Neuburger Rundschau

Demokratie unter Druck

Am Sonntag haben wir wieder mal die Wahl. Die letzte ist erst vier Jahre her, aber vieles hat sich verändert durch Digitalisi­erung, Politikver­druss, erstarkend­e Ränder. Ist das System der Repräsenta­tion noch zukunftsfä­hig?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Die Zeit

LeFloid ist ein Star auf der Internetpl­attform Youtube, Millionen Kids schauen sich seine Videos zu Games und News, Gags und Sensatione­n an. Jetzt aber macht der 30-Jährige Ernst, und das auf Papier. Er hat ein Buch veröffentl­icht, das Jugendlich­en erklärt: „Wie geht eigentlich Demokratie?“Nachdem er gezeigt hat, wie die Beschlüsse der Politiker etwa in Sachen Umweltschu­tz und Internetsi­cherheit alle angehen, schreibt er: „Politik betrifft aber nicht nur jeden, sie wird auch von allen gemacht. Kein Witz! Denn Deutschlan­d ist eine Demokratie. Das bedeutet, dass alle Macht vom Volke ausgeht – und da gehört ihr natürlich auch dazu. Weil sich logischerw­eise aber nicht alle Bürger immer treffen können, um zusammen wichtige Entscheidu­ngen zu treffen, gibt es den Bundestag …“

Mal abgesehen davon, dass wohl so mancher derzeit bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen Protestier­ende schon bei diesen Sätzen Einspruch erheben würde – klar ist, worum es hier geht: Hier sollen die Wähler der Zukunft grundsätzl­ich eingeführt werden in das, was sich repräsenta­tive Demokratie nennt. Aber ist es denn so sicher, dass dieses System selbst auch wirklich Zukunft hat? Wenn man betrachtet, in welche Turbulenze­n es internatio­nal zuletzt geraten ist? Und wenn man sich vor Augen führt, dass an diesem Sonntag in Deutschlan­d wohl so viele Menschen wie nie zuvor nicht für dieses Prinzip stimmen werden – weil sie zur Hälfte gar nicht erst zur Wahl gehen und auch von der anderen Hälfte rund 20 Prozent für Parteien an radikalen Rändern stimmen, die zumindest das Funktionie­ren des Systems anzweifeln?

„Niemand hätte das vor zwei oder drei Jahren für möglich gehalten, aber nun ist es eben so: Dies ist der politische Ernstfall unserer Biografie, zugleich der Verteidigu­ngsfall der Demokratie.“Nein, das schreibt nicht LeFloid. Sondern Bernd Ulrich in seinem Buch „Guten Morgen, Abendland“. Und der gehört als Politik-Chef der Wochenzeit­ung

nicht gerade zu den Alarmisten. Ulrich sieht aber den Bedarf für einen „Weckruf“, weil wir „am Beginn einer neuen Epoche“stehen. Er zählt dazu einfach die internatio­nal sich seit der Wirtschaft­skrise von 2008 verschärfe­nden Tendenzen zusammen und nimmt die innerdeuts­che Kipplage hinzu: Parteien, die sich im Verwalten eingericht­et haben; und eine Kanzlerin, die auf Vertrauen bauen konnte, weil sie das Regieren als ein Reagieren auf Stimmungen praktizier­te – bis sie dieses Vertrauen in der Flüchtling­spolitik bei nicht wenigen verspielte.

Die Folgen davon massieren sich nun in dem, was Ulrichs Zeitung neulich „Die Opposition­smaschine“genannt hat: im Internet mit seinen Netzwerken, wo eine starke „RePolitisi­erung“der Menschen stattfinde; in alternativ­en Resonanzrä­umen zu den klassische­n Medien, in denen nicht selten „das System“selbst am Pranger steht. Ulrich sieht als einzige demokratis­che Rettung: sich eben nicht wohlfeil abgrenzend in liberalen Wagenburge­n verschanze­n, das würde das Kippen nur befördern; sondern die tatsächlic­he Mehrheit zu aktivieren und ihre politische Haltung gegen die Populisten, die immer behaupten, für das Volk zu sprechen. Das hätte wohl auch Wahlkampf sein können. Tatsächlic­h aber formuliert­en die von Ulrich gemeinten Parteien alle nur dasselbe Angebot in unterschie­dlichen Farben: gegen all das Unbehagen ein Verspreche­n der Stabilität – mal mit Umwelt-, mal mit Gerechtigk­eits-, mal mit Wirtschaft­s-, mal mit Sicherheit­sschwerpun­kt.

Aber daran, dass Politiker den Wählern heute und in Zukunft solche Verspreche­n noch glaubwürdi­g im Rahmen der repräsenta­tiven Demokratie vermitteln können, gibt es wachsende Zweifel. Alternativ­en? Die bietet etwa Steve Bannon, der als Rechtsausl­eger Donald Trump strategisc­h beraten hat und sich nun, enttäuscht vom Stocken seines Präsidente­n in den Prozessen des Regierens, bewundernd dem chinesisch­en System zugewandt hat: Wenn das allein für den Wohlstand und damit die Zufriedenh­eit der Menschen sorgende Wirtschaft­swachstum an der Demokratie scheitere, dann weg damit und her mit autokratis­chen Prinzipien.

„Gegen Demokratie“lautete aber auch der provokativ­e Titel über einem Vorschlag des eigentlich für liberales Denken bekannt gewordenen US-Politologe­n Jason Brennan. Gegen Bernd Ulrichs Aktivierun­gsthese führt er in seinem Buch an, dass das in unserer Zeit der Individual­isierung gar nicht mehr funktionie­ren könne. Der Professor teilt die Wähler in drei Kategorien: Hobbits, Hooligans und Vulkanier. Benannt nach den netten Auenländer­n in Tolkiens „Herr der Ringe“sind Hobbits die Menschen, die sich nur für ihren Alltag und ihre Problem- chen interessie­rten – die Hälfte der Bevölkerun­g. Die andere Hälfte bildeten die Hooligans, die sich zwar für Politik interessie­rten, aber wie Fußballfan­s treu zu ihrem Klub und ihrem Weltbild stünden. Die Demokratie sei aber eigentlich für Vulkanier gemacht, rationale Wesen wie Mr. Spock im „Raumschiff Enterprise“– bloß gebe es die nicht. Also müssten wir uns überlegen, ob es nichts Besseres zur Gewinnung der bestmöglic­hen Entscheidu­ng in einem Staat gebe.

Brennans Lösung: die „Epistokrat­ie“. Also eine Herrschaft der Informiert­en. Entweder dürfe nur wählen, wer einen Logik- und Wissenstes­t bestehe, oder – seiner Meinung nach realistisc­her – durch ein „simulierte­s Orakel“: Dabei gibt der Bürger neben dem Test auch Angaben über sich selbst und seine Parteiwahl ab – und ein Algorithmu­s errechnet daraus, wie er abgestimmt hätte, wenn er perfekt informiert gewesen wäre. Das ergibt dann das Wahlergebn­is. Mr. Spock würde wohl zustimmen. Es wäre jedenfalls die totale Schubumkeh­r in einer politische­n Landschaft, die in den letzten Jahren wieder deutlich emotionale­r geworden ist. Und noch immer würden ja die Programme der Parteien entscheide­n, auf deren Machbarkei­t und Umsetzung das Wahlvolk vertrauen müsste…

Geradezu geerdet wirkt im Vergleich dazu ein Vorschlag, der auch im Wahlkampf von mehreren Seiten genannt wurde: mehr direkte Mitbestimm­ung der Bürger, auch auf Bundeseben­e. Ein Zurückfahr­en des Repräsenta­tiven also. Davor aber warnt etwa der große deutsche Historiker Heinrich August Winkler im neuen Buch „Zerbricht der Westen?“. Das Ja oder Nein in Plebiszite­n schließe die politisch so notwendige­n Kompromiss­lösungen aus; es würden dann noch öfter motivierte Minderheit­en über die Mehrheit entscheide­n; die in globalisie­rten Zeiten nur noch dringender­en Kooperatio­nen gerade in Europa würden weiter erschwert, wenn nicht verunmögli­cht; und die Bewahrung des Werterahme­ns, den die Verfassung aus historisch­en Gründen ja gerade im Regieren durch Repräsenta­nten sieht, käme ins Wanken.

Aber mal ganz demokratis­ch gefragt: Wenn das die Bandbreite der Lösungsmög­lichkeiten wäre – woran glauben, was wählen Sie?

Lefloid: Wie geht eigentlich Demo kratie? Fischer, 272 S., 12 ¤

Jason Brennan: Gegen Demokratie. Ullstein, 464 S., 24 ¤

Bernd Ulrich: Guten Morgen, Abend land. Kiepenheue­r & Witsch, 304 S., 20 ¤

Heinrich August Winkler: Zerbricht der Westen? C.H. Beck, 493 S., 24,95 ¤

 ?? Foto: Arnulf Hettrich, Imago ?? Nicht zerstört, aber reif für den Sperrmüll? Ein aktuelles Wahlplakat mit der Kanzlerin als Repräsenta­ntin des deutschen Volks.
Foto: Arnulf Hettrich, Imago Nicht zerstört, aber reif für den Sperrmüll? Ein aktuelles Wahlplakat mit der Kanzlerin als Repräsenta­ntin des deutschen Volks.
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