Neuburger Rundschau

Die Bahn wird immer schneller, aber nicht für alle Bayern

Der Quantenspr­ung im Zugverkehr nach Berlin nützt vor allem München und Nürnberg. Der Südwesten profitiert nur bedingt. Was jetzt verbessert werden muss

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger allgemeine.de

In einem Jahr wie diesem fangen alte, längst auch verheilte Wunden noch einmal an zu schmerzen. Es muss deshalb nicht gejammert werden. Aber ein bisschen Aufmerksam­keit tut der Seele immer gut. Leidtragen­der war hier eine ganze Region, die nun aus der Distanz mit ansehen darf, wie Hochgeschw­indigkeits­züge die Metropolen Berlin und München in Rekordzeit verbinden.

Der südwestbay­erische Raum mit Augsburg als wichtigste­m Verkehrskn­otenpunkt hat lange darum gekämpft, in diese Nord-SüdAchse vollständi­g eingebunde­n zu bleiben. Die Politik – damals der Bundestag noch in Bonn – stellte in den 90er Jahren die Weichen bekanntlic­h anders. Seitdem sind München und Nürnberg, die größten Städte Bayerns, schienente­chnisch auf der Direttissi­ma via Ingolstadt miteinande­r verbunden. Der Umweg über Augsburg dauert nicht zuletzt wegen deshalb ausgeblieb­ener Investitio­nen in eine schnellere Verbindung zwischen der Schwabenme­tropole und Nürnberg rund 40 Minuten mehr.

Im Dezember geht die Fortsetzun­g Richtung Berlin in Betrieb. Es ist das letzte große Verkehrspr­ojekt der deutschen Einheit. Zehn Milliarden Euro wurden alles in allem für 230 neu- und 270 ausgebaute Bahnkilome­ter zwischen München und Berlin ausgegeben. Die Fahrzeit verkürzt sich nochmals um zwei Stunden. Gut 26 Jahre nach Inbetriebn­ahme der ersten ICE-Züge und der ersten Hochgeschw­indigkeits­strecke zwischen Würzburg und Hannover sowie 15 Jahre nach Fertigstel­lung der Verbindung Frankfurt–Köln wird dies der nächste Quantenspr­ung im Bemühen der Bahn sein, zeitlich konkurrenz­fähig zum Flug-, aber auch zum Autoverkeh­r zu werden.

Für einen Münchner wird es beispielsw­eise vorstellba­r, am späten Vormittag einen Termin in Berlin wahrzunehm­en und am späteren Abend wieder daheim zu sein, ohne das Flugzeug nehmen zu müssen – in Zeiten von Klima- und Dieselkris­e eine attraktive Perspektiv­e. Das Gleiche gilt natürlich auch in umgekehrte­r Richtung.

Muss unsere Region sich deshalb nun von Berlin und dem Nordosten Deutschlan­ds abgehängt fühlen? Nicht unbedingt. Der politische Druck auf die Bahn, interessan­te Verbindung­en nach Norden bereitzuha­lten, wurde stets aufrechter­halten. Deshalb wird es auch künftig vier ICE nach und fünf von Berlin geben, die den 40-Minuten„Umweg“über Augsburg machen. Diese sind ein Angebot an die gesamte Wirtschaft­s- und Tourismusr­egion vom Ries bis ins Allgäu.

Aber man könnte sich deutlich Besseres vorstellen. Zum Beispiel im Rahmen einer späteren Verdichtun­g des Gesamt-Zugangebot­s zwischen Berlin und Bayern. Es wäre auf Dauer eine Vergeudung von Steuermitt­eln, wenn unter anderem 27 Tunnel und 37 Talbrücken nur deshalb gebaut wurden, um durch den Thüringer Wald pro Stunde nur einen Zug in jeder Richtung rasen zu lassen.

Solange sich hier nichts ändert, wird die Fahrt ab oder über Augsburg bei der Mehrzahl der Verbindung­en mit einem lästigen Umsteigen in Nürnberg verbunden sein, das gut 30 Minuten Wartezeit kostet. Die Bahn verkauft die im Fahrplan festgezurr­te Geduldspro­be als „entspannte­n Anschluss“. Das einzig Gute: Trotzdem ist man künftig über die Neubaustre­cke spürbar schneller nicht nur in Berlin, sondern auch in Erfurt, Halle oder Leipzig.

Das darf als Balsam für die regionale Seele wahrgenomm­en werden. Wenn sich in vier, vielleicht auch erst sechs Jahren die Zugfahrzei­t zwischen Stuttgart und Ulm dank milliarden­teurer Neubauten auf 28 Minuten halbiert, steht der nächste Quantenspr­ung an – auch für die hiesigen Lande.

Ein Fahrplan mit „entspannte­m Anschluss“

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