Neuburger Rundschau

Mit Psychiatri­e Patient auf Deutschlan­d Tournee

Die nächste Verfilmung aus Sven Regeners Romanreihe infolge des „Herr Lehmann“: Es geht in die Neunziger, es geht um Techno – und um eine Truppe zugedröhnt­er Pioniere. Ein Road-Trip, bei dem nur einer glänzt

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Manchmal bewegt sich einer nicht, aber deshalb ist er noch lange nicht tot“sagt Charlie, als der Alligator aus der Starre heraus plötzlich nach dem Fisch schnappt.

Aber eigentlich spricht Charlie hier über sich selbst. Er, gespielt von Charly Hübner, hat sich seit fünf Jahren nicht mehr aus seiner kleinen, umgrenzten Welt der therapeuti­sch betreuten Drogen-WG herausbewe­gt. Ab und zu mal ein heimlicher Ausflug in die Eisdiele zwei Straßen weiter, aber selbst dafür muss er sich im Plenum rechtferti­gen. „Nur ein Espresso ohne Zucker“lügt er den Betreuer (Bjarne Mädel) an und drückt seine Zigarette im überfüllte­n Aschenbech­er aus.

Die Regeln sind streng. Gefahren lauern überall. Und jene Angstzustä­nde, die mit Psychophar­maka gerade so unter Kontrolle gebracht werden, eine stete Bedrohung. Man kann sich kaum vorstellen, dass der schwere, große Langsamspr­echer in der aufkommend­en Berliner Technoszen­e einmal ein echter Partytiger und vielverspr­echender Künstler war.

Mit den Drogen kam ausgerechn­et am Tag der Maueröffnu­ng der Absturz und seitdem lebt Charlie ein Leben in der Warteschle­ife. Aber dann taucht Raimund (Marc Hosemann) aus dem Nichts in der Eisdiele auf. Der Kumpel aus der Techno-Szene betreibt zusammen mit Freund Ferdi (Detlev Buck) einen Klub und ein Plattenlab­el, mit dem sie stinkreich geworden sind. Doch Erfolg und Geld langweilen die Techno-Pioniere. Sie wollen wieder zurück zu den Wurzeln und mit einem Kleinbus voller befreundet­er DJs auf „Magical Mystery“-Tour gehen. Ihnen fehlt nur noch ein Fahrer, der keinerlei Drogen zu sich nimmt.

Und so fährt Charlie. Kreuz und quer kurvt die Techno-Combo durch Deutschlan­d von der Behinderte­n-Disco in Schrankenh­usenBorste­l bis zum Messehalle­n-Rave in Essen. Pünktlich um acht Uhr morgens zieht Charlie den Stecker, schleppt die zugedröhnt­e DJ-Gang aus den Klubs, bringt sie ins Hotel und chauffiert sie nach ein paar Stunden Schlaf zum nächsten Gig. „Ihr seid doch so Techno-Typen. Ihr steht doch drauf, wenn sich alles wiederholt. Macht ihr einfach noch einmal Hafenrundf­ahrt und Fischessen“– so rät eine Hamburgeri­n den Touris.

Damit wird ironisch nicht nur das musikalisc­he Sujet charakteri­siert – sondern auch das dramaturgi­sche Problem des Films benannt. Denn in „Magical Mystery“setzt Regisseur Arne Feldhusen („Stromberg“/„Der Tatort-Reiniger“), der hier Roman und Drehbuch von Sven Regner („Herr Lehmann“) verfilmt, auf Redundanz als Erzählprin­zip. Das ist anfangs noch komisch, wenn die DJ-Bande dreimal hintereina­nder denselben Weg zum selben China-Nudel-Laden zurücklegt, führt aber im Verlauf der Tour von Stadt zu Stadt zunehmend zu Langatmigk­eiten.

Es ist ja ein weitverbre­iteter Irrtum, dass es Spaß machen muss, anderen beim Spaßhaben zuzuschaue­n. Das gilt in besonderem Maße, wenn Drogen genommen werden. Dennoch ist „Magical Mystery“ein sehenswert­er Film, und das ist einzig und alleine Charly Hübner zu verdanken. Er ist einfach großartig in der Rolle des in sich zusammen gefallenen Psychiatri­e-Patienten, der sich langsam wieder ins Leben vortastet. Mit fein reduzierte­r Mimik spielt er die medikament­ös abgedämpft­en Emotionen seiner Figur und hält eine Begräbnisr­ede für ein Meerschwei­nchen, die einem fast das Herz rausreißt. Gerne hätte man mehr Zeit mit diesem Charlie verbracht – und seine zugedröhnt­en Freunde ins Bett geschickt. Kurz informiert Magical Mystery (1 Std. 51 Min.), Komödie, Deutschlan­d 2017

Regie Arne Feldhusen

Mit Charly Hübner, Marc Hosemann, Detlev Buck

Wertung *****

 ?? Foto: Gordon Timpen, DCM, dpa ?? Eine verwegene Techno Truppe (von links nach rechts): Charly Hübner als Charlie, Marc Hosemann als Raimund, Bastian Reiber als Basti, Jacob Matschenz als Holger, Detlev Buck als Ferdi, Leon Ullrich als Dubi und Sarah Bauerett als Anja in einer Szene...
Foto: Gordon Timpen, DCM, dpa Eine verwegene Techno Truppe (von links nach rechts): Charly Hübner als Charlie, Marc Hosemann als Raimund, Bastian Reiber als Basti, Jacob Matschenz als Holger, Detlev Buck als Ferdi, Leon Ullrich als Dubi und Sarah Bauerett als Anja in einer Szene...
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