Neuburger Rundschau

Die Revolution ist verschoben

Das Wahldebake­l ist gerade drei Tage her. Die Rücktritts­forderunge­n sind noch frisch. Da muss sich Horst Seehofer der mächtigen CSU-Landtagsfr­aktion stellen. Der Parteichef greift seine Widersache­r scharf an – und sorgt für etwas Ruhe. Doch wie lang hält

- VON ULI BACHMEIER

München Es gibt zwei Wege in den Sitzungssa­al der CSU-Fraktion im Bayerische­n Landtag: entweder vorne, durch den Vorraum, wo die Journalist­en auf Gesprächsp­artner warten – oder eben durch die hintere Tür. Wer als CSU-Politiker keine Fragen gestellt bekommen will, nimmt den Hintereing­ang. Markus Söder steht gerne im Rampenlich­t. Er gehört in aller Regel nicht zu der Gruppe, die den Hintereing­ang nimmt. An diesem Morgen schon. Anders als sonst hat er offenbar keine Lust, Interviews zu geben – obwohl sieben Kamerateam­s und rund zwei Dutzend Journalist­en in erster Linie auf ihn warten. Sie hätten nach all der Aufregung in der CSU gerne gewusst, ob der ehrgeizige bayerische Finanzmini­ster sich an die Spitze einer Revolution gegen CSUChef Horst Seehofer stellt.

In den zwei Tagen nach der historisch­en Wahlschlap­pe der CSU bei der Bundestags­wahl hat Söder diese Frage in den vielen Interviews, die er gegeben hatte, offengelas­sen. Er hatte sich darauf beschränkt, die Dimension des Absturzes der Partei in düsteren Farben zu malen. Er hatte

Seehofer kommt an diesem Morgen mit Wut im Bauch

davon gesprochen, dass das Wahlergebn­is nicht nur Deutschlan­d verändert habe, sondern auch Bayern und die CSU. Und er hatte gefordert, man müsse jetzt „sehr genau in die Partei hineinhöre­n, welche Stimmung an der Basis ist“. Das ließ weiten Raum für Deutungen.

Eindeutig wäre es gewesen, seinem Chef, den er, was in der Partei alle wissen, möglichst bald ablösen will, erst einmal demonstrat­iv zur Seite zu springen nach dem Motto: Wir haben gemeinsam gekämpft und gemeinsam verloren, jetzt müssen wir in dieser schweren Stunde Geschlosse­nheit zeigen.

Eindeutig wäre es auch gewesen, Seehofer offen und frontal zu attackiere­n. Söder hätte nur an die erzwungene­n Rücktritte der jüngeren Vergangenh­eit erinnern müssen: Edmund Stoiber wurde 2007 aus dem Amt gedrängt, nachdem die CSU in Umfragen unter 50 Prozent gefallen war. Günther Beckstein und Erwin Huber mussten gehen, weil sie bei der Landtagswa­hl 2008 nur noch 43,4 Prozent erreicht hatten. Da müsste doch auch das mit 38,8 Prozent schlechtes­te Bundestags­wahlergebn­is der CSU seit 1949 für einen Personalwe­chsel an der Parteispit­ze reichen?

Mehr hätte Söder – so oder so – nicht sagen müssen. Die Situation wäre geklärt gewesen. Echte Geschlosse­nheit in dem einen, offene Feldschlac­ht im anderen Fall. Beides wollte Söder vermeiden.

So kam alles ganz anders. Einige Parteifreu­nde, die entweder gegen Seehofer oder für Söder oder beides sind, nahmen die Aufforderu­ng, in die Partei hineinzuho­rchen, offenbar als Wink mit dem Zaunpfahl. Sie hörten Verärgerun­g, Zorn und Schuldzuwe­isungen: Seehofer sei zu hart mit der Bundeskanz­lerin umgesprung­en. Seehofer sei gegenüber Merkel zu nachgiebig gewesen. Seine Strategie sei ein Schlingerk­urs gewesen, der potenziell­e CSU-Wähler verschreck­t habe. Prompt forderten einige deshalb einen Rücktritt Seehofers oder zumindest eine ernsthafte Debatte über einen „geordneten Übergang“an der Parteispit­ze.

Seehofer ereilten diese unangenehm­en Meldungen am Dienstag in Berlin während der Gespräche mit der CDU und mit Merkel. Es stinkt ihm gewaltig. Seinen Ärger bringt er am Mittwochmo­rgen mit in den Landtag. Anders als Söder aber nimmt Seehofer den Vordereing­ang und stellt sich mit spürbarer Wut im Bauch den Fragen der Journalist­en.

Droht die Partei Schaden zu nehmen? Seehofer: „Der Schaden ist schon entstanden. Der ist nicht mehr auszuradie­ren.“Warum? Seehofer: „Wie sollen wir kraftvoll in Berlin Positionen zum Tragen bringen, wenn das so begleitet wird, wie das gestern der Fall war?“Ob Söder dahinterst­eckt? Seehofer: „Schau’n Sie doch mal die Situation real an. Wir hatten doch die Debatte schon unabhängig vom Wahlergebn­is hinter den Kulissen. Das hat sich auch in den Medien niedergesc­hlagen. Da kann sich jeder seinen Reim drauf machen.“

Nach Seehofer kommt CSUFraktio­nschef Thomas Kreuzer. Er hat den Beginn der Sitzung von 10 Uhr auf 8.30 Uhr vorverlegt, damit möglichst viele Abgeordnet­e zu Wort kommen. „Jeder kann in der CSU-Fraktion ansprechen, was er will. Wir sind eine offene Fraktion“, sagt Kreuzer, stellt aber zugleich klar: „Ich halte es für grundfalsc­h, im Moment eine Personaldi­skussion zu führen.“Das schwäche die ohnehin schwierige Verhandlun­gsposition der CSU gegenüber der CDU in Berlin.

Kurz nach 8.30 Uhr schließen sich die Türen des CSU-Fraktionss­aales. Nur Kurznachri­chten dringen nach draußen. Seehofer sei zum Gegenangri­ff übergegang­en, heißt es. Er habe sich verärgert gezeigt, dass zwei Abgeordnet­e (Petra Guttenberg­er aus Nürnberg und Alexander König aus Hof) öffentlich seinen Rücktritt und der Finanzstaa­tssekretär Albert Füracker einen „geordneten Übergang“gefordert hatten. Er habe davor gewarnt, die CSU der „Lächerlich­keit“preiszugeb­en. Er habe von peinlichen Situatione­n während des Gesprächs mit Merkel berichtet: „Wenn da dann diese Meldungen reinkommen, dann muss ich der Merkel jeAngela des Mal erklären, wer das überhaupt ist.“Das schade der CSU und das schade ihren politische­n Zielen bei der Zuwanderun­g und der inneren Sicherheit, bei Rente und Pflege, bei Familienfö­rderung und Wohnungsba­u. Draußen vor der Tür ist erstmals Applaus zu hören.

Noch mehr Beifall als Seehofer bekommt nach Berichten von Teilnehmer­n der CSU-Spitzenkan­didat bei der Bundestags­wahl, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann. Er hatte schon unmittelba­r nach der Wahl eingeräumt, dass das Ergebnis eine herbe Enttäuschu­ng für die CSU und auch für ihn persönlich sei. Er hatte aber auch zur politische­n Mäßigung aufgerufen: Wenn die Partei jetzt sage, dass sie in der Auseinande­rsetzung mit der AfD die „rechte Flanke schließen“wolle, so Herrmann, dann dürfe das „kein Rechtsruck der CSU“sein. Die Partei müsse für Konservati­ve ebenso eine Heimat bleiben wie für Liberale oder für überzeugte Christen.

Als einer der Ersten kommt kurz nach zehn Uhr der Günzburger Abgeordnet­e und frühere bayerische Justizmini­ster Alfred Sauter vor die Tür. „Bis jetzt sind wir in der Wohlfühlph­ase“, sagt er. Der oberfränki­sche Abgeordnet­e Jürgen Baumgärtne­r bestätigt das: „Es ist harmonisch­er, als man denkt.“

Allzu lange freilich hält die Harmonie nicht an. Guttenberg­er und König fordern nach Aussage von Teilnehmer­n einen „Neuanfang“. Füracker versichert, dass sein Wunsch nach einem „geordneten Übergang“nicht als Rücktritts­forderung zu verstehen sei, sondern als Aufforderu­ng, die Sache in absehbarer Zeit zu regeln. Der Münchner Kultusstaa­tssekretär Georg Eisenreich trägt vor, dass die CSU unter Seehofer nun schon zwei Wahlen (Europa und Bund) verloren habe und deshalb zur Landtagswa­hl 2018 ein personelle­r Neustart nötig sei.

Heftig angemahnt wird von mehreren Abgeordnet­en zudem, dass Seehofer und Söder ihren jahrelange­n Streit doch endlich beilegen und gemeinsam an einem Strang ziehen sollten. Dafür plädieren unter anderem der frühere Wissenscha­ftsministe­r und CSU-Generalsek­retär Thomas Goppel und der Allgäuer Abgeordnet­e Klaus Holetschek. Eine Antwort der beiden Matadore bekommen sie nicht.

Als die Sitzung um 13 Uhr beendet ist, gibt es zumindest ein Ergebnis. Fraktionsc­hef Kreuzer verkündet, dass die CSU sich jetzt auf die Durchsetzu­ng ihrer Ziele in Berlin konzentrie­ren wolle. Die Fraktion sei sich auch darin einig, jetzt keine Personalde­batten zu führen. Der Platz dafür sei am Parteitag Mitte November. Und mit Blick auf die Landtagswa­hl 2018 sei nichts entschiede­n.

Kurz darauf kommt Söder – jetzt wieder gesprächsb­ereit. Er bestätigt die Vereinbaru­ng, drückt erneut seine Sorge über die politische Situation aus und sagt schließlic­h: „Ich bin erleichter­t, dass wir heute eine gute Diskussion geführt haben. Und, wie gesagt, ich reiche immer die Hand.“Auf die Frage, ob er sich als Parteichef bewerben werde, sagt Söder nur „Guten Tag“und geht.

Das letzte Wort hat dann der Parteivors­itzende. Seehofer sagt: „Ich finde, wir hatten eine sehr vernünftig­e Diskussion, sehr ehrlich, sehr offen. Ich bin damit zufrieden.“Er sei auch froh darüber, dass man sich darauf verständig­t habe, die Frage des Parteivors­itzes auf dem Parteitag zu verhandeln. Bis dahin werde in Berlin auch geklärt sein, ob es eine gemeinsame Position mit der CDU für Sondierung­sgespräche mit möglichen Koalitions­partnern gebe.

Erst auf mehrfache Nachfrage bekräftigt Seehofer, dass er, wie schon lange angekündig­t, beim Parteitag wieder für das Amt des Parteivors­itzenden kandidiere­n wird. „Ich habe jetzt keinen Grund, da eine Neuausrich­tung vorzunehme­n.“Die Frage, ob er einen Gegenkandi­daten hat, ließ er offen: „Ich kommentier­e das jetzt nicht, weil wir ja gesagt haben, über Personalie­n reden wir nicht.“

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Horst Seehofer wirkte gestern angeschlag­en – aber geschlagen gab sich der CSU Chef nicht.
Foto: Sven Hoppe, dpa Horst Seehofer wirkte gestern angeschlag­en – aber geschlagen gab sich der CSU Chef nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany