Die Bahn wird immer schneller, aber nicht für alle Bayern
Der Quantensprung im Zugverkehr nach Berlin nützt vor allem München und Nürnberg. Der Südwesten profitiert nur bedingt. Was jetzt verbessert werden muss
In einem Jahr wie diesem fangen alte, längst auch verheilte Wunden noch einmal an zu schmerzen. Es muss deshalb nicht gejammert werden. Aber ein bisschen Aufmerksamkeit tut der Seele immer gut. Leidtragender war hier eine ganze Region, die nun aus der Distanz mit ansehen darf, wie Hochgeschwindigkeitszüge die Metropolen Berlin und München in Rekordzeit verbinden.
Der südwestbayerische Raum mit Augsburg als wichtigstem Verkehrsknotenpunkt hat lange darum gekämpft, in diese Nord-SüdAchse vollständig eingebunden zu bleiben. Die Politik – damals der Bundestag noch in Bonn – stellte in den 90er Jahren die Weichen bekanntlich anders. Seitdem sind München und Nürnberg, die größten Städte Bayerns, schienentechnisch auf der Direttissima via Ingolstadt miteinander verbunden. Der Umweg über Augsburg dauert nicht zuletzt wegen deshalb ausgebliebener Investitionen in eine schnellere Verbindung zwischen der Schwabenmetropole und Nürnberg rund 40 Minuten mehr.
Im Dezember geht die Fortsetzung Richtung Berlin in Betrieb. Es ist das letzte große Verkehrsprojekt der deutschen Einheit. Zehn Milliarden Euro wurden alles in allem für 230 neu- und 270 ausgebaute Bahnkilometer zwischen München und Berlin ausgegeben. Die Fahrzeit verkürzt sich nochmals um zwei Stunden. Gut 26 Jahre nach Inbetriebnahme der ersten ICE-Züge und der ersten Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Würzburg und Hannover sowie 15 Jahre nach Fertigstellung der Verbindung Frankfurt–Köln wird dies der nächste Quantensprung im Bemühen der Bahn sein, zeitlich konkurrenzfähig zum Flug-, aber auch zum Autoverkehr zu werden.
Für einen Münchner wird es beispielsweise vorstellbar, am späten Vormittag einen Termin in Berlin wahrzunehmen und am späteren Abend wieder daheim zu sein, ohne das Flugzeug nehmen zu müssen – in Zeiten von Klima- und Dieselkrise eine attraktive Perspektive. Das Gleiche gilt natürlich auch in umgekehrter Richtung.
Muss unsere Region sich deshalb nun von Berlin und dem Nordosten Deutschlands abgehängt fühlen? Nicht unbedingt. Der politische Druck auf die Bahn, interessante Verbindungen nach Norden bereitzuhalten, wurde stets aufrechterhalten. Deshalb wird es auch künftig vier ICE nach und fünf von Berlin geben, die den 40-Minuten„Umweg“über Augsburg machen. Diese sind ein Angebot an die gesamte Wirtschafts- und Tourismusregion vom Ries bis ins Allgäu.
Aber man könnte sich deutlich Besseres vorstellen. Zum Beispiel im Rahmen einer späteren Verdichtung des Gesamt-Zugangebots zwischen Berlin und Bayern. Es wäre auf Dauer eine Vergeudung von Steuermitteln, wenn unter anderem 27 Tunnel und 37 Talbrücken nur deshalb gebaut wurden, um durch den Thüringer Wald pro Stunde nur einen Zug in jeder Richtung rasen zu lassen.
Solange sich hier nichts ändert, wird die Fahrt ab oder über Augsburg bei der Mehrzahl der Verbindungen mit einem lästigen Umsteigen in Nürnberg verbunden sein, das gut 30 Minuten Wartezeit kostet. Die Bahn verkauft die im Fahrplan festgezurrte Geduldsprobe als „entspannten Anschluss“. Das einzig Gute: Trotzdem ist man künftig über die Neubaustrecke spürbar schneller nicht nur in Berlin, sondern auch in Erfurt, Halle oder Leipzig.
Das darf als Balsam für die regionale Seele wahrgenommen werden. Wenn sich in vier, vielleicht auch erst sechs Jahren die Zugfahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm dank milliardenteurer Neubauten auf 28 Minuten halbiert, steht der nächste Quantensprung an – auch für die hiesigen Lande.
Ein Fahrplan mit „entspanntem Anschluss“