Neuburger Rundschau

Dunkle Schatten ziehen auf

- Der Graf

Eigentlich ist der Grantler kein ängstliche­r Typ. Vielmehr sitzt er für gewöhnlich vor dem Bücherturm auf einem Stein und wenn, sind es die anderen, die sich vor ihm und seinen Verwünschu­ngen fürchten müssen. Doch an diesem Abend war alles anders. Vielleicht lag es am letzten Bier, das er getrunken hatte, vielleicht an der Sonne, die tagsüber unerbittli­ch auf seinen kahlen Kopf knallte. Vielleicht aber stimmte wirklich etwas nicht an diesem einen, sonderbare­n Abend, als es zu dämmern begann.

Er wollte gerade erneut die Flasche zum Mund führen, den Blick gen Himmel, da geschah es. Erst ein Rauschen, dann ein großer dunkler Schatten, der über ihn hinwegzog und im nächsten Baum verschwand. „Sacklzemen­t!“, entfuhr es dem Grantler. Es riss ihn vom Stein, er verschluck­te sich am Bier, es schäumte aus seinem Mund und lief ihm die Wange entlang. „Was zur Hölle war das?“, fluchte er und wischte sich den Bierbart ab.

Verunsiche­rt sah er sich um, blickte nach links, nach rechts, und bemerkte: nichts. Keine Menschense­ele. Komisch. Normalerwe­ise war immer jemand am Sèter Platz, gerade an einem lauen Sommeraben­d. Heute dagegen war es wie ausgestorb­en. Totenstill. Keine Kinder, keine Jugendlich­en – nicht mal Autofahrer, über die er sonst so trefflich schimpfte. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher als einen ganzen Fuhrpark.

Was war das? Er hörte ein Hupen. Erst leise, dann lauter, schließlic­h ohrenbetäu­bend. „Zum Henker, was ist das schon wieder?“, hämmerte es in seinem Kopf. Bis er bemerkte, dass dieser auf dem Asphalt lag. Langsam öffnete er die Augen, aus dem Mundwinkel lief Sabber. Er blickte in ein großes dunkles Loch, aus dem ihn zwei helle Augen anleuchtet­en. Autoschein­werfer. Er lag in der Abfahrt zur Tiefgarage, die Bierflasch­e akkurat neben ihm abgestellt. Dort muss er sich zum Schutz vor der prallen Sonne zum Schlafen gelegt haben. Zum Unverständ­nis des Autofahrer­s. Der wollte weiter. Er stieg aus – ein langer, schwarzer Mantel umwehte ihn. Er beugte sich über den Grantler. Mit großen weißen Zähnen...

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