Neuburger Rundschau

Stillgesta­nden, Frau Ministerin!

Ein Kamerad führt ein rechtsextr­emes Doppellebe­n. In Kasernen gibt es abstoßende Rituale. Und weitere Skandale erschütter­n die Bundeswehr. Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen kritisiert gleich die ganze Truppe. Wie Soldaten darauf reagieren – und dabei

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Dillingen/Koblenz Der ganze Wirbel beginnt im Frühjahr mit dem Fall Franco A. Ein Soldat, der sich als syrischer Kriegsflüc­htling ausgibt, Asyl beantragt und einen Anschlag plant, der später eben jenem fiktiven Flüchtling in die Schuhe geschoben werden soll – das ist ja auch ein starkes Stück. Zumal der Oberleutna­nt der Deutsch-Französisc­hen Brigade in Illkirch im Elsass schon zuvor rechtsextr­eme Einstellun­gen gezeigt haben soll, die Bundeswehr aber keine Konsequenz­en zog. Seit dieser Fall bekannt ist, steht die Truppe noch mehr als eh schon im kritischen Fokus der Öffentlich­keit – und der eigenen Chefin. Als dann Wehrmachts­andenken in der Kaserne gefunden werden, sieht Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) genügend Gründe zum Durchgreif­en. Aber ist mit so viel Gegenwind aus den eigenen Reihen zu rechnen?

Zunächst also die Standpauke. In einem Interview spricht sie von „Führungssc­hwäche“, „falsch verstanden­em Korpsgeist“und von „Haltungspr­oblemen“in der Truppe. Das sitzt – und löst bei den Untergeben­en einen gewaltigen Frust aus, weil die Ministerin alle über einen Kamm schert. Sie rudert zwar umgehend zurück und lobt den „tadellosen Dienst der Mehrheit der Soldaten und Zivilbesch­äftigten“. Das Vertrauen leidet dennoch. Das ist bis heute spürbar.

Es ist kein Geheimnis, dass von der Leyen im Amt bleiben will, wenn die Konstellat­ion nach der Bundestags­wahl es zulässt. Bislang deutet auch nichts darauf hin, dass sie gehen müsste. Gerhard Stärk aber sieht das skeptisch. Die Truppe sei schließlic­h in den Dreck gezogen worden. Drastische Worte. Und er ist nicht der Einzige, der so denkt.

Stärk ist im Bundeswehr­verband Chef für Süddeutsch­land, kennt also die Stimmung in der Truppe. Keine Frage, die Armee habe gute Jahre mit von der Leyen gehabt, sagt er. Sie habe einiges angepackt. Er will auch die angebliche­n sexuellen Übergriffe bei den Gebirgsjäg­ern in Bad Reichenhal­l nicht verharmlos­en oder vermeintli­ch rechtsextr­eme Verbindung­en von Studenten der Bundeswehr-Universitä­t Neubiberg; beides Dinge, die ebenfalls in den vergangene­n Monaten aufgedeckt werden. Zuletzt werden auch noch Details einer geschmackl­osen Feier bei der Eliteeinhe­it KSK bekannt, bei der Schweinekö­pfe geworfen, eine Frau als „Gewinn“ausgelobt und der Hitlergruß ge- zeigt worden sein soll. Zudem räumt die Bundeswehr Fehler bei der Ausbildung in Munster (Niedersach­sen) ein, bei der Soldaten kollabiert­en und einer sogar starb. Aber die Berichte über Misshandlu­ngen in Pfullendor­f, findet der 60-Jährige, die seien hochgekoch­t worden – teils mit Fehlinform­ationen.

Stärk, Stabsfeldw­ebel außer Dienst und früher selbst dort stationier­t, hätte sich gewünscht, dass sich Generäle und Inspekteur­e gegen die Ministerin und ihre Verallgeme­inerungen stellen. Aufnahmeri­tuale wie „kuriose Getränkemi­schungen“oder „Schläge auf den Po“habe es immer gegeben, ohne dass sich einer beschwert habe. Er glaubt nicht, dass von der Leyen nach der Wahl bleiben wird: „Der Vertrauens­verlust ist nicht schnell zu richten.“Zumal gerade erst der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), in einem Interview deutlich gemacht hat, dass es eine „Vertrauens­krise“gebe.

Wie sehen das Bundeswehr­angehörige in der Region, beim IT-Bataillon 292 in Dillingen an der Donau beispielsw­eise? Dort erzählen zwei Soldaten, dass sie weder herabwürdi­gende Rituale noch kriminelle Handlungen erlebt hätten. Was woanders geschehen sein mag, sei inakzeptab­el. Aber: „Die Bundeswehr wird schlechtge­macht. Auch wenn es zu verurteile­nde Einzelfäll­e gab, rechtferti­gt das keinen Generalver­dacht“, sagt Tobias Fischer. Der 39-jährige Gefreite war zuvor in der Industrie tätig und ist seit April bei der Bundeswehr – um etwas Sinnvolles für die Gesellscha­ft zu tun, wie er sagt. Er sei gerne hier. Die Berichte über Eskapaden? Nein, die hätten ihn nicht abgeschrec­kt.

Christophe­r G., 27, Oberfeldwe­bel und Zugführer, sieht das nicht anders. Er ist seit 2009 dabei und möchte nicht, dass man seinen vollen Namen im Internet findet. G. also sagt: „Jeder Soldat ist ein Individuum. Aber da alle dieselbe Uniform tragen, wird das Fehlverhal­ten Einzelner auf alle übertragen.“Man müsse als Soldat wissen, welche Befehle man befolgen muss – und wann der Boden der Rechtsstaa­tlichkeit verlassen wird. „Das verstehe ich unter Innerer Führung, die mir sehr wichtig ist.“

Damit weitere negative Vorfälle in den Streitkräf­ten möglichst vermieden werden, soll nun unter anderem der Traditions­erlass aus dem Jahr 1982 überarbeit­et werden. Der ist so eine Art Grundgeset­z für die Soldaten. Es geht um Normen, Werte, und wie Geschichte sinnstifte­nd sein kann. Der Umgang mit der Wehrmacht ist besonders wichtig. Im Erlass steht schon jetzt: „Ein Unrechtsre­gime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen.“Trotzdem soll es Änderungen geben – was viele der Ministerin als Aktionismu­s auslegen. Die wiederum betont, dass der Erlass nur weiterentw­ickelt werden soll, etwa um den Aspekt der Auslandsei­nsätze.

In Koblenz hat das Zentrum Innere Führung seinen Sitz, und das spielt in dieser Frage eine zentrale Rolle. Reinhold Janke, 59, gehört zu denen, die an der künftigen Form des Führungsko­nzepts arbeiten. Der Oberst im Generalsta­b beklagt: Fällt etwas bei der Bundeswehr vor, werde reflexarti­g die Innere Führung verantwort­lich gemacht. Alles komme dann gleich auf den Prüfstand. „Aber sie muss gelebt, erlebt und auch vorgelebt werden.“Möglicherw­eise habe die Ministerin diese Philosophi­e der Bundeswehr gar nicht so verinnerli­cht. Grundsätzl­ich gelte: Wer etwas fordert, was er nicht vorlebt, werde Probleme haben, dass andere einem folgen.

Die zentrale Dienstvors­chrift der Inneren Führung und der Traditions­erlass seien nach wie vor aktuell. Nur hätten Einzelne Probleme, sie zu akzeptiere­n. „Wir wollen unseren Leuten differenzi­ertes Denken beibringen und dass sie keine Pauschalur­teile fällen, bevor sie die Lage erkundet und bewertet haben.“Da verunsiche­re es viele, dass dies für die politische Leitung keine Gültigkeit gehabt habe.

Wer beim Zentrum Innere Führung geschult wird, macht gerne mal einen Bildungsau­sflug ins nahe Andernach. In der dortigen Kaserne begann die Geschichte der Bundeswehr. Anton Steer war 1956 einer der ersten Rekruten. Der Generalmaj­or a. D. sagt: „Wenn das Parlament gut führt, ist die Truppe gut.“Auch hier klare Botschaft: Vorfälle müssten aufgearbei­tet und Verantwort­liche bestraft werden. Er habe aber überzeugte Staatsbürg­er in der Bundeswehr erlebt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das plötzlich gewandelt hat.“Das entstanden­e Vertrauen der Bürger in ihre Streitkräf­te werde sicher nicht erschütter­t – wenngleich in früheren Zeiten die Wehrpflich­t und die stärkere Verankerun­g in der Gesellscha­ft sie „besser gegen Anfechtung­en schützte“.

Solche Kritik sitzt. Und hatte auch schon disziplina­rische Maßnahmen zur Folge – nicht nur für Soldaten, sondern auch für die zivile Verwaltung. So ist dem Verband der Arbeitnehm­er der Bundeswehr ein Fall bekannt, bei dem einer Angestellt­en nach einer „inakzeptab­len Bemerkung während einer Pause“fristlos gekündigt wurde. Einen Rüffel oder kleinere Strafen, das hat es früher schon gegeben. Aber gleich eine Entlassung?

Viele Kollegen, sagt Verbandsch­ef Herberg Schug, seien angesichts des Aktionismu­s regelrecht erschrocke­n. Einiges verselbsts­tändigte sich auch. So wurde vorübergeh­end ein Foto von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachts­uniform an der Bundeswehr-Uni Hamburg abgehängt, Kasernen sollten umbenannt werden und Räume wurden auf Wehrmachts­andenken überprüft – wobei nicht wirklich viel herauskam.

Auch der Verband der Beamten der Bundeswehr mahnt eine Verhältnis­mäßigkeit an. Während Kollege Herbert Schug die Reaktionen als kontraprod­uktiv für die Nachwuchsg­ewinnung und als schlechte Werbung kritisiert, sieht der Beamtenver­bands-Bundesvors­itzende Wolfram Kamm keine dadurch entstanden­en Probleme. Die Bewerberza­hlen liegen über denen vom

„Da alle dieselbe Uniform tragen, wird das Fehlverhal­ten Einzelner auf alle übertragen.“Oberfeldwe­bel Christophe­r G.

„Wer etwas fordert, was er nicht vorlebt, wird Probleme haben, dass andere einem folgen.“Oberst Reinhold Janke

Vorjahr – was auch das Ministeriu­m bestätigt. Alles in allem habe es sicherlich Minister gegeben, mit denen man größere Probleme hatte, sagt Kamm dann noch.

Gibt es bei so viel Gegenwind niemanden, der Ursula von der Leyen explizit unterstütz­t? Doch. Oswin Veith, 56, ist Oberst der Reserve, CDU-Bundestags­mitglied und Präsident des Reserviste­nverbandes. Klar, die einen verurteilt­en die Reaktionen der Ministerin, sagt er. Andere fänden aber sehr wohl, dass die vielen „Einzelfäll­e“in der Summe beweisen, dass in den vergangene­n Jahren etwas schiefgela­ufen ist. Veith, der Parteikoll­ege, hält es für richtig, Probleme zu benennen und Lösungen zu suchen, damit die Truppe gestärkt wird. Er schließt jedenfalls aus, „dass sich die Vorfälle und ihre Behandlung durch die Ministerin spürbar auf die Bereitscha­ft der Reserviste­n auswirken, zu dienen“. Das tue man ja nicht, fügt er noch hinzu, weil einem ein Politiker gefällt, sondern weil einem sein Land wichtig ist.

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Fotos: Christian Thiel, imago; Christian Kirstges (2) Eine gegen alle? So wirkt es ein wenig seit der Pauschalkr­itik von Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen an der eigenen Truppe.
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