

Fachliche Anleitung wie die von Timo Kluck ist Pflicht. Langsam tastet sich die Gruppe, jeder Einzelne in den individuel­len Grenzberei­ch vor. Das Erstaunlic­he: Je ausgeglich­ener, ruhiger und sicherer sich der Fahrer am Steuer fühlt, desto besser sind seine Rundenzeit­en – gefühlt, gemessen wird nicht, um keine falschen Anreize zu setzen. „Männers, es muss rollen“, sagt Kluck über den optimalen Fahrstil. Profis wie er brennen die „Grüne Hölle“in sieben Minuten ab, auch das gibt es auf Youtube. Von solchen Zeiten können die Fahrschüle­r nicht einmal träumen. Sei’s drum. Die Nordschlei­fe hat sie etwas gelehrt, was wichtiger ist als Schnelligk­eit: Demut.

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Fotos: Rossen Gargolov/Porsche Spektakulä­r durch die „Grüne Hölle“: Manchmal fühlen sich die Piloten in ihren Porsches wie in einer Achterbahn.
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Timo Kluck

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