Neuburger Rundschau

„Theater, das keiner sieht, ist sinnlos“

Augsburgs neuer Intendant André Bücker will Spielpläne machen, die sich aus Geschichte, Gegenwart und Gesellscha­ft dieser Region ableiten sollen

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Heute ist gewiss nicht sein erster Arbeitstag für das Theater Augsburg, aber heute ist sein erster offizielle­r Tag im Intendante­n-Amt von Bayerisch-Schwabens größter Bühne. Von Juliane Votteler (Alleinstel­lungsmerkm­al: erste Intendanti­n Augsburgs) übernimmt André Bücker die Verantwort­ung für das Viersparte­n-Haus mit MusikTheat­er, Schauspiel, Ballett, Konzert. Auch Bücker hat sein Zeichen, sein Attribut, vielleicht sein Mal schon weg. Und zwar zwangsläuf­ig. Er wird als Sanierungs­intendant in die Geschichte der Stadt eingehen. Wenn es gut geht, was Anbietern wie Abnehmern nur zu wünschen ist, wird er erfolgreic­h Theater machen, doch ohne Augsburgs Großes Haus bespielen zu können, das mindestens bis Anfang der 2020er Jahre für 189 Millionen Euro zu generalübe­rholen ist. Bücker, soeben Gast unserer Redaktion: „Man hat das Haus verkommen lassen.“Wer wollte ihm darin widersprec­hen?

Aber auch wenn der 1969 nahe Osnabrück geborene neue Augsburger Intendant heute seinen ersten Diensttag hat: Fleißig investiert in die Augsburger Position hat er – natürlich mit Prokura – schon seit vielen Monaten. Das Spielzeit-Programm 2017/2018 war – seiner theatralis­chen Überzeugun­g entspreche­nd – zu gestalten sowie ein Ensemble zu finden, „das untereinan­der kann“. Und all dies unter der Maßgabe, dass die großen Produktion­en des Theaters, also vor allem Oper und großes Schauspiel, auf Jahre hinaus in einem herzuricht­enden Provisoriu­m stattfinde­n werden: im Gewerbegeb­iet „Martinipar­k“, im Augsburger Textilvier­tel.

Dort, an eher nüchternem Ort, soll André Bückers Auftakt-Premiere am 1. Oktober stattfinde­n: Carl Maria von Webers hochromant­ische Oper „Der Freischütz“. Er sagt dazu: „Es wird eng, es wird knapp, aber wenn nichts Unvorherge­sehenes dazwischen­kommt, steht der 1. Oktober.“

Aber was sind denn die Überzeugun­gen André Bückers für seine kommenden fünf Augsburger Vertragsja­hre, in denen er nebenbei den Theater-Sanierungs­fortgang zu begleiten und kritisch zu beobachten hat? Um drei Punkte kreist das Gespräch wiederholt: Bücker will das Repertoire-Theater wieder stärken in Augsburg, das heißt Neuprodukt­ionen wenigstens über zwei Spielzeite­n hinweg im Programm halten. Und jedes Stück soll dabei möglichst ausverkauf­t sein. Kompensati­onen und Querfinanz­ierungen unter den Produktion­en des Spielplans hält er für vernunftwi­drig: „Ein Theater, das keiner sieht, ist sinnlos.“

Weiter setzt Bücker, unter anderem mit 18 festen Schauspiel­ern, wieder verstärkt auf das EnsembleTh­eater – nicht zuletzt, weil diese Form für das Publikum einen „Identifika­tionschara­kter“trage. „Gäste und Werkverträ­ge sind nicht meins.“Damit hebt er sich deutlich ebenso von der Intendanz-Schlusspha­se seiner Vorgängeri­n ab wie auch in der Ankündigun­g seines Führungsst­ils: „Ich glaube, ich bin da anders.“

Und drittens – wohl wichtigste­r Punkt – will Bücker Theater-Inhalte favorisier­en, die sich aus dem Ort des Geschehens, also aus der regionalen Geschichte und Gegenwart sowie aus der (Stadt-)Gesellscha­ft ableiten lassen. So hat er es erfolgreic­h während seiner letzten Intendanz im theaterent­flammten Dessau gehalten, wo auf 80000 Einwohner jährlich bis zu 180 000 Theater-Besuche kommen – eine sensatione­lle Relation –, so wird er es in Augsburg fort- führen, wo es ebenfalls gute Beispiele aus der Vergangenh­eit gibt. „Die Weber“, diese Augsburger Produktion zum Thema Textilstad­t, die „hätte ich auch gern gemacht“, sagt Bücker so anerkennen­d wie gespielt enttäuscht über die bereits wahrgenomm­ene Gelegenhei­t.

Aber er annonciert Vergleichb­ares für seine erste Spielzeit, auf dass wie in Dessau „hohe Glaubwürdi­gkeit“erzielt werde: so das Drama „Das Spiel der Schahrazad“mit dem Augsburger Regisseur Ferdi Degirmenci­oglu als Migrant der ersten Gastarbeit­ergenerati­on, so als Uraufführu­ng ein Fugger-Musical namens „Herz aus Gold“für die Freilichtb­ühnen-Saison 2018, so eine Exillitera­turreihe im Augsburger „Grandhotel Cosmopolis“, wo Flüchtling­e, Touristen und Geschäftsr­eisende gleicherma­ßen Unterkunft finden, so die Operette „Roxy“mit dem ehemaligen FCATrainer Jimmy Hartwig als Gast in der Bundesliga-Stadt Augsburg, so der Internet-Auftritt „Making of Baustelle“, der ab heute sowohl dokumentar­isch wie fiktiv die Theater-Sanierung begleiten soll, so drei „Tatort“-Premieren mit Fahndung im öffentlich­en Augsburger Stadtteilr­aum, bei der Vereine, Institutio­nen und Originale mitwirken dürfen und sollen.

Dieser kleine Auszug aus Bückers Spielprogr­amm 2017/2018 zeigt aber auch, worauf es der studierte Theater-, Film- und Fernsehwis­senschaftl­er gleichzeit­ig anlegt: auf Vielfalt und die Kombinatio­n von (gesellscha­fts-)politische­m Theater und Unterhaltu­ng: „Theater ist politisch, Theater muss unterhalts­am sein.“Und er ergänzt: „Theater braucht Haltung. Theater ist eine Institutio­n, die moralische und ethische Werte vermitteln soll.“

Auf den Hinweis, dass demonstrat­ive Haltung auch als allzu romantisch und pädagogisc­h begriffen werden könne, kontert Bücker, der pro Spielzeit zweimal selbst inszeniere­n will: „Ich wäre nicht am Theater, wenn ich nicht auch eine romantisch­e Ader hätte.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Theater ist politisch. Theater muss unterhalts­am sein. Theater braucht Haltung.“Drei Sätze von Augsburgs neuem Intendante­n André Bücker.
Foto: Ulrich Wagner „Theater ist politisch. Theater muss unterhalts­am sein. Theater braucht Haltung.“Drei Sätze von Augsburgs neuem Intendante­n André Bücker.

Newspapers in German

Newspapers from Germany