Neuburger Rundschau

Mit ganzem Herzen für Europa

Jean-Claude Juncker hält eine flammende Rede im Parlament. Seine Ideen für die Zukunft der EU haben es in sich

- VON DETLEF DREWES

Straßburg Es ist Zeit zum Aufbruch. Das jedenfalls will Jean-Claude Juncker vermitteln, als er an diesem Mittwochmo­rgen ans Pult des Straßburge­r Europaparl­amentes tritt. Der EU-Kommission­spräsident hat sich viel vorgenomme­n. „Europa hat wieder Wind in den Segeln“, heißt seine Botschaft, nachdem er noch vor genau einem Jahr an gleicher Stelle von „einem schlechten Zustand“gesprochen hatte, in dem sich die Gemeinscha­ft befinde. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die Populisten sind bei den Wahlen 2017 gescheiter­t. In Frankreich sitzt ein junger Staatspräs­ident, der die EU umbauen will, in Berlin kann er auf eine Kanzlerin setzen, die ebenfalls mehr Zusammenar­beit in Europa fordert. Juncker macht mit. Und wie.

Der Euro soll bis 2025 in allen Mitgliedst­aaten der Union eingeführt, die EU-Spitze ausgedünnt werden: An die Stelle von zwei Präsidente­n von Kommission und Europäisch­em Rat (EU-Gipfel) müsse einer treten. „Ich werde mich nicht bewerben“, fügt er sofort hinzu. Für die Eurozone fordert er einen Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster, der zugleich für Währungsfr­agen in der Kommission zuständig sein soll.

Immer wieder wird der Kommission­schef, der von sich selbst sagt, er habe „sein ganzes Leben für Europa gearbeitet und manchmal an Europa gelitten“, von Beifall unterbroch­en. So auch, als er der Türkei offen sagt, sie solle „endlich aufhören, unsere Staats- und Regierungs­chefs mit Nazi-Vergleiche­n zu beschimpfe­n“. Und dann noch hinterhers­chiebt, dass „es auf absehbare Zeit für Ankara keine Mitgliedsc­haft in der EU“geben werde. Es ist ein starker, selbstbewu­sster Präsident, der sich an die Spitze einer Gemeinscha­ft stellt, die „viel Grund zur Zufriedenh­eit hat“.

Die Arbeitslos­igkeit befinde sich auf einem Neun-Jahres-Tief, acht Millionen neue Jobs seien seit 2014 entstanden, 235 Millionen der 511 Millionen EU-Bürger haben Arbeit. Die Industrie werde man stärken, kündigt Juncker an. „Bei Innovation, Digitalisi­erung und Dekarbonis­ierung wollen wir zur Weltspitze werden.“Zugleich fordert er mehr Abwehrbere­itschaft und Einsatz für die europäisch­en Werte. „Im Mittelmeer rettet Italien Europas Ehre“, lobt er den Einsatz der Regierung in Rom, die über 100000 Flüchtling­e aufgenomme­n habe. Nun werde die Kommission eine konsequent­ere Rückführun­g vorschlage­n.

„Ich habe mein ganzes Leben für Europa gearbeitet und manchmal an Europa gelitten.“

Jean Claude Juncker

Die Grenzen seien inzwischen dicht. Doch zu den Werten gehöre auch die Rechtsstaa­tlichkeit. Ohne Polen oder Ungarn zu nennen, die sich weigern, Flüchtling­e aufzunehme­n und ein entspreche­ndes Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes umzusetzen, bezeichnet er die mangelnde Solidaritä­t als „traurig“.

„Danke für den Aufbruch“, antwortete der Chef der christdemo­kratischen Mehrheitsf­raktion, Manfred Weber (CSU), als der Kommission­spräsident fertig ist. „Eine mutige Rede“, lobte Reinhard Bütikofer, Chef der europäisch­en Grünen. Tatsächlic­h hat Juncker die Diskussion um eine Zukunft der EU aufgegriff­en und befeuert. Irgendwo zwischen den französisc­hen Forderunge­n von Präsident Emmanuel Macron, der sehr weitgehend­e Reformen fordert, und der zurückhalt­enden Position der deutschen Kanzlerin, die Vertragsän­derungen vermeiden will, bemühte er sich um Neuerungen, die „möglich“seien.

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Foto: Patrick Hertzog, afp Glücksbrin­ger? Vor seiner Rede küsst Kommission­spräsident Jean Claude Juncker die Glatze seines Stellvertr­eters Frans Timmermans.
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