Neuburger Rundschau

Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe (24)

-

Zwei Männer wollen Irene sowie ein Gemälde, das Irene nackt zeigt: der Unternehme­r Gundlach und der Maler Schwind. Ein Anwalt soll vermitteln; er lernt ebenfalls, Irene zu lieben … Aus: Bernhard Schlink Die Frau auf der Treppe

© 2014 by Diogenes Verlag AG Zürich

Ehe Gundlach Schwind erklären konnte, was es ihn anging, erinnerte Irene ans Frühstück. „Der Kaffee ist heiß, der Speck wird kalt, die Eier müssen in die Pfanne.“Sie sagte zu mir: „Holst du den Piloten? Und fragst Mark, ob er auf einen Kaffee kommt?“

Als ich mit beiden zurückkam, herrschte Waffenstil­lstand. Gundlach fiel ihm nicht ins Wort, als Schwind Irene von seinen abstrakten Arbeiten erzählte, und Schwind unterbrach ihn nicht, als Gundlach über Nachfolger­egelungen bei der Unternehme­nsführung redete. Irene thronte zwischen beiden und auch über uns, dem Piloten, Mark und mir, die über die erste und die letzte Zigarette in unserem Leben redeten. Ich hatte sie, seit ich bei ihr war, noch nie so lebhaft, so strahlend, so schön gesehen. Wie lange mochte ein Kokain-Hoch anhalten?

Nach dem Frühstück fuhr Mark mit dem Boot zurück. Irene oder ich würden Schwind nach Rock Harbour bringen, wenn es so weit war.

Der Pilot bot an, ihn dann zu fliegen, aber Gundlach fuhr ihn an, er habe den Hubschraub­er gemietet und brauche ihn in Bereitscha­ft, der Pilot solle gehen und sich darum kümmern, dass das Ding auch fliege, wenn es gebraucht werde.

Dann sah Gundlach in die Runde. „Lasst uns vernünftig miteinande­r reden. Der letzte beurkundet­e Eigentümer des Bildes bin ich. Sie, Schwind, müssten das Bild von mir erworben haben – wie das? Aufgrund des Vertrags? Der Vertrag taugte nichts. Wo ist er überhaupt? Ohnehin wollen Sie nicht vor Gericht darauf bestehen und dann in der Presse lesen, Sie hätten das Bild im Tausch für die Frau gekriegt, weil Ihnen das Bild mehr wert war als die Frau. Sie …“

„Die Presse frisst mir aus der Hand. Ich werde ihr die Geschichte schon so präsentier­en, dass die Leute sich das Maul über Sie zerreißen, nicht über mich. Der Vertrag… der Vertrag war sittenwidr­ig, das weiß ich inzwischen, aber ich weiß inzwi- schen auch, dass, was aufgrund eines sittenwidr­igen Vertrags geleistet wurde, nicht zurückverl­angt werden kann. Sie haben mir das Bild im Haus übergeben…“

„Übergeben? Das Bild war noch auf meinem Gelände, noch in der Hand meines Butlers und sollte erst in Ihren Besitz übergehen. Das klappte nicht; das Auto, in das das Bild gelegt wurde, war nicht mehr in Ihrem Besitz, sondern im Besitz des Diebs – der Diebin, wie wir jetzt wissen, und ihres Helfers.“

„Wenn Sie meinten, das Bild gehörte noch Ihnen – warum haben Sie den Verlust nicht gemeldet? Warum steht das Bild nicht im Art-LossRegist­er?“

„Warum ich den Verlust nicht gemeldet habe? Ich hatte damals schon den Verdacht, dass Irene das Bild gestohlen hat, und wollte ihr nicht schaden.“

„Wie sollte eine Meldung beim Register Irene schaden? Und wenn Sie Irene damals nicht schaden wollten, warum wollen Sie es heute?“

„Ich will ihr nicht schaden. Sie soll nur bei der Art Gallery klarstelle­n, dass es sich um mein Bild handelt. Es kann auch noch eine Weile in der Art Gallery hängen. Sie können es auch als Leihgabe auf Ihrer Werkschau zeigen.“Gundlach wandte sich zu Irene. „Aber du musst dem Spuk ein Ende machen.“

Er sah sie verletzt an, und plötzlich verstand ich, worum es ihm ging. Auch um das Bild, auch um das Geld. Aber wichtiger war etwas anderes. Gundlach fühlte sich der lachenden Irene unterlegen, so unterlegen wie damals, als sie ihn verließ und er sie nicht wiedergewi­nnen konnte. Vielleicht hatte er sich schon davor der Frau nicht gewachsen gefühlt, die ihm gegenüber Widerstand, Verweigeru­ng und Trotz nie aufgegeben hatte. Irene war die Niederlage seines Lebens, und er war gekommen, die Niederlage wettzumach­en. Dann lachte er. Es war ein hässliches, hämisches Lachen. „Also noch mal, eines nach dem anderen. Wenn er“, Gundlach zeigte mit dem Kopf zu mir, „den Vertrag noch hat, wird er den Teufel tun und ihn heraussuch­en. Einen solchen Vertrag setzt man nicht auf, auch nicht als junger Anwalt, und als alter will man ihn nicht aufgesetzt haben. Nein, Schwind, der Vertrag hilft Ihnen nicht. Wenn Sie denken, Sie haben Irene als Zeugin – Irene hilft Ihnen auch nicht. Du gehst nicht als Zeugin vor Gericht, Irene. Du wirst …“

„Du hast recht. Ich gehe nicht vor Gericht.“Sie stand auf. „Das Bild…“Aber Gundlach ließ sich nicht um seinen Triumph bringen. „Du wirst in Deutschlan­d gesucht und wür-dest auch hier gesucht, wenn man wüsste, dass du hier bist. Ich weiß nicht, warum niemand dich erkannt hat. Weil du nie verhaftet und nie, wie heißt es, erkennungs­dienstlich behandelt wurdest? Weil die Polizei kein gutes Fahndungsb­ild von dir hat, sondern nur eine Fotografie von einer Radarfalle, auf der du gefärbte Haare hast und eine Sonnenbril­le trägst und den Kopf senkst? Aber ich habe dich auf dem Fahndungsp­lakat wiedererka­nnt, und wenn du dich wieder zeigst, erkennen dich auch andere wieder.“

Irene antwortete nicht. Sie sah Gundlach zweifelnd an, als wisse sie nicht, was sie von seiner Offenbarun­g oder von ihm oder von sich zu halten habe. Dann zuckte sie lächelnd die Schultern. „Willst du mich anzeigen?“

„Was hast du damals getan? Du wusstest, wie wir lebten, wie wir wohnten, wo wir fuhren – deine Freunde konnten dich gut…

Irene antwortete nicht. Sie sah Gundlach zweifelnd an, als wisse sie nicht, was sie von seiner Offenbarun­g oder von ihm oder von sich zu halten habe. Dann zuckte sie lächelnd die Schultern. „Willst du mich anzeigen?“

„Was hast du damals getan? Du wusstest, wie wir lebten, wie wir wohnten, wo wir fuhren – deine Freunde konnten dich gut brauchen.“

„Wir?“Irene sah Gundlach spöttisch an.

„Ich kenne dich. Deinen Trotz, deinen Widerstand, dein Aufbegehre­n. Du wolltest nicht nur mich treffen und ihn“, er zeigte mit dem Kopf zu Schwind, „und ihn“, er zeigte zu mir, „du wolltest mit allen abrechnen. Wie weit bist du gegangen? Wolltest du eines Tages an der Tür klingeln, als sei alles wieder gut? Und dann zuerst Hannes erschießen und dann mich?“Gundlach redete sich in Rage. „Hannes mochte dich, er war mein Butler, aber er mochte dich mehr als mich, und er hätte dich selbstvers­tändlich reingelass­en und du hättest ihn ganz leicht… oder zuerst mich und dann ihn…“Gundlach sah Irene an, als bedrohe sie ihn auch jetzt.

„Du glaubst, ich wollte dich erschießen?“

„Wenn du nicht, dann deine Freunde, mit deiner Hilfe. Du meinst, ich erinnere mich nicht mehr? Ich erinnere mich an alles, deinen Hass auf unser Leben, deinen Traum vom vollen Einsatz für eine große Sache. Da mitmachen, wo die Gegenwart am intensivst­en ist – erinnerst du dich? Und als ich dich gefragt habe, was du mit diesem Motto unter Hitler oder unter Stalin gemacht hättest, hast du trotzig geschwiege­n. »25. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany