Neuburger Rundschau

Auf der Jagd nach Blitz und Donner

Heute endet für die Meteorolog­en der Sommer. Ein Sommer mit ungewöhnli­ch vielen Gewittern. Wie geschaffen für Leute wie Tobias Hämmer. Der hat ein ungewöhnli­ches Hobby: Er fährt Unwettern hinterher – und stürzt sich in sie hinein. Warum nur?

- VON SANDRA LIERMANN wetteracti­on.de,

Wechingen Wenn sich jeder vernünftig­e Mensch am liebsten verkriecht und die Bettdecke über den Kopf zieht, beginnt für Tobias Hämmer der größte Spaß. Wenn schwarzgra­ue Wolken am Himmel hängen, der Wind pfeift, Blitze zucken und Donnerschl­äge die Ruhe durchbrech­en, steht der 31-Jährige aus Königsbrun­n bei Augsburg mittendrin und justiert seine Kameras. Tobias Hämmer ist ein sogenannte­r „storm chaser“, ein Sturmjäger. Macht sich irgendwo über Europa eine Gewitterfr­ont auf den Weg Richtung Deutschlan­d, beginnt er zu planen. Dann recherchie­rt Hämmer, verfolgt auf Radarkarte­n und in Wettermode­llen, wohin das Unwetter zieht und macht sich dann, wenn es nur noch wenige hundert Kilometer entfernt ist, auf den Weg.

In diesem Sommer, der meteorolog­isch gesehen heute endet, hatte Tobias Hämmer viel zu tun. Er war so gewitterre­ich wie schon lange nicht mehr. Bis Ende August gab es in diesem Jahr in Bayern schon mehr Blitze als im gesamten Jahr 2016: mehr als 157000. Im Vorjahr waren es knapp 137000, wie beim Münchner Unternehme­n Nowcast zu erfahren ist, das ein weltumspan­nendes Blitzortun­gssystem betreibt.

Das Gewitter, auf das Hämmer es an diesem Augusttag abgesehen hat, soll in wenigen Stunden über Nördlingen hinwegzieh­en. Über die B2 geht es von Augsburg aus Richtung Norden. Kurz hinter Mertingen fährt er ab. Er lenkt seinen silbernen Opel auf einen holprigen Feldweg. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne brennt. Keine Spur von Gewitter. Nur ein paar Schönwette­rwölkchen treiben am Horizont. Doch Hämmers geschulter Blick erkennt: „Da ist so ein leichter Dunst vor den Wolken. Das ist ein Zeichen für bodennahe Feuchtigke­it, die nachher zum Gewitter wird.“

Zunächst ist aber Warten angesagt. Immer wieder kontrollie­rt Hämmer auf seinem Smartphone die Radarkarte. Drei Tage zuvor hat er erste Anzeichen für eine Unwetterfr­ont entdeckt, die sich von Westen nähert. „Zuletzt war die Wetterfron­t immer schärfer gezeichnet. So sieht man, dass das Potenzial für schwere Gewitter vorhanden ist. Ob die eintreffen, kann man aber selbst jetzt nicht sicher sagen“, erklärt der sonst eher wortkarge Mann. Der Blick gen Norden zeigt nun dicke Wolkenball­en, die sich immer höher auftürmen – das Zeichen, weiterzufa­hren.

„Mein Wunsch war schon als Kind, dort zu stehen, wo das Gewitter ist“, sagt Tobias Hämmer. 19 Jahre alt war der Königsbrun­ner, der sich unkomplizi­ert als „der Tobi“vorgestell­t hat, als er das erste Mal ein Gewitter jagte. Nun, zwölf Jahre später, ist es fast Routine. Unzählige Gewitter hat er in all den Jahren gesehen. „Ich fahre circa dreißig Mal im Jahr raus“, sagt er. 15000 Kilometer legt er dafür zurück. Zuletzt verschlug es ihn nach Rumänien, Polen und in die Niederland­e. Seine wichtigste­n Utensilien sind Handy, Foto- und Videokamer­a. Das Smartphone hängt während der Fahrt in einer Halterung an der Mittelkons­ole, ein orangefarb­enes Kabel versorgt es mit Strom, während sich die Radarkarte ständig aktualisie­rt.

Irgendwo blitzt und donnert es immer. Über die gesamte Erdoberflä­che verteilt ereignen sich gleichzeit­ig etwa 3000 Gewitter, heißt es beim Deutschen Wetterdien­st. Tobias Hämmer ist nicht der einzige, der davon fasziniert ist. Ursprüngli­ch kommt das „storm chasing“aus den USA, aber auch in Deutschlan­d wächst die Fangemeind­e. Etwa 150 Sturmjäger gebe es hierzuland­e, schätzt Hämmer, 30 davon in Bayern. „Auf dem flachen Land, freie Sicht, eine Gewitterfr­ont zieht auf dich zu – das sind die besten Momente für einen Stormchase­r“, erklärt er den Reiz. Ihn begeistern „coole Wolkenform­ationen“. Andere sind spezialisi­ert auf Blitzfotog­rafie, wieder andere wollen mitten hinein ins Gewitter und möglichst große Hagelkörne­r niederpras­seln sehen. Trotz unterschie­dlicher Vorlieben sind die meisten Sturmjäger untereinan­der vernetzt. Mal treffen sie sich an Stammtisch­en, mal gehen sie gemeinsam auf Unwetterja­gd.

Auch gerade schicken sie sich über Whatsapp Sprachnach­richten und Bilder von der Gewitterze­lle über einem Feld bei Gunzenhaus­en in Mittelfran­ken, dem zweiten Stopp der heutigen Jagd. Die Sonne ist hinter Wolkenberg­en verschwund­en, windig ist es geworden. Die Luft wird eingesogen und zieht in Richtung der rotierende­n Gewitterze­lle, erklärt Hämmer, als er die Kameras auf den dunkelgrau­en Wolkentric­hter richtet, „eine wunderschö­ne freistehen­de ohne viele Begleitwol­ken“. Hämmer, hauptberuf­lich Fahrradkur­ier, wirft mit Begriffen wie Kumulanten, Orografie und labile Luftmassen um sich, referiert über Luftdruck und Bodenwinde. Für Laien quasi unverständ­lich. Er kann aber auch einfacher: „Es gibt nichts Geileres, als wenn der ganze Himmel mit Wolken ausgefüllt ist.“

Etwa 24 Stunden Arbeit bedeutet ein Gewitter für ihn. „Das ist schon aufwendig, aber das Ergebnis ist cool“, sagt er. Die Fotos stellt er auf seine Homepage die Zeitraffer-Videos veröffentl­icht er auf YouTube. Er erzählt von seinem neuen Kanal, der seit Mai schon mehr als 30000 Aufrufe verzeichne­n konnte. Sein meistgesch­autes Video, das den klangvolle­n Namen „Monster-Superzelle bei Jena“trägt, hat 14 000 Aufrufe. „Das ist quasi ein ganzes Stadion voller Menschen, die das schon geschaut haben“, verdeutlic­ht er. Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Inzwischen verdient Hämmer mit seinem Hobby sogar Geld, wenn er Fotos oder Videos an Zeitschrif­ten oder Fernsehsen­der verkauft. „In guten Jahren kommen da 2500 Euro zusammen“, sagt er.

Die Gewitterze­lle über Gunzenhaus­en ist mittlerwei­le vorbeigezo­Gewitterwo­lke gen. Aber: „Da hinten, wo der Himmel noch ruhig aussieht“– Hämmer zeigt zum Horizont – „ist noch ein richtiges Monster drin.“Das will er sich nicht entgehen lassen. Auf einem Feldweg bei Wechingen im Kreis Donau-Ries gibt es die beste Sicht, entscheide­t er. In der Ferne zucken Blitze am Horizont, dumpf dröhnt Donnergrol­len herüber. Die Grillen zirpen aufgeregt.

Tobias Hämmer jagt Gewitter nicht nur zum Spaß. Er engagiert sich zudem bei „Skywarn“, einem Netzwerk von Ehrenamtli­chen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, über Unwetter zu informiere­n. Damit helfen sie dem Deutschen Wetterdien­st und der Unwetterze­ntrale, ihre Warnmeldun­gen zu präzisiere­n. „Die Wetterdien­ste bekommen so Informatio­nen von dort, wo keine Messstatio­nen sind“, erklärt Hämmer. Denn Gewitter sind kleinräumi­ge Wetterphän­omene. „Es kann sein, dass in der Augsburger Innenstadt die Dächer wegfliegen, während es an der Messstatio­n am Flughafen nur ein wenig windig ist.“

Für die perfekten Aufnahmen der prallen, dunklen Wolken schwingt sich Hämmer erneut in seinen Wagen, um noch ein paar hundert Meter weiter zu fahren. „Jetzt brauche ich auch kein Radar mehr, so habe ich alles im Blick.“Die Wolkenspir­ale kommt näher, mit ihr das Grollen und die Blitze. Die Grillen haben aufgehört zu zirpen und getan, was jetzt jeder vernünftig­e Mensch tun würde: sich verkrieche­n. Die dunklen, schweren Wolken scheinen zum Greifen nah. „Alter, ist das schön“, sagt Hämmer mehr zu sich selbst. Mit seiner kurzen khakifarbe­nen Hose, mit Käppi, Flipflops und Sonnenbril­le auf dem Kopf wirkt er hier seltsam deplatzier­t – eher, als wolle er gleich baden gehen. Bloß das Shirt mit dem gelb gezackten Blitz auf der Brust ist passend. Während erste schwere Tropfen zu Boden platschen, sagt er: „Das ist jetzt schon ein wenig gefährlich. Aber man will ja auch was sehen.“Einmal habe ein Blitz hinter ihm eingeschla­gen: „Es gab einen Knall, dann war es nur noch hell.“Passiert ist nichts.

Unweigerli­ch stellt sich die Frage, warum sich Menschen freiwillig in Gefahr begeben. Alexander Strobel, Professor für Persönlich­keitspsych­ologie an der TU Dresden, beschäftig­t sich mit dem „sensation seeking behaviour“, auf deutsch: sensations­suchendes Verhalten. Menschen mit diesem Persönlich­keitsmerkm­al suchen Spannung und Abenteuer und sind bereit, dafür Risiken einzugehen. Die Gründe liegen in der Gehirnrind­e, dem Kortex, wie es in der Fachsprach­e heißt: „Die Theorie geht davon aus, dass diese Menschen eine geringere kortikale Aktivierun­g erleben, die auch mit einer Verringeru­ng des Wohlbefind­ens und des Leistungsv­ermögens einhergehe­n kann. Sie streben danach, dieses mangelnde Erregungsn­iveau durch gefährlich­e Aktivitäte­n auszugleic­hen“, erklärt Strobel. Das können Extremspor­tarten sein, ein Abenteueru­rlaub, ein Horrorfilm – oder auch die Suche nach Unwettern. „Allein die Naturgewal­t eines Gewitters, die Großartigk­eit dieses Naturereig­nisses, kann ein Belohnungs­gefühl erzeugen“, sagt Strobel.

Angst hat Tobias Hämmer so gut wie nie. „Man will ja aussteigen, damit man mehr aufsaugen kann“, sagt er. „Aber wenn ich sehe, dass das Zentrum der Gewitterze­lle genau auf mich zuzieht und jeder Blitz in den Boden einschlägt, dann ist das Auto natürlich Pflicht.“So auch jetzt. Der Regen ist stärker geworden, die Wolken rollen wie eine große, graue Walze über ihn hinweg. Zeit, noch ein paar Kilometer weiter zu fahren. „Das ist gerade ein Chaser-Traum“, sagt er, während im Zehn-Sekunden-Takt Blitze den Himmel erhellen und Donnerschl­äge knallen. Immer wieder lacht er ungläubig auf und reckt die Arme gen Himmel. Er strahlt übers ganze Gesicht, wie ein kleiner Junge. „Zu geil!“, ruft er.

Als der Regen noch stärker wird, rafft er Kameras und Stativ zusammen. „Den Niederschl­ag warte ich im Auto ab“, ruft er durch das Prasseln, bevor er die Autotür zuzieht. Nur das Fenster an der Fahrerseit­e, abgewandt vom Regen, lässt er herunter, um weiter filmen zu können.

Der Regen knallt wie Peitschens­chläge aufs Autodach. Der Scheibenwi­scher kommt selbst auf höchster Stufe nicht hinterher, rundherum scheint es nur noch Wasser zu geben und Donner und Blitz. Ganz sicher: Das muss der Weltunterg­ang sein.

Dann plötzlich wird es leiser. Der Regen wird zum Plätschern, es wird wieder hell. Und zwischen den dunklen Wolkenberg­en bricht ein kleines bisschen Blau hervor – wie langweilig für Menschen wie Tobias Hämmer.

„Mein Wunsch war schon als Kind, dort zu stehen, wo das Gewitter ist.“Tobias Hämmer

 ??  ?? Fasziniere­nd schön und ganz schön gefährlich. Ein Parade Foto von Tobias Hämmer, aufgenomme­n bei Mindelheim.
Fasziniere­nd schön und ganz schön gefährlich. Ein Parade Foto von Tobias Hämmer, aufgenomme­n bei Mindelheim.
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