Schluss mit Schlips? Die New Economy machte es vor, alle machen es nach: Die Krawatte bleibt im Schrank. Eine Bilanz von Verlust und Befreiung
Da gibt es dieses Bild, ein Jahr alt. Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG präsentiert die Geschäftszahlen, bestens gelaunt. Das ist ein Pflichttermin mit drei Ausrufezeichen in seinem Kalender. Viele Kameras sind auf ihn gerichtet, noch mehr Journalisten sind da, die Berichterstattung fällt gewaltig aus. Dieter Zetsche lacht, noch kann er das, der Dieselskandal und die Kartellvorwürfe sind noch nicht bei seinem Konzern angekommen, er legt Rekordzahlen vor. Und er lässt Azubi-Herzen im Konzern höherschlagen. Der oberste Boss hat die Krawatte im Kleiderschrank gelassen, sein Hemdkragen steht offen. Da sitzt der Chef der deutschen Auto-Nobelmarke, der Herr über die S-Klasse, und er lässt das Herrenmode-Accessoire, das bislang wie kein anderes für Seriosität im Geschäftsleben stand, einfach weg; er kommt oben ohne.
Ein Zufall? Eher nein. Da ist gerade ein tief greifender Klimawandel in deutschen Büros im Gang. Die Krawatte ist dort Mode von gestern, bis auf die wenigen Termine, von denen man dann doch glaubt, sie nur förmlich gekleidet absolvieren zu können. „Casual“heißt das neue BüroZauberwort – zu Deutsch „locker“, „informell“, „zwanglos“. Wie dramatisch diese Wende hin zur neuen deutschen Lockerheit, Zwanglosigkeit, Lässigkeit ist, zeigt eine andere Wasserstandsmeldung aus dem vergangenen Jahr.
Die Hamburger Sparkasse, kurz Haspa, hat 2016 den Krawattenzwang für ihre männlichen Mitarbeiter aufgegeben. Wie es dazu kam? Es klingt kurios. Es gab dort ein Meeting, eines, an dem der Banken-Vorstand und die Auszubildenden der Firma teilnahmen. Einer der Azubis nutzte die Gunst der Stunde und hielt eine flammende Rede darüber, wie weltfremd Krawatten heute seien, wie viel Distanz diese knapp 150 Zentimeter Stoff, die täglich um den Männerhals gebunden werden, zum Kunden herstellen. So trieb der Azubi den Haspa-Banken-Vorstand ins Schlips-Matt. Und dieser machte aus der Not eine Tugend und schwang sich zum Vorreiter unter den deutschen Banken in Sachen Kleiderordnung auf. Die Haspa führte für alle Mitarbeiter den Business-Casual-Stil als neues Ideal ein. Das Motto dazu lautete: „Kompetenz braucht keine Krawatte“, wie Pressesprecherin Simone Naujoks sagt. Mit neuer Lockerheit geht es jetzt in die Firma. Wobei „casual“in der Firma nicht gleichzusetzen ist mit „casual“zu Hause. Die Mitarbeiter seien immer noch dazu angehalten, in ausgewählter Kleidung zur Arbeit zu erscheinen. Was gehe und was nicht gehe, habe eine Stilberaterin zusammengestellt, sagt Naujoks. Ob es oben ohne in der Haspa für die männlichen Mitarbeiter wirklich leichter geworden ist, nun kleidertechnisch den richtigen Ton zwischen Anzug mit Schlips und Trainingshose mit T-Shirt zu treffen? – Man(n) weiß es nicht.
Man weiß nur, der Krawatte geht es in diesen Tagen gehörig an
Selbst in Bankfilialen nicht mehr der Standard
den Kragen. Wenn sie selbst in Bankfilialen nicht mehr zum Standard-Outfit des Kundenberaters gehört, dann gehört sie auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Kleidungsstücke. Modetechnisch wegrevolutioniert – ein an sich funktionsloses Accessoire, das plötzlich nicht mehr gebraucht wird, um den Unterschied auszumachen.
Ja, den Unterschied ausmachen. Da war doch was? Richtig. Genau deshalb war unser aller Pep in München engagiert worden. Der Welttrainer, der den Klub endgültig neben Madrid, Barcelona und Manchester zu der Weltmarke machen sollte. Und wie er da manchmal am Spielfeldrand stand, hätte das wirklich etwas werden können: schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze, schmale, lässige Krawatte. Es geht doch auch mit Schlips, wenn man nur weiß, was man dazu tragen muss. Aber in Pep Guardiolas drei Münchner Jahren ist es ihm weder gelungen, die Champions League zu gewinnen, noch den deutschen Männern die Krawatte wieder schmackhaft zu machen, obwohl er darin „buenisima figura“gemacht hat.
Typisch Spanier kann man auch einfach sagen. Männermodetechnisch spielen sie einfach immer gemeinsam mit Italienern zwei Ligen über Deutschland. Da