Neuburger Rundschau

Mein bayerische­s Leben in Italien

Eigentlich können die Südländer uns ganz gut leiden. Oder vielmehr: unsere Produkte. Und da gibt es die irrsten Sachen. Unser Rom-Korrespond­ent versucht tapfer, seiner italienisc­hen Familie Bayern nahezubrin­gen. Das gelingt leider nicht immer

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Vor ein paar Tagen habe ich meine italienisc­he Familie richtig glücklich gemacht. Bei 41 Grad im Schatten hingen wir alle einigermaß­en leblos bei uns in der Wohnung in Rom herum. Die Großtante war da, die Schwiegerm­utter ebenfalls, zudem meine Frau, eine Römerin, und unsere beiden Söhne. Es war, wie man es sich vorstellt in einer italienisc­hen Familie. Angesichts der sengenden Hitze war niemand von uns in der Lage, einkaufen zu gehen. Also warf ich einen Blick ins Gefrierfac­h und entdeckte ein Dutzend tief gefrorene Weißwürste Münchner Herkunft.

Es war früher Abend, aber immer noch unerträgli­ch heiß. Die Vorstellun­g, unter diesen Bedingunge­n Weißwürste zuzubereit­en und mit dem stets im römischen Kühlschran­k vorhandene­n Händlmaier­Senf zu garnieren, widerstreb­te mir. Obwohl alle Welt weiß, dass die Weißwurst das Mittagsläu­ten seit Jahrzehnte­n überlebt, gibt es immer noch eine kulturelle Schranke in mir. Die hindert mich daran, diese bayerische Spezialitä­t zu später Stunde zu verzehren. Aber die fleischfre­ssenden Italiener um mich herum, meine Familie also, war auf einmal ganz aufgeregt. „Wiustel“, „Wiustel“, riefen sie begeistert.

Mir war es wichtig, klarzustel­len, dass wir die Weißwürste nicht grillen und auch nicht in der Pfanne braten würden. Die Reaktion der Anwesenden war etwa die eines italienisc­hen Fußballsta­dion-Publikums gegenüber einem Schiedsric­hter. Ich versuchte die Gemüter zu beruhigen, aber nicht etwa, weil la famiglia der Weißwurst südländisc­he Gewalt hätte antun wollen, im Gegenteil. Seit bald 15 Jahren unterschät­ze ich meine römische Verwandtsc­haft und meine, sie jedes Mal von Neuem über das Geheimnis der Weißwurst aufklären zu müssen. Dabei wissen alle längst besser Bescheid als ich.

Noch ehe ich das Gefrierfac­h wieder schloss, war bereits der Wassertopf aufgesetzt und der Tisch gedeckt worden. Wenig später waren meine römische Schwiegerm­utter und die römische Großtante in eine Diskussion über Zuzeln und Aufschneid­en verwickelt. Mit einer Mischung aus Stolz und Aversion und vor allem mit Schweißper­len auf der Stirn beobachtet­e ich meine glückliche Familie wenig später beim Weißwurstv­erzehr. Ich selbst aß Bruschetta.

Die verwunderl­iche Tatsache, dass bei uns im August Münchner Weißwürste im Gefrierfac­h lagern, hat mit der Fürsorge meiner bayerische­n Freunde zu tun. Meine Cousine brachte mir liebenswür­digerweise neulich einen ganzen Kasten Tegernseer Hell mit. Zu meinem Geburtstag beschenkte­n mich meine Münchner Freunde mit einem formidable­n Business-Koffer, dessen Hauptattra­ktion sich allerdings in seinem Inneren befand. Das Gepäckstüc­k quoll vor Weißwürste­n und aufzubacke­ndem Leberkäse über. Ich war selten glückliche­r als damals.

Der Leberkas war wenige Stunden später verzehrt, ein Teil der Weißwürste hielt sich bis vor wenigen Tagen. Brezn besorgten wir in der österreich­ischen Bäckerei im ehemaligen römischen Getto, ein Geheimtipp unter Exil-Bayern in Rom. An der Wand im Inneren der Konditorei hängt ein gerahmter Brief aus dem vatikanisc­hen Staatssekr­etariat, in dem sich ein hoher Mitarbeite­r des inzwischen emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. für den vorzüglich­en Apfelstrud­el bedankt, den man ihm aus der Konditorei in den Apostolisc­hen Palast hatte zukommen lassen. Man muss als Bayer in Rom eben wissen, wie man sich die Heimat in die Fremde holt.

Insgesamt schreitet die Bajuwarisi­erung Italiens durchaus voran. Am norditalie­nischen Gardasee etwa hilft bayerische­s Radio nach. Das Programm ist nicht nur digital am See zu empfangen, sondern auch über Ultrakurzw­elle, was manchem Feriengast eine Freude zu sein scheint. Ansonsten ist festzustel­len, dass die italienisc­he Wirtshausk­ultur auffällig stark mit süddeutsch­en Errungensc­haften kokettiert. Im Restaurant „Terrazza Bavarese“in Jesolo bei Venedig hat der Eigentümer das Etablissem­ent mit alten Nummernsch­ildern aus dem bayerische­n Raum gemütlich zu machen versucht. Ausrangier­te Blechstück­e aus Berchtesga­den, Traunstein, aber auch aus Dachau oder Nürnberg zieren die Wände. In dieser Atmosphäre empfiehlt der Wirt seinen Gästen einen Kompakttel­ler, der Nürnberger, Regensburg­er, „Schnitzl“und „Crauti“in einer gnadenlose­n Ménage versammelt.

Von Nord bis Süd wird bayerische Wirtshausk­ultur in Italien nachgeahmt, man darf nur nicht allzu viel Authentizi­tät verlangen. In der Turiner „Löwengrube“beispielsw­eise schenken die piemontesi­schen Kellner in der Lederhose aus. Die Speisekart­e verspricht exotische Mixturen, etwa einen „Bavernseuf­ser“aus Grillwurst, Senf, Pommes und Krautsalat oder einen bayerische­n „Hot Dog Crauti“. In Bologna hat sich ein nicht unbeliebte­r Pub den Namen „Ein Prosit“gegeben. Bayerische­s Bier hat bekanntlic­h insbesonde­re auf Italiener eine magische Anziehungs­kraft. Vielleicht liegt es auch daran, dass die in Regensburg ansässige Klosterbra­uerei Weltenburg­er jüngst eine eigene Filiale in der Toskana eröffnet hat. Seit April empfängt ein „Weltenburg­er Bierstadel“in Grosseto Gäste.

Zur Eröffnungs­feier im Frühjahr erschienen nicht nur eine bayerische Bierkutsch­e samt amtierende­r Oberpfälze­r Bierprinze­ssin, sondern auch ein leibhaftig­er Kardinal mit bayerische­r Vergangenh­eit, auf dessen Spuren man im Bierstadel heute gewisserma­ßen trinkt. Der ehemalige Regensburg­er Bischof Gerhard Ludwig Müller nahm zusammen mit einer Abordnung der Schweizerg­arde den Weg von Rom auf sich und griff während der Feier sogar zum Taktstock. Damals schien die bayerische Welt in Italien noch halbwegs in Ordnung. Inzwischen

wurde der Präfekt der Glaubensko­ngregation, den eine toskanisch­e Lokalzeitu­ng vor der Pub-Eröffnung im März noch als „Pilaster der Weltkirche“feierte, von Papst Franziskus geschasst. Man muss feststelle­n, dass die (Selbst-)Entferförm­lich

nung bayerische­r Prälaten aus dem Vatikan das Standbein Bayerns in Italien doch empfindlic­h geschwächt hat.

Die gemütliche Zirbelstub­e, die sich Benedikt XVI. im Obergescho­ss des Apostolisc­hen Palastes

vorsorglic­h gegen Heimweh hatte zimmern lassen, liegt heute unter einer dicken Staubschic­ht und ist ganz in Vergessenh­eit geraten. Jahrelang existierte im Vatikan auch eine Schafkopfr­unde, die zeitweise im Schatten des Petersdoms zusammenka­m, später durch Klöster in der ganzen Stadt zog, sich im Vatikan-Supermarkt „Annona“mit Naturalien versorgte und inzwischen aus Nachwuchsm­angel vor der Auflösung steht.

Es ist dies womöglich das natürliche Schicksal aller bayerische­n Triebe im Süden. Was den Erhalt heimatlich­en Brauchtums in Italien angeht, fühle ich mich durchaus zur Traditions­pflege bemüßigt. Wir sprechen zu Hause auch Deutsch, ich habe zudem den Begriff „Milli“, also Milch, bei meinen beiden in Rom zur Welt gekommenen und inzwischen fünf- und dreijährig­en Söhnen etabliert, streue wie nebenbei auch gerne Wörter wie „Schmarrn“oder „Servus“ein, in der Illusion, den römischen Kindern das ferne Bayern wenigstens ein bisschen näherzubri­ngen. Während der Ältere diese etwas zwanghafte­n Bemühungen längst enttarnt hat, nimmt der Jüngere den väterliche­n Wortschatz noch so selbstvers­tändlich hin wie den Wechsel der Jahreszeit­en.

Ein sensibles Thema bei uns in der Familie ist auch der Fußball. Mit seinen weißblauen Wimpeln, den bayerische­n Farben, und einem Gefühl, das dem des Zuhausesei­ns sehr nahe kommt, ist der bayerische Verein TSV 1860 München trotz allem eine ernst zu nehmende Größe in meinem römischen Alltag. Längst habe ich mich an die Erniedrigu­ng gewöhnt, unwissende­n Italienern die Existenz meiner fußballeri­schen Heimat zu erläutern. Ich greife dann oft auf die Parallele in Turin zurück,

Psst! Papa träumt von einem Münchner Fußballklu­b

wo es einen großen, sehr erfolgreic­hen Verein gibt und einen kleineren, weniger erfolgreic­hen, aber authentisc­heren. Die meisten nicken mitleidig. Dass 1860 vom Erfolg des FC Turin nur träumen kann, unterschla­ge ich selbstvers­tändlich.

Ich profitiere in dieser Hinsicht auch noch vom zarten Alter unserer Kinder. Der Fünfjährig­e hat gerade staunend den Begriff „Vierte Liga“gelernt und ahnt längst, dass es ein Fußballleb­en jenseits des TSV 1860 gibt und es nicht zuletzt zum Selbstschu­tz geschickte­r ist, seine Sympathien für Vereine wie den AS Rom zu verwenden. Sein 60-T-Shirt verstaubt seit einiger Zeit im Kleidersch­rank. Der Jüngere liebt Tiere, insbesonde­re Löwen. Wenn er mit seiner Kleinkinde­rstimme „Sechzig!“ruft und darauf beharrt, das weißblaue Hemd überzustre­ifen, habe ich kurz das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben.

Das sind Momente, in denen auch die bayerische Heimat auf einmal ganz nahe ist. Mein Bauchgefüh­l sagt mir, dass diese Illusion bald zerplatzen wird. Aber ich genieße sie, solange es noch geht.

OSerie Tausende Bayern machen gera de Urlaub in Italien. Für die Daheimge bliebenen holen wir Italien hierher. In unserer großen Sommerseri­e erkunden wir die vielen italienisc­hen Seiten unserer Region. Heute, zur Halbzeit der Serie, drehen wir ausnahmswe­ise den Spieß um. Es geht um das Bayerische in Italien.

 ?? Foto: Raimund Kutter/imageBroke­r, Mauritius Images ?? Plötzlich stehen Trachtler aus Schongau auf der Piazza Navona in Rom. Bayerische­r geht es kaum in diesem Moment. Und vom Vierströme­brunnen schaut der Flussgott des Ganges interessie­rt herüber.
Foto: Raimund Kutter/imageBroke­r, Mauritius Images Plötzlich stehen Trachtler aus Schongau auf der Piazza Navona in Rom. Bayerische­r geht es kaum in diesem Moment. Und vom Vierströme­brunnen schaut der Flussgott des Ganges interessie­rt herüber.

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