Weltkulturmacht im Niedergang?
In Pop, Fernsehen, Kunst, Alltag – wir leben in einem amerikanischen Jahrhundert. Noch ist der Einfluss der USA ungebrochen. Aber…
Micky Maus, Superman und „Game of Thrones“. CocaCola und McDonald’s, Apple, Google und Facebook. Musik von Madonna und Michael Jackson, Bob Dylan und Beyoncé. Rocky Balboa und Michael Jordan. Filme mit Brad Pitt und Robert De Niro, Meryl Streep und Tom Hanks. Wo fängt es an, wo hört man auf, wenn man den kulturellen Einfluss der USA auf den Rest der Welt bemessen will? Das Image der Supermacht mag unter Präsident Donald Trump wanken, das Reich der (Pop-)Kultur beherrscht sie bis heute.
„Amerikanische Kultur regiert die Welt“, schrieb das Magazin Raconteur 2014. Mit blauhäutigen Wesen, einem Liebespaar auf der sinkenden Titanic und galaktischen Raumschiffen hat Hollywoods Traumfabrik weltweit die Spitzenplätze sicher im Griff. Den Verkaufsrekord rund um den Globus hält „Avatar – Aufbruch nach Pandora“(2009) mit 2,79 Milliarden US-Dollar, gefolgt von „Titanic“(2,19 Milliarden) und „Star Wars: Das Erwachen der Macht“(2,07 Milliarden). Hollywoods über hundert Jahre alte Vormachtstellung im Film ist ungebrochen, daran wird sich auch unter Trump nichts ändern. Doch der Kollisionskurs mit dem liberalen Hollywood, von Trump oft als elitärer Club verhöhnt, ist programmiert. Und der verschärfte Handelsstreit zwischen China und der Trump-Regierung könnte der wachsenden Kooperation der Traumfabriken in Hollywood und im Reich der Mitte schaden. Kein Film der Traumfabrik Hollywood kann heute international ein Kassenschlager werden, ohne auch in China erfolgreich zu sein. Im Star Wars-Abenteuer „Rogue One“spielen chinesische Filmstars mit, in der Neuauflage von „Independence Day“kämpften Amerikaner und Chinesen gemeinsam um die Rettung der Erde – mit dem chinesischen Star Yang Ying als hübscher Kampfpilotin. Doch der Zugang zum chinesischen Massenmarkt hat Hürden, es gibt Quoten und Zensur für ausländische Filme. Ein Handelskrieg der USA mit China könnte Hollywoods „Happy End“gefährden. Zugleich stemmen sich andere Filmindustrien gegen die Allmacht der Studios aus Kalifornien, etwa die „James Bond“-Filme aus Großbritannien oder Werke aus Indien (Bollywood) und Nigeria (Nollywood).
TV-Serien können mit ihren viel geringeren Budgets auf diesem Level nicht mitspielen, zum Massenkult geworden sind amerikanische Shows wie die „Simpsons“, „Akte X“, „Game of Thrones“und „The Walking Dead“trotzdem oder auch Comedy-Formate wie „The Big Bang Theory“. Die Krimiserie „Navy CIS“sahen 2016 weltweit 47 Millionen Menschen – damit heimst die CBS-Produktion den Titel als meistgesehene Serie beim Fernsehfestival in Monte Carlo zum dritten Mal in vier Jahren ein.
In der Welt der Musik haben Komponisten, Instrumentalisten, Sänger, DJs und Produzenten aus den USA eine kaum messbare Menge an Genres und Sub-Genres vorbereitet, entscheidend geprägt oder selbst erschaffen. Unter Rockern heißen sie Bluegrass, Rockabilly, Heavy Metal, Ska, Punk Rock oder Emo, bei Freunden elektronischer Tanzmusik sind es Techno, House oder Trance, anderswo Hiphop, Funk, R&B und Soul. Diese in Zwischen-Genres zersplitterten Geschmäcker haben Millionen Musikfans in den USA und anderen Ländern vereint, manchmal aber auch gegeneinander aufgebracht. Keine Frage: Andere Länder haben eigene Musikwelten erschaffen, Millionen Mexikaner oder Brasilianer hören eher Cumbia, Norteño und Samba. Mit „Despacito“ging der Rekord für das meistgeklickte Youtube-Video kürzlich auch nicht an die USA, sondern an Luis Fonsi und Daddy Yankee aus Puerto-Rico. In vielen Teilen Afrikas und Asiens wird Musik aus der jeweiligen Region häufiger gespielt als die neue Single von Lady Gaga. Nur haben diese Künstler meist nicht die globale Reichweite wie ein von einem US-Label ins Ausland getragener Star.
Damit hört der kulturelle Einfluss nicht auf. In der Kunst sind die Namen Andy Warhol, Jackson Pollock oder Jeff Koons heute bald genauso bekannt wie Michelangelo, Pablo Picasso oder Vincent Van Gogh. Die Mode von Ralph Lauren und Calvin Klein mag hinter Karl Lagerfeld, oder Giorgio Armani zurückstehen, die in den USA erfundenen oder dort popularisierten Jeans, T-Shirts und Baseballkappen finden sich heute trotzdem in den entlegensten Winkeln der Erde. Ähnliches gilt in der Literatur: Bestsellergiganten wie Stephen King, John Grisham und Dan Brown mögen in deutschen Feuilletons nicht als Hochkultur gelten, haben die Büchermärkte
Selbst die Essenskultur ist „Made in USA“
dank Dutzender Übersetzungen aber überschwemmt. Im Sport haben sich etwa Basketball und Football nicht nur außerhalb der USA etabliert, sondern mit ihnen auch die Art, wie deren Wettkämpfe beworben, verfolgt und gefeiert werden. Selbst beim Essen haben die gern als kulinarische Stümper verschrienen Amerikaner sich etabliert: Pizza stammt aus Italien, wurde wie der Hamburger aber durch amerikanische Fast-Food-Ketten zum Straßensnack für Millionen.
„In Ländern rund um den Globus umarmen die Menschen die amerikanische Populärkultur und bewundern die USA für ihre Wissenschaft und Technologie“, schreibt das Pew
Center in einer Studie von 2012. Das gilt in Russland, Indien, China und muslimisch geprägten Ländern viel weniger, für Deutschland aber gaben 94 Prozent der damals 18- bis 29-Jährigen an, Musik, Filme und TV-Shows aus USA zu mögen, bei den Befragten über 50 Jahren waren es nur 47 Prozent. Wobei: Welchem Land ein Song, eine TV-Serie oder ein Film „gehört“, lässt sich oft kaum noch sagen. Konzerne wie Sony aus den USA, Bertelsmann aus Deutschland und Vivendi aus Frankreich haben sich einen großen Teil des amerikanischen Entertainment-Kuchens einverleibt und verzerren das Bild, schreibt Professor Winfried Fluck, der an der FU Berlin zur Kultur der USA und Amerikanisierung forscht.
Die kulturelle Schlagkraft der USA hängt auch damit zusammen, dass das Land von wirtschaftlichen Interessen beherrscht wird. In Deutschland hängt Kultur viel stärker am finanziellen Tropf der Steuerzahler. Kunst soll zuallererst bei den Bürgern ankommen und erst an zweiter Stelle als „soft power“ins Ausland exportiert werden. Die auf Einschaltquoten, Werbeerlöse, Klickzahlen und Chartplatzierungen getrimmte Entertainment-Industrie hat dagegen längst ausländische Märkte im Visier. Eine Mischung aus künstlerischer Freiheit, Unternehmergeist und fetten Budgets festigte die (pop-)kulturelle Vormachtstellung der USA über Jahrzehnte. Sehr oft waren dabei Talente aus dem Ausland die treibenden Kräfte, die unter Trump ihre Rolle in der amerikanischen Gesellschaft nun hinterfragt sehen. Im Kino werde den USA so schnell jedenfalls kein Land das Wasser reichen können, schreibt das Magazin
Foreign Policy: „Wenn Hollywood weiterhin die Besten und Hellsten aus dem Ausland anzieht, wird es unantastbar bleiben, egal wie weit der Rest Amerikas verfällt.“