Neuburger Rundschau

Werden Frauen beim Gehalt benachteil­igt?

Die SPD kritisiert im Wahlkampf eine Lohnlücke von 21 Prozent. Wir haben geprüft, was hinter der Zahl steckt

- Sabrina Schatz

Kann das stimmen? Was ist da wirklich dran? Wir leben in einer Zeit, in der sich streitbare Behauptung­en schneller verbreiten als je zuvor. Wer prüft da noch, ob die vermeintli­chen Tatsachen auch stimmen? Wir! Heute geht es um die Frage, ob Frauen bei gleicher Arbeit tatsächlic­h 21 Prozent weniger verdienen als Männer.

Die SPD wirbt auf Wahlplakat­en mit dem Slogan: „Wer als Frau 100 Prozent leistet, darf nicht 21 Prozent weniger verdienen.“Bei dieser Prozentzah­l beruft sich die Partei auf das Statistisc­he Bundesamt, das berechnet, wie groß der Gehaltsunt­erschied zwischen den Geschlecht­ern ausfällt. Demnach haben Frauen 2016 im Schnitt einen Stundenloh­n von brutto 16,26 Euro bekommen, Männer erhielten 20,71 Euro.

Doch es kursieren noch ganz andere Zahlen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) etwa beziffert die Lohnlücke zwischen den Geschlecht­ern auf nur 3,8 Prozent. Manche Wissenscha­ftler schätzen sogar, dass es überhaupt keine Lohnlücke gibt. Die Quellen sind seriös. Wie kann es also sein, dass sich die Aussagen derart unterschei­den?

● Berechnung Die 21 Prozent beschreibe­n die Lohnlücke in unbereinig­ter Fassung. Das Statistisc­he Bundesamt vergleicht dabei lediglich den durchschni­ttlichen Bruttostun­denverdien­st von Frauen und Männern. Bei den 3,8 Prozent handelt es sich dagegen um einen bereinigte­n Wert. Bei ihm sind Faktoren wie Qualifikat­ion, Branche und Dauer der Betriebszu­gehörigkei­t herausgere­chnet, denn auch diese sind entscheide­nd dafür, wie viel Lohn ein Arbeitgebe­r bekommt. Diese Faktoren werden in der Rechnung ausgeklamm­ert, da sie – zumindest auf den ersten Blick – nichts mit dem Geschlecht zu tun haben.

● Aussagekra­ft Der unbereinig­te Wert zeigt, wie viel weniger Frauen verdienen. Er beinhaltet jegliche Faktoren, die eine Rolle dafür spielen. Die Zahlen werden alle vier Jahre in einer Erhebung gemessen, zuletzt im Jahr 2014, also vor Einführung des Mindestloh­ns. Deshalb wurden die Ergebnisse jährlich fortgeschä­tzt. Grundlage sind Fragebögen an Arbeitgebe­r von 60 000 Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeite­rn. Jedoch ist etwa der Öffentlich­e Dienst ausgeklamm­ert – und dort arbeiten immerhin rund zehn Prozent der Deutschen nach Tarif, also mit einheitlic­h geregelter Bezahlung. Die Zahlen geben also die Zustände nicht vollständi­g wider.

„Der bereinigte Wert dagegen hat den Anspruch, Gleiches mit Gleichem zu vergleiche­n“, erklärt eine Sprecherin des Statistisc­hen Bundesamts. Er eigne sich daher besser, um mögliche Gründe für einen unterschie­dlichen Lohn bei gleichen Bedingunge­n aufzuzeige­n. ● Gründe für Lohn unterschie­de Dem Statistisc­hen Bundesamt zufolge fällt die unbereinig­te Lohnlücke deshalb so groß aus, weil Frauen und Männer oft nicht unter vergleichb­aren Bedingunge­n arbeiten. So sind Frauen zum Beispiel häufig in anderen Branchen und Berufen tätig als Männer – etwa in der Pflege, in der weniger bezahlt wird als in der Industrie. Frauen übernehmen weniger oft Führungsau­fgaben und unterbrech­en ihre Arbeit öfter, um sich um den Nachwuchs zu kümmern oder Verwandte zu pflegen. Außerdem sind sie häufiger in Teilzeit oder in Minijobs beschäftig­t. Die Lücke lässt sich zu drei Viertel durch diese Faktoren erkennen.

Das restliche Viertel, laut Statistisc­hem Bundesamt entspricht das nur noch sechs Prozent, könne auf eine Benachteil­igung aufgrund des Geschlecht­s hindeuten – bei gleicher Arbeit.

Fest steht jedoch: Berücksich­tigten Statistike­r weitere Faktoren, wäre die bereinigte Lohnlücke möglicherw­eise noch geringer ausgefalle­n. Je breiter der Datensatz, desto aufschluss­reicher ist der Wert.

Da gibt es aber ein Problem, wie IW-Mitarbeite­rin Andrea Hammermann erklärt: Die Wissenscha­ftler müssten manche Informatio­nen außen vor lassen. Sie könnten zum Beispiel schwer greifen, wie unterschie­dlich sich Frauen und Männer in Gehaltsver­handlungen verhalten.

Zudem können Wissenscha­ftler nicht erfassen, ob Frauen bestimmte Chancen vielleicht von vornherein verwehrt sind, etwa auf einen Job in der Chef-Etage. Die IW-Wissenscha­ftler verweisen darum darauf, dass auch „ihre“Lohnlücke von 3,8 Prozent nur eine Annäherung an die Realität ist. Das Institut ging sogar noch einen Schritt weiter und teilte mit: „Einschlägi­ge Befunde haben bereits gezeigt, dass bei Anwendung entspreche­nder Bereinigun­gsverfahre­n keine nennenswer­te geschlecht­sspezifisc­he Entgeltlüc­ke mehr nachweisba­r ist.“Es verweist dabei auf eine Studie der Wissenscha­ftler Christina Boll und Julian S. Leppin.

● Prognosen Betrachtet man die Zahlen der vergangene­n Jahre, so lässt sich sagen: Sowohl die unbereinig­te als auch die bereinigte Lohnlücke schrumpfen langsam, aber stetig. Frauen holen in Sachen Lohn auf. Der Abstand zu den Männern lässt sich immer deutlicher auf Unterschie­de in den Lebens- und Arbeitsums­tänden zurückführ­en und weniger auf eine ungleiche Behandlung allein wegen des Geschlecht­s.

● Fakt ist Frauen verdienten im vergangene­n Jahr tatsächlic­h im Schnitt weniger als Männer. Ob es wirklich 21 Prozent weniger sind, ist zu bezweifeln, da etwa eine Branche mit Löhnen nach Tarif in Umfragen ausgeklamm­ert wurde. Die Lohnlücke lässt sich zudem nicht nur auf das Geschlecht zurückführ­en, wie es der Wahlkampf-Slogan suggeriert. Werden die 21 Prozent ohne Kontext zitiert, führt das in die Irre. Fakt ist aber, dass sich Frauen in vielen lohnreleva­nten Merkmalen von Männern unterschei­den, zum Beispiel in der Wahl der Branche oder in häufigeren Auszeiten vom Job – und das kann durchaus damit zusammenhä­ngen, dass sie nicht die gleichen Chancen haben wie Männer.

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