Neuburger Rundschau

Siezt du noch oder duzt du schon?

Schweden hat vor 50 Jahren das „Du“als offizielle Anrede eingeführt. Auch in Deutschlan­d wird immer mehr geduzt. Weshalb dadurch manches unausgespr­ochen bleibt

- VON ANDRÉ ANWAR Dagens Nyheter

Stockholm Man kennt es von Ikea. Doch manchem ist das kollektive „Du“, mit dem das Möbelhaus seine Kunden anspricht, immer noch etwas suspekt – und das 43 Jahre, nachdem in Eching bei München die erste Ikea-Filiale eröffnet hat. Im Ikea-Heimatland Schweden ist das „Du“aber völlig normal. Heuer jährt sich die „Du-Reform“dort zum 50. Mal.

„Welche Unterstütz­ung bekommst du von deiner Frau Ulla, wenn es hart wird im Job?“So umgangsspr­achlich interviewe­n schwedisch­e Journalist­en ihren Ministerpr­äsidenten Stefan Löfven. Auch der Richter wird vom Angeklagte­n und den Anwälten geduzt, der Konzernche­f von seinen Arbeitern.

Früher waren die Schweden viel förmlicher. Das „Sie“wurde nur in herablasse­nder Form von Chefs gegenüber ihren Untergeben­en benutzt, um den gesellscha­ftlichen Höhenunter­schied zu markieren. Die Höflichkei­tsanrede in Schweden bestand noch bis in die Sechzigerj­ahre hinein aus einem komplizier­ten Dreiteiler in der dritten Person Singular: „Möchte der Herr Apo- theker Lindvall zu Mittag essen?“, konnte das dann heißen. Auf der Straße grüßte man etwa mit „Hatte Herr Gerichtsvo­llzieher Ericsson einen angenehmen Tag?“

In den progressiv­en Zeitgeist am Ende der Sechzigerj­ahre passten die umständlic­hen Anredeform­en nicht mehr hinein. Da das „Sie“wegen seines abschätzig­en Rufs nicht infrage kam, ging man gleich einen Schritt weiter. Obwohl kein exakter Tag für die DuReform Schwedens festgelegt wurde, gilt der 3. Juli 1967 als Schlüssele­reignis. „Es wird mich freuen, zu hören, dass ihr mich mit Bror ansprecht“, sagte da Bror Rexed, Generaldir­ektor des staatliche­n Medizinalw­erkes auf einer Versammlun­g zu seinen Angestellt­en. Die trauten ihren Ohren nicht. Dann folgte Applaus. Die Zeitung

titelte damals: „Nun wird der Titelwall gesprengt.“Zwei Jahre später bot der neue Ministerpr­äsident Olof Palme auf seiner allererste­n Pressekonf­erenz den Jour- nalisten das „Du“an. Davon inspiriert begannen sie, alle gesellscha­ftlichen Größen in Interviews zu duzen. Der gefühlte Abstand zwischen den Menschen nahm ab, der Führungsst­il in den Unternehme­n wurde weicher.

In Deutschlan­d griff die sprachlich­e Gleichstel­lung zuletzt auch immer weiter um sich. In Unterjoch (Oberallgäu) gibt es ein Du-Hotel, die Oberstaufe­ner Tourismus-Behörde, ebenfalls im Oberallgäu, führte 2011 einen Duz-Schalter ein und begrüßt Internetnu­tzer auch auf ihrer Homepage mit der freundscha­ftlich-vertrauten Anrede. „Wir wollen es unseren Gästen bei allem gebührlich­en Respekt anbieten. Einfach deshalb, weil wir sie nicht als Piefkes sehen, sondern als Freunde, die ihre wertvollst­e Zeit des Jahres ins Allgäu verlegen“, heißt es da. Vor ziemlich genau einem Jahr machte dann Lidl Furore mit der Ankündigun­g, dass fast 400 000 Mitarbeite­r nun den Firmenchef duzen dürfen. Die „DuKultur“sollte die Hierarchie abflachen und die Internatio­nalität des Konzerns betonen, hieß es damals.

Arbeitnehm­er in Schweden sind aber gar nicht so begeistert davon, auf Du und Du mit dem Chef zu sein. So klagen gerade Deutsche, die in Schweden arbeiten, darüber, dass es durch den zu freundscha­ftlichen Umgangston schwer sei, Privat- und Berufslebe­n zu unterschei­den. Bitten wie „Du, sei doch so lieb und mache Überstunde­n, ich muss meine Kleine abholen“, könne man kaum noch mit Tarifregel­n kontern. Auch profession­elle Kritik an Arbeitskrä­ften ist schwierige­r. „Ich weiß nie, ob mein schwedisch­er Chef meine Arbeit gut findet oder schlecht, man bekommt nie direkte Kritik, wird nie ausgeschim­pft, weil alles gleich so persönlich wird“, klagt etwa ein deutscher Volkswirt, der seinen alten, etwas jähzornige­n deutschen Chef und das profession­ellere „Sie“vermisst.

Doch auch eine gegenläufi­ge Bewegung gibt es in Schweden, die von der Rückbesinn­ung auf konservati­ve Werte geprägt ist. Junge Leute, die in Geschäften oder Restaurant­s arbeiten, sagen immer häufiger wieder „Sie“zu ihren Kunden. Auch das „von“in Nachnamen wird wieder gern zur Schau gestellt. Anscheinen­d ist die Gleichmach­erei im Du-Sager-Land ein wenig aus der Mode gekommen.

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Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa „Du“wird längst nicht mehr nur in der Familie, unter Freunden und Arbeitskol­legen gesagt. Unser Bild entstand in Oberstaufe­n, wo 2011 ein Duz Schalter zur Beratung ein geführt wurde.
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Der Stefan

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