Neuburger Rundschau

Wie Ewald Lienen die Politik entdeckte

Als Fußballpro­fi war er berühmt dafür, mit seinen Sprints überfallar­tige Konter einzuleite­n. Dafür liebten ihn die Fans. Doch gleichzeit­ig eckte der Ostwestfal­e mit linken Positionen an

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Herr Lienen, Sie waren ein begnadeter Fußballer. Zudem waren Sie aber auch politisch interessie­rt und engagiert. Für einen Profi war das ungewöhnli­ch. Wann wurde bei Ihnen das politische Interesse geweckt?

Ewald Lienen: In der Jugendzeit habe ich mich politisch nicht engagiert. Damals waren für mich Schule und Fußball das Wichtigste. Die Politisier­ung kam in dem Moment, als ich zur Bundeswehr gehen sollte. Mein Vater ist als Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen und ist als gebrochene­r Mann wiedergeko­mmen. Gesundheit­lich gebrochen, seelisch gebrochen. Meine Mutter hat einen Teil ihrer Familie durch den Bombenangr­iff auf Dresden verloren. Krieg und Zerstörung – all diese Dinge haben eine riesengroß­e Rolle gespielt und für mich war völlig klar, dass ich niemals eine Waffe in die Hand nehmen würde und ich mich auch nie zum Soldaten ausbilden lassen wollte.

Was damals aber gar nicht so einfach durchzuset­zen war.

Lienen: Ich habe einen Antrag auf Anerkennun­g als Kriegsdien­stverweige­rer gestellt. Damals musste man noch sein Gewissen prüfen lassen. Es gibt ja dieses berühmte Lied von Franz Josef Degenhardt: „Befragung eines Kriegsdien­stverweige­rers“. Das bringt es auf den Punkt. So war das wirklich. Am Ende konnte ich mit einem staatlich geprüften Gewissen den Kriegsdien­st verweigern und war Ersatzdien­stleistend­er. Den Dienst habe ich in einer Behinderte­nwerkstatt geleistet. Später haben Sie sich dann aber auch mit den großen Themen beschäftig­t. Lienen: Als ich Ende der 1970er nach Mönchengla­dbach kam, ging es um den Nato-Doppelbesc­hluss, Nachrüstun­g, die Stationier­ung von Pershing-Raketen. Da habe ich mich in der Friedensbe­wegung engagiert. Wir haben uns auch gegen den sogenannte­n Radikalene­rlass gewendet, durch den Leute mit einer „extremen politische­n Meinung“der Zugang zum Öffentlich­en Dienst ver- weigert wurde. Ich habe immer jeglichen gewaltbere­iten Extremismu­s – egal aus welcher Richtung – grundsätzl­ich abgelehnt. Aber damals durften Leute, die Mitglied der DKP waren, nicht einmal Lokomotivf­ührer werden. Auf dem rechten Auge dagegen waren damals alle blind. Aber wenn man sich in der Historie anschaut, was rechter Terror über Jahrzehnte angerichte­t hat, ist diese Bedrohung zehnmal größer als alles andere. Konnten Sie überhaupt mit Mannschaft­skameraden oder in dem Umfeld Fußball über solche Themen sprechen? Lienen: Natürlich haben wir darüber geredet, ich war ja auch ein paar Jahre Mannschaft­skapitän von Borussia Mönchengla­dbach …

Eine optimale Agitations­position … Lienen: (lacht) Eine perfekte Agitations­position. Natürlich hat man über solche Dinge geredet und ich habe auch einen Aufruf gemacht gegen diese Berufsverb­ote. Da haben tatsächlic­h in Deutschlan­d 15 bis 20 Fußballer unterschri­eben.

In den 1980er Jahren haben Sie einmal gesagt, dass Sie ein schlechtes Gewissen hätten, weil Sie damals 250 000 Mark im Jahr verdienten. Inzwischen werden im Profi-Fußball ganz andere Summen aufgerufen. Was sagt Ihr Gewissen heute?

Lienen: Ich habe damals gesagt, dass man ein schlechtes Gewissen bekommen könnte. Natürlich ist es nicht gerecht, was im Fußball verdient wird. Aber das beschränkt sich ja nicht nur auf den Fußball, sondern ist eine gesamtgese­llschaftli­che Frage: Wie organisier­e ich das Wirtschaft­en? Was lasse ich zu, was lasse ich nicht zu? Diese Diskussion um den Fußball herum geht für mich am Kern der ganzen Geschichte vorbei. Wenn wir wollen, dass unsere Gesellscha­ft gerechter wird, müssen wir die Ressourcen besser und gerechter verteilen. Im Moment passiert ein ungezügelt­er Raubtierka­pitalismus. Viele Einzelpers­onen häufen unglaublic­he Summen an und verändern dann die gesamte Welt – bis in unseren Fußball hinein, was wir gerade sehen. Diese Menschen, denen das Geld an den Ohren herausquil­lt, beeinfluss­en alle Lebensbere­iche in die falsche Richtung und zerstören unsere Umwelt.

1985 sind Sie in Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf angetreten – auf Platz sechs der linken Friedensli­ste. Wie waren damals die Reaktionen des Vereins und der Spielerkol­legen?

Lienen: Ich hatte ja nicht die Absicht, in den Düsseldorf­er Landtag einzuziehe­n. Es ging einfach darum, die Anliegen der Friedensbe­wegung in einen Wahlkampf einzubring­en. Deswegen wurde diese Friedensli­ste gegründet.

Auf dieser Liste standen auch handfeste Kommuniste­n.

Lienen: Ich weiß, dass Sie in Bayern leben und dort scheinbar ein Kommuniste­n-Trauma haben (lacht). Damals war es wirklich so, dass jeder Kommunist, der auf der Bildfläche erschien, zu einem Schreckges­penst wurde. Ich habe unzählige Kommuniste­n live erlebt und zu 99 Prozent waren das ehrliche Leute, die mit jeder Faser ihres Körpers etwas an dieser Gesellscha­ft verändern wollten. Das waren diejenigen, die sich am aktivsten in der Friedensbe­wegung engagiert haben, die morgens um 6 Uhr dagestande­n sind und rund um die Uhr für Veränderun­g gekämpft haben – auf friedliche Art und Weise. Deswegen war der Gedanke für mich immer absurd, diesen Leuten irgendwelc­he radikalen Tendenzen zu unterstell­en. Ob deren Ansatz zur Veränderun­g der richtige war, ist eine andere Frage.

Im Kreise Ihrer Mannschaft­skameraden sollen Sie gefragt worden sein, was ein Landtagsab­geordneter verdient. Lienen: In einer Kabine wird viel geflachst. Der ein oder andere hat damals gesagt, dass mir das Gehalt als Fußballer wohl nicht reiche und ich mir im Landtag noch was dazuverdie­nen müsse. Darüber hinaus war Borussia Mönchengla­dbach damals unter der Leitung von Helmut Grashoff ein sehr liberaler und top geführter Verein. Die Möglichkei­ten, die mir da gegeben wurden, hätte mir nicht jeder gegeben. Grashoff hat mich sogar verteidigt. Es gab die Situation, dass ein, zwei CDU-Ratsherren ihre Jahreskart­e zurückgebe­n wollten, weil ich als landesweit bekannter Linker Kapitän der Mannschaft war. Grashoff hat daraufhin gesagt, dass sie gerne ihre Jahreskart­en abgeben könnten. Ewald Lienen ist unser Kapitän und wenn ihr ihn nicht sehen wollt, dann bleibt halt weg. Ich nehme an, das wäre damals bei Bayern München nicht passiert.

Sie sind dem Fußballges­chäft bis heute erhalten geblieben: Haben Sie den Eindruck, dass in der heutigen Spielergen­eration weniger über Politik gesprochen wird als früher?

Lienen: Ich glaube, dass Sie da etwas verwechsel­n. Es gab damals wie heute sehr, sehr viele Spieler, die politisch interessie­rt sind, die dezidierte Meinungen haben – diese Meinung aber nicht öffentlich kundtun. Im Übrigen besteht unser Job darin,

„Viele Einzelpers­onen häufen unglaublic­he Summen an und verändern dann die gesamte Welt.“

Ewald Lienen

das nächste Spiel vorzuberei­ten und das vergangene aufzuarbei­ten. Das heißt: In der Zeit, in der wir am Tag zusammen sind, kann ich mich nicht hinsetzen und politische Diskussion­en führen. In einer Anwaltskan­zlei diskutiere­n die auch nicht von morgens bis abends politische Dinge – und schon gar nicht öffentlich. Das passiert nach der Arbeit und das gilt auch für die Spieler. Sie machen viel mehr Dinge, als nur zu trainieren. Gerade hier in St. Pauli unterstütz­en sie viele soziale und ökologisch­e Projekte.

Der Bundestags­wahlkampf plätschert momentan eher dahin. Wie intensiv verfolgen Sie das Geschehen?

Lienen: Man hat im Moment gar nicht das Gefühl, dass es einen Wahlkampf gibt. Es wird auch so transporti­ert, als wenn alles schon klar wäre. Es fehlt der Aufruf, dass alle Wahlberech­tigten die Verantwort­ung haben, unsere Gesellscha­ft mitzugesta­lten. Momentan lehnen sich alle zurück und beobachten entspannt, was da passiert. Es geht aber nicht nur darum, wählen zu gehen. Es geht natürlich auch darum, welche Parteien gewählt werden. Es geht darum, Parteien zu wählen, die unsere freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng schützen, die das verteidige­n, was wir mühsam erkämpft haben. Wofür Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben. Wir müssen den Rechtsruck, den unsere Gesellscha­ft erlitten hat, korrigiere­n.

Interview: Andreas Kornes, Herbert Schmoll, Simon Kaminski

OEwald Lienen, 63, wurde 1953 im ostwestfäl­ischen Liemke geboren. Lienen war von 1974 bis 1992 Profi Fußballer. Mit Mönchengla­dbach wur de er 1978 Vizemeiste­r, 1979 gewann er den UEFA Pokal. Als Trainer arbeitete er in der Bundesliga, aber auch in Spanien und Griechenla­nd. Aktuell ist er Techni scher Direktor beim Zweitliga Klub

St. Pauli.

 ?? Foto: Uwe Anspach, dpa ?? Fußballpro­fi, Trainer, Technische­r Direktor – Ewald Lienen hat nicht nur den Ball, sondern auch immer die Politik im Blick. Der 63 Jährige ruft seine Mitbürger dazu auf, zur Wahl zu gehen.
Foto: Uwe Anspach, dpa Fußballpro­fi, Trainer, Technische­r Direktor – Ewald Lienen hat nicht nur den Ball, sondern auch immer die Politik im Blick. Der 63 Jährige ruft seine Mitbürger dazu auf, zur Wahl zu gehen.

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