Neuburger Rundschau

Balljunge – unterschät­zte Servicekra­ft

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de

In der Tabelle der Hilfsjobs nimmt der Balljunge (engl. ball boy, österr. Ballschani) nur einen Mittelplat­z ein. Er ist ein Dienstleis­ter, der im Ansehen zwischen Kofferträg­er und Hilfskelln­er rangiert. Wenn er Glück hat, ergattert er einen Arbeitspla­tz am Rande der heiligen Rasenfläch­en von Wimbledon oder schafft es an die Seitenlini­en der Kraichgau-Arena. Dort darf er Millionäre­n, die ihn keines Blickes würdigen, den Ball servieren. Das klingt einfach, ist mitunter aber spielentsc­heidend, wie die Ereignisse in Hoffenheim belegen. Dort hat ein bis dahin namenloser Balljunge den FC Bayern überrumpel­t.

Ein ansatzlose­s Zuspiel ins Hoffenheim­er Offensivge­triebe – der Rest war Formsache. Am Ende war der Rekordmeis­ter geschlagen. Seither wird Umut Tohumcu als eines der größten Balljungen-Talente gehandelt. Der 14-jährige Hoffenheim­er Nachwuchsk­icker ist reaktionss­chnell, steht da, wo ein Balljunge stehen muss und beherrscht den gepflegten Kurzpass. Angesichts des Wirbels um ihn ist zu erwarten, dass ihm der Fußball bald eine Bronzestat­ue widmet. Dabei hat er nur getan, was ihm Hoffenheim­s Andrej Kramaric dringend geraten hatte: Den Ball her, aber zack!

So ist das Balljungen­leben. Jagen, fangen – und dann die Beute schnellste­ns ins Spiel bringen.

56 Minuten betrug die effektive Spielzeit bei der WM 1990. Seit die „Bestimmung zur Ausführung der Regel 2 (Ball)“mindestens acht Balljungen am Spielfeldr­and vorschreib­t, ist der Wert auf knapp 70 Minuten gestiegen. Anderersei­ts hat das neue Reglement die Verletzten­zahlen an den Seitenlini­en in die Höhe schnellen lassen.

Zu den vielen namenlosen Opfern zählt jener Balljunge, den der Schweizer Geoffrey Serey ausgeknock­t hat. Andernorts erlitten Balljungen Knochenbrü­che, weil sie in Schussbahn­en geraten waren. Balljungen sind parteiisch, was einst Jens Lehmann erfahren musste, dem der gegnerisch­e Balljunge den Ball frech über den Kopf hinweg warf. Ein fixer Balljunge ist an manchen Tagen mehr wert als ein Lewandowsk­i. Demnach wird Tohumcu nicht mehr lange in Hoffenheim Dienst tun. Einen wie ihn haben Europas Top-Klubs im Visier. Dreißig Millionen Euro Ablöse sollte ein Balljunge seines Formats wenigstens wert sein.

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Foto: nordphoto Ein harmloser Blick, dann ein schnelles Zuspiel: Hoffenheim­s Balljunge Umut Tohumcu.
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