Wie stellt man Angela Merkel?
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil kennt natürlich die Umfragen. Sie sehen nicht gut aus für seine Partei. Wie der Sozialdemokrat die Kanzlerin in der heißen Phase des Wahlkampfs doch noch in Bedrängnis bringen will
Augsburg Es passiert ganz von selber. Wer sich mit einem SPD-Generalsekretär unterhält, landet früher oder später – meist früher – beim Thema Angela Merkel. Wie kann man der Kanzlerin beikommen, wie kann man sie stellen? Wie kann man die Frau trefflich attackieren, obgleich man doch seit Jahren mit ihr zusammen regiert? Hubertus Heil macht sich über diese Fragen Gedanken. Von Berufs wegen gewissermaßen. Zunächst einmal verrät der 44-Jährige, welche „extremen Fehler“man im Umgang mit der mächtigsten Politikerin der Welt unbedingt vermeiden sollte: „Man darf sie nicht unterschätzen – das ist der SPD schon passiert. Und man darf sie nicht auf einen Sockel heben.“
Zuletzt versuchten die Sozialdemokraten, die beliebte Kanzlerin härter anzupacken. Merkel traue sich nicht, den türkischen Präsidenten Erdogan in die Schranken zu weisen. Merkel habe zu viel Geduld mit US-Präsident Donald Trump und viel zu viel Nachsicht mit der tricksenden deutschen Autoindustrie. Solche Vorwürfe kommen immer wieder. Dennoch hat sich der Eindruck verfestigt, dass es Genossen einfach nicht gelingen will, die CDU-Politikerin zu stellen. „Angela Merkel weicht jeder Debatte aus. Die CDU macht keine programmatischen Aussagen“, sagte SPD-Chef Martin Schulz kürzlich. Ein kleiner Schuss Verzweiflung schien dabei mitzuschwingen.
Heil jedenfalls greift den Vorwurf des SPD-Spitzenkandidaten auf. „In den zwölf Jahren als Kanzlerin hat sich Merkel natürlich auch Verdienste erworben. Das Problem ist aber, dass sie keinen Plan für die Zukunft hat.“Heil macht das am Thema Bildung fest. „Wir werden 2025 rund eine Million mehr Schüler haben. Das ist erfreulich, an dieser Entwicklung habe ich auch persönlich Anteil“, sagte er und lächelt stolz. Vor wenigen Monaten hat seine Frau eine Tochter zur Welt gebracht – einen Sohn hat das Ehepaar bereits. Dann wird es wieder politisch: „Das Problem ist, dass die Union unter dem Motto ,läuft doch‘ nicht erkennt, dass wir massiv in Bildung investieren müssen. Das ist verheerend, denn es geht um unsere Zukunftsfähigkeit.“
Letztere sieht Heil, der im Juni das Amt des Generalsekretärs, das er bereits von 2005 bis 2009 innehatte, von Katarina Barley übernommen hat, als gefährdet an. Das Land könne es sich mit Blick auf den eklatanten Mangel an Fachkräften, der sich zu einer „ökonomischen Katastrophe“auszuwachsen drohe, nicht leisten, dass in Deutschland 50 000 Schüler im Jahr keinen Abschluss machen würden. „Die Herkunft entscheidet viel zu oft über Bildungschancen.“Den Anschluss drohe das Land auch auf den Feldern Infrastruktur und Digitalisierung zu verpassen. Man müsse viel mehr investieren anstatt „weiterzuwursteln“, und das werde die SPD tun, wenn sie nach dem 24. September die Gelegenheit dazu erhalte.
Den Anschluss verloren hat allerdings auch die SPD. Die letzten Landtagswahlen – schmerzlich der Machtverlust im Stammland NRW – gingen verloren. Umfragen sehen die Partei im Bund bei 24 bis 26 Prozent. Heil, der im Bundestag seit 1998 den niedersächsischen Wahlkreis Gifhorn-Peine vertritt, sieht jedoch alle Chancen, den Bock noch umzustoßen: „42 Prozent der Wähler haben sich noch nicht festgelegt. Davon ist ein großer Teil für die SPD erreichbar.“
Erreichbar womit? Mit einem Wahlkampf, in dem Gerechtigkeit eine Hauptrolle spielt. Zweifel an dieser Strategie wischt Heil beiseite. Es sei die wachsende Ungleichheit, die das Modell Deutschland auf lange Sicht gefährde.
Nicht zuletzt Martin Schulz war es, der die Kanzlerin lobte, als sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge aus Ungarn öffnete. Heute hört sich
„Der bayerische Ministerpräsident hypt das Thema mit seiner idiotischen Obergrenze.“Hubertus Heil zur Flüchtlingspolitik
das ein wenig anders an: „Merkel hat sich nach ihrer humanitären Geste 2015, die wir alle richtig fanden, zurückgelehnt. Sie hat es versäumt, die europäischen Partner einzubeziehen.“Für eine solidarische Lösung in Europa stehe exemplarisch Schulz. Dazu hat Heil auch einen Gruß nach München im Gepäck: „Wer die Debatte in unverantwortlicher Weise hypt, ist der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer – mit seiner idiotischen Obergrenze und dem Tanz, den er darum aufführt.“
Wer bei Hubertus Heil herauszukitzeln versucht, welche Partei als Koalitionspartner infrage kommen könnte, beißt auf Granit. „Wir machen keinen Koalitionswahlkampf. Wer mit uns regieren will, muss unseren Inhalten entgegenkommen“, sagt er kategorisch. Auch ihm ist klar, dass dabei das Gewicht eine große Rolle spielen wird, das die SPD nach den Wahlen auf die Waage bringt: „Nach der Euphorie um Schulz gab es keinen Absturz, aber einen Sinkflug. Jetzt müssen wir die Maschine wieder hochziehen. Die Kampagne läuft gut.“Entscheidend sei die Schlussmobilisierung. „Dann muss man zuspitzen. Das tun wir.“