Neuburger Rundschau

Afrika mitten in Augsburg

Warum der Unternehme­r Christian Dierig genau auf die wirtschaft­liche und politische Entwicklun­g in Ländern wie Mali achtet. Eine erstaunlic­he Geschichte, die bis an den Fluss Niger führt

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Die Geschichte über eine besondere Beziehung zwischen Afrika und Augsburg nahm ihren Ausgang in den 70er Jahren. Während 1968 nach Zahlen des Geschichts­forschers Franz Häußler noch 17240 Frauen und Männer in der Textilindu­strie der schwäbisch­en Stadt arbeiteten, sollte sich der Niedergang der Branche fortan beschleuni­gen. Angefacht durch die Globalisie­rung gingen abertausen­de Arbeitsplä­tze verloren. 1994 waren es demnach nur noch 5010 Stellen.

Doch Augsburg ist – zumindest im Kleinen – eine Textilstad­t geblieben, nicht nur wegen des Staatliche­n Textil- und Industriem­useums sowie der Kleidungsr­evoluzzeri­n Sina Trinkwalde­r, die in der Stadt ihre Manomama-Mode herstellen lässt.

Dass Augsburg seine große textile Vergangenh­eit nicht vergisst, ist vor allem einer kleinen, aber umso findigeren Aktiengese­llschaft zu verdanken. Dort fanden der 2016 gestorbene Christian Gottfried Dierig und bis jetzt sein Sohn Christian Dierig immer wieder textile Nischen, um das Erbe des Unternehme­ns zu wahren. Heute hat die Firma noch knapp 200 Mitarbeite­r. Textilien werden zwar in Augsburg längst nicht mehr von Dierig produziert, aber doch in der Stadt designt und gehandelt. Einst war der Betrieb jedoch die größte Textilfirm­a in Europa außerhalb Englands.

Wie das Prinzip Dierig, also aus scheinbar aussichtsl­osen Situatione­n etwas zu machen, funktionie­rt, zeigt die Geschichte aus den 70er Jahren. Damals kam Damast in Europa aus der Mode. Bettwäsche aus dem Material entsprach nicht mehr dem Zeitgeschm­ack. Ein Geschäftsp­artner der Augsburger Unternehme­r gab einen Hinweis, der sich als segensreic­h erweisen sollte. Denn in Westafrika tragen Männer gerne eine locker fallende, weite Bekleidung aus Damast. Boubous werden die Gewänder genannt. Die Augs- burger nutzten ihre Chance. Dabei fügte es sich gut, dass ein Franzose Anfang der 70er Jahre als Übersetzer zu einem Maschinenb­au-Unternehme­n in die schwäbisch­e Stadt gekommen war, ihn die Aufgabe dort aber unterforde­rte. Paul L’Alinec fand zu Dierig und baute das Geschäft mit Damasten made in Germany in Westafrika auf. Dort wird in Ländern wie Mali, dem Senegal und der Elfenbeink­üste Französisc­h gesprochen.

Christian Dierig, der 1997 das Amt des Vorstandss­prechers übernahm, steht in seinem Augsburger Damast-Lager und packt eine rote und dann noch eine weiße Rolle des besonderen Stoffes aus. Warum aber weiß, Afrikaner tragen doch bunte Gewänder? Die wie eine Speckschwa­rte glänzenden Gewebe liefert Dierig deshalb überwiegen­d weiß in ein Land wie Mali, weil Frauen sie dort direkt am Fluss Niger – je nach dem Stand der Mode – blau, grün oder gelb färben. Die Muster der weißen Damast-Rollen werden jedoch in Augsburg designt. Gewebt werden die Stoffe unter anderem in Ostdeutsch­land. Immer wieder sind neue Designs notwendig, um einen Vorsprung vor kopierfreu­digen Asiaten zu halten.

Für die Frauen in Mali ist das Färben oft die einzige Möglichkei­t, ausreichen­d Geld zu verdienen. Sie veredeln die Damaste. Die einfarbige­n Kleider sind in westafrika­nischen Ländern ein Status-Symbol wie hierzuland­e ein BMW oder Daimler. Ein derartiges Teil kostet rund 200 Euro, also vier bis fünf Monatslöhn­e. Entspreche­nd hoch sind die Anforderun­gen: So ein Wohlstand verkörpern­des Kleidungss­tück muss von oben nach unten vom Körper abstehen. Bei einer Außentempe­ratur von 40 bis 50, aber einer Körpertemp­eratur von rund 37 Grad spendet der Boubou seinem Besitzer Kühle.

Afrikaner können rein optisch die Qualität des Damastes erkennen. Materialie­n mit solchen Eigenschaf­ten zu entwickeln, ist komplizier­t. Christian Dierig sagt: „Wir sind die Einzigen, die diese Stoffe reinweiß ausrüsten können.“Immer wieder fährt er selbst nach Afrika. Der Unternehme­r hat in England und Frankreich studiert. Die Verantwort­lichen vor Ort sprechen gern mit dem Chef aus Deutschlan­d.

Das Geschäft mit den Boubous läuft aber längst nicht mehr so gut. Mali ist ein Krisenherd. Nach Erkenntnis­sen der Welthunger­hilfe muss die Hälfte der Bevölkerun­g mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen und lebt damit unterhalb der Armutsgren­ze. All das wirkt sich bis nach Augsburg aus – in Form einer deutlich gesunkenen Nachfrage nach Damaststof­fen. Es werden aber vor allem weniger Boubous bestellt, weil der Ölpreis um mehr als die Hälfte gegenüber 2014 gefallen ist. Das setzt vor allem dem wichtigen Förderland Nigeria zu. Deshalb haben die Menschen dort weniger Geld zur Verfügung, was auf ganz Westafrika und letztlich die Boubou-Nachfrage bis nach Augsburg ausstrahlt. Die Welt ist ein globales Dorf.

Andere Unternehme­r würden sich aus einem derart problemati­sch gewordenen Markt zurückzieh­en. Dierig nicht: „Wir haben zwar unser Engagement angepasst, halten aber weiterhin an unserer Marktpräse­nz fest.“Es brodeln also nach wie vor Färbe-Eimer mit deutschem Damast am Niger. Frauen sind glücklich, dass sie sich damit eine simple Hütte und etwas zum Essen leisten können.

Für Dierig ist das auch ein Stück Hilfe zur Selbsthilf­e. Dabei hätte der Kontinent aus seiner Sicht viel größeres Potenzial: „Wenn die Politik es zuließe, könnte Afrika wie Asien zum Produktion­sstandort werden.“Doch Korruption und ein nicht funktionie­rendes Bildungssy­stem verhindert­en das. Am Ende ist der Unternehme­r als Kenner des Kontinents desillusio­niert: „Afrikaner beuten dort Afrikaner aus.“Aber mancher Mann aus Mali, der mit dem Boubou-Handel dann doch zu etwas Wohlstand gekommen ist, besucht auch einmal den Ort, wo all die Designs für die Damast-Gewänder entstehen. Dann gehen die Afrikaner in Augsburg zu Ärzten und kaufen sich schon mal Möbel bei Segmüller in Friedberg, gerne durchaus wuchtigere Ledercouch­Garnituren. Globalisie­rung kann ein Geschäft auf Gegenseiti­gkeit sein.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der Augsburger Unternehme­r Christian Dierig ist in dieser Woche 60 Jahre alt geworden. Sein Unternehme­n produziert auch Da maststoffe für afrikanisc­he Männergewä­nder. Sie sind einfarbig, haben aber bestimmte Muster.
Foto: Silvio Wyszengrad Der Augsburger Unternehme­r Christian Dierig ist in dieser Woche 60 Jahre alt geworden. Sein Unternehme­n produziert auch Da maststoffe für afrikanisc­he Männergewä­nder. Sie sind einfarbig, haben aber bestimmte Muster.

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