Vom Reifrock zum Abendkleid
Die Neuburger Barockkonzerte feiern in knapp vier Wochen ihren 70. Geburtstag. In all den Jahren hat sich so manch nette Anekdote zugetragen. Eine Musikerin spielte zum Beispiel einst unfreiwillig im seidenen Untergewand, eine andere mit Schwips
Ü ppige Reifröcke, die durch keine Tür passen, weiß gepuderte Perücken, die drücken und kratzen, und brennende Kerzen in der leicht entflammbaren Provinzialbibliothek – so fing es mit den Neuburger Barockkonzerten im Jahr 1947 an. Bedingungen, die heute unvorstellbar sind. Kein Wunder also, dass sich in den vergangenen 70 Jahren viel verändert hat. Fritz von Philipp, Sohn des gleichnamigen Gründers, und Monika Schwamberger, die an Cello und Gambe 35 Mal mitwirkte, erinnern sich an angetrunkene Harfenistinnen, vergessene Noten und köstliches Essen.
„Als mein Vater diese Konzerte vor 70 Jahren ins Leben rief, war ich gerade einmal acht Jahre alt. Seitdem begleiten sie mich und wurden inzwischen zu einem Teil meines Lebens“, erzählt Fritz von Philipp, der die Gründerfamilie weiterhin im Stiftungsvorstand vertritt und die Barockkonzerte als Mäzen unterstützt. Die von Philipps kamen ursprünglich aus Leipzig, wo sie viel musiziert hatten. Dieser Passion wollten sie nach dem Krieg in Neuburg wieder nachgehen. „Am Anfang waren es nur Verwandte, Freunde und Bekannte, die im Rahmen von 14-tägigen ‘Arbeitsferien’ bei uns gewohnt haben“, sagt der 77-Jährige. Die Barockkonzerte seien quasi als Hausmusik geboren worden. Nach einer intensiven Probenphase bot das Ensemble – zunächst bestehend aus acht, später aus mehr Musikern – an vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils dasselbe Programm dar. Gründer Fritz von Philipp spielte dabei das Violoncello – 35 Jahre lang bis zu seinem 70. Geburtstag. „Und auch danach bildeten die Konzerte noch bis zu seinem Tod einen der Mittelpunkte seines Lebens“, so der Sohn.
Von den Anfängen bis Mitte der 1960er Jahre prägten Musiker aus dem Familien- und Freundeskreis die Barockkonzerte. Mitte der 60er bis Mitte der 80er kamen dann immer mehr Berufsmusiker hinzu. Der Anspruch des Publikums stieg. Die Salzburger Cellistin und Gambistin Monika Schwamberger wurde 1971 zum ersten Mal zu den Barockkonzerten eingeladen. Sie berichtet: „Wir trafen uns an einem Sonntag Anfang September in Neuburg, probten dann zwei Tage lang intensiv, hatten Mittwochvormittag ein Schülerkonzert – quasi als Generalprobe – und am Donnerstag gab es das erste Konzert in Kostüm und Perücke. Wir spielten damals noch in der Provinzialbibliothek (bis 1974) mit ungeheizten Gängen, aber dafür in einem von Kerzen aufgeheizten Konzertraum, der bis auf den letzten Platz ausverkauft war. Vorher hatte die Schneiderin alle Hände voll zu tun, die Kostüme den wachsenden und unterschiedlichen Körperumfängen anzupassen. So viel ich weiß, kamen die Kostüme aus einem Theaterfundus in München.“
Die Kostüme – das Tragen war eine Voraussetzung dafür, dass man bei den Barockkonzerten mitwirken durfte – bereiteten so manchem Musiker Probleme. So auch Schwamberger, die damals im Hotel Kieferl wohnte. „Es war schon allein schwierig, die enge Treppe im Reifrock und mit beiden Instrumenten zu bewältigen!“Und auch Fritz von Philipp fallen zur barocken Kleiderordnung Anekdoten ein. In den 1960er Jahren sollte er eine Geigerin nach einem Konzert ins Arco Schlösschen fahren – dort soll es ausgezeichnete Hechtklößchen gegeben haben. Von Philipp besaß zu dieser Zeit allerdings einen englischen Sportwagen, in dem zwei Personen gerade so Platz fanden. „Selbst zwar jung und gut in Form passte ihr voluminöser Rock in keine geschlossene Limousine. Eine echte Herausforderung! Schließlich fuhren wir aber mit ihr hinter uns auf dem Auto sitzend, wobei ihr Reifrock so breit war wie das Auto selbst, den Stadtberg hinunter.“Mitte der 1990er Jahre brachte die barocke Garderobe eine andere Musikerin in Verlegenheit: Während ihres Violinsolos glitt der Reifrock sanft nach unten. Von Philipp: „Als echter Profi spielte sie ihren Part souverän im seidenen Unterrock. Das Publikum war zunächst sprachlos, dann jedoch sehr diszipliniert.“Es gab rauschenden Applaus.
Schwamberger erinnert sich auch noch an etwas anderes gerne: an die ausgezeichnete Verpflegung. Fritz von Philipps Ehefrau Irmgard kam bei den Proben immer mit einem Körbchen vorbei. Darin hatte sie „duftenden Tee mit Rum und die köstlichen Neuburger Strauben versteckt. Die Strauben stammten stes von demselben Bäcker in der Franziskaner Straße. Ich dachte lange, so etwas Gutes noch nicht gegessen zu haben“, schwärmt die Cellistin heute noch. Eine beliebte Tradition sei auch das Entenessen bei Fritz Bergbauer gewesen, sagt Fritz von Philipp. „Die Profis hatten wenig Probleme, von hochkulturellem Musikgenuss auf profanere Genüsse umzuschalten“Der Alkohol wurde den Musikern allerdings einmal fast zum Verhängnis, wie sich der Neuburger erinnert: Ein Flötist wurde während eines Konzertes bei dem Versuch, seine Grippe mit warmer Weinschorle zu bekämpfen, „immer fröhlicher“. Zur gleichen Zeit begann eine Harfenistin, die ihrer Erkältung mit Glühwein begegnet war, Passagen zu spielen, die die übrigen Ensemble-Mitglieder nicht kannten. „Einer nach dem anderen resignierte deshalb und gab auf. Am Schluss auch die Harfenistin. Das hinderte das Ensemble aber nicht daran, sein Publikum nach einem fulminanten Neubeginn erneut zu begeistern“, schildert von Philipp.
Der Nachwuchs der von Philipps wurde in Anbetracht dieser Familiengeschichte natürlich nicht von einer musikalischen Ausbildung verschont. Der Sohn des Barockkonzerte-Gründers spielte mehrere Jahre lang Klavier. Und auch dessen Sohn, ein weiterer Fritz von Philipp, lernte Trompete. Als er einmal bei den Barockkonzerten mitwirken sollte, vergaß er seine Noten – und blies einfach stumm vor sich hin. Das Publikum merkte nichts, die Familie nahm es mit Humor.
1983 bis 2006 übernahmen die Freiburger Barocksolisten die Konzerte unter der künstlerischen Leitung von Günter Theis. Ab 2000 konnte man es sich nicht mehr leisten, dem Publikum vier Tage hintereinander dasselbe zu bieten. In diesem Jahr fand zum ersten Mal das Crossover „Baroque meets Jazz“statt. „Das Programm muss dem jeweiligen Zeitgeist entsprechen“, begründet Fritz von Philipp, der sich bei der Ausrichtung der Konzerte aktiv mit einbringt, die Entwicklung. „Wir müssen zeigen, dass Barock nicht eingestaubt ist, in dem wir immer wieder neue Akzente setzen.“Außerdem habe man sich der Professionalität der Musiker anpassen müssen, die irgendwann nicht mehr bei schlechtem Licht und in unbequemen Kostümen spielen wollten. Und auch die Rahmenbedingungen, wie etwa Brandschutzbestimmungen und Sicherheitsvorschriften änderten sich.
Von 2007 bis 2011 leitete dann Jürgen Bachmann die Barockkonzerte, seit 2012 macht dies Jutta Dieing. Von Philipp: „Ich denke, dass ihr als künstlerische Leiterin noch viel einfällt.“In Dieings Ära fallen zwei von von Philipps persönlichen Höhepunkten: die Sängerin Simone Kermes (2013) und das Helsinki Baroque Orchestra (2015). Dieses Orchester sei fast nicht mehr zu toppen, findet der Neuburger.
Die Hände in den Schoß legen will Fritz von Philipp nicht – obwohl die Barockkonzerte inzwischen auch überregional hohes Ansehen genießen und es die Veranstalter, wie sie sagen, geschafft haben, dass die Besucher deutlich jünger geworden sind. Fritz von Philipp: „Sollten wir merken, dass das Publikum wegbricht, werden wir uns auf jeden Fall etwas überlegen, sonst stirbt man einen stillen Tod.“
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