Kurz vor der roten Linie
Ein 47-Jähriger widersetzt sich mit dem Schraubenzieher in der Hand seiner Festnahme. Er sollte begutachtet werden, weil er psychisch krank ist. Am Landgericht wurde er nun verurteilt
Ingolstadt Er musste sich vor dem Landgericht Ingolstadt verantworten, weil er seine Frau ans Bett gefesselt und geschlagen hatte, und weil er sich später – mit dem Schraubenzieher in der Hand – Polizeibeamten widersetzte, die ihn festnehmen und zur Untersuchung in die Psychiatrie hatten bringen wollen. Denn der 47-jährige Kraftfahrer, der gestern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde, ist psychisch krank.
Und diese schwierig zu fassende Krankheit – eine schizoaffektive Psychose – hatte es der 5. Strafkammer unter Vorsitz von Richter Thomas Denz sehr schwer gemacht. Es ging im Wesentlichen darum, ob der Mann unbefristet in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird, weil er – möglicherweise – für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Die dauerhafte Unterbringung ist mit das Heftigste, was das deutsche Strafrecht zu bieten hat und nach dem Fall Mollath hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen für die Anwendung eben jenes Paragrafen 63 (StGB) deutlich verschärft. Erschwerend hinzu kam im aktuellen Fall, dass über das Krankheitsbild des Verurteilten im Vorfeld unterschiedliche Gutachten, auf unterschiedlicher Basis, mit unterschiedlichen Ergebnissen vorlagen.
Wie berichtet, war der geschiedene Familienvater aus dem Kreis Pfaffenhofen wohl etwa seit 2012 psychisch erkrankt. Seine Ehe überstand das nicht. Er hatte sich verfolgt gefühlt, Wahnvorstellungen kamen dazu. So soll er – nur ein harmloseres Beispiel – seine eigenen Gedanken aus dem Radio gehört haben. Als er dann vor mehreren Jahren die Tochter seiner zweiten Frau schlug, zog seine Gattin für immer aus. Als sie dann, es war November 2014, noch etwas aus dem gemeinsamen Haus hatte holen wollen, hatte er sie im Schlafzimmer mit Nylonstrümpfen ans Bett gefesselt und mit dem Gürtel geprügelt. Er hatte Antworten gewollt. Wer hinter ihm her sei, sich in seine Sachen reinhacke? Sie hatte Todesangst gehabt, wie sie vor Gericht aussagte: „Er wollte Kontrolle haben.“Sie habe ihm damals alles Mögliche erzählt, um ihn zu beruhigen. Sie kam davon und ging zur Polizei. Sie sagte: „Er hat seine Gefühle und seine Aggressivität nicht im Griff.“Ihr Ex-Mann hatte die Schläge bei Prozessauftakt zugegeben und sich später in einem Brief dafür bei ihr entschuldigt.
Den Angriff mit dem Schraubenzieher auf die Polizisten der Inspektion Pfaffenhofen, die ihn vergangenes Jahr in seinem Haus festnehmen und – unter anderem wegen des Vorfalls mit seiner Ex-Frau – zur Begutachtung in ein psychiatrisches Krankenhaus bringen sollten, bestritt er dagegen bis zum Schluss vehement.
Es hatte noch ein paar andere kleinere Vorkommnisse gegeben, aber im Kern der Verhandlung war es um diese beiden Fälle gegangen.
Und die Kammer kam nach den sehr ausführlichen Erläuterungen des psychiatrischen Gutachters Jürgen Reiß (der vergleichsweise lange mit dem Angeklagten hatte reden können) zu dem Schluss, dass der Angeklagte, als er seine Frau so drangsalierte, auf dem „Höhepunkt seines Wahns“gewesen und folglich schuldunfähig gewesen sei. Die entscheidende juristische Formulierung ist: „Seine Einsichtsfähigkeit war aufgehoben.“Folglich war er für den Anklagepunkt „Freiheitsberaubung“nach Auffassung des Gerichts freizusprechen.
Was dann etwa eineinhalb Jahre später die missglückte Festnahme durch die beiden Polizisten betraf, so nahm das Gericht auch die Beamten mit in die Verantwortung: „Diese hätten den Ernst der Lage nicht richtig eingeschätzt“, weshalb es zu diesem „etwas unglücklichen Verlauf“gekommen sei. So hatten sie unter anderem ihren Vorführungsbescheid im Auto gelassen und den Angeklagten – nicht in Uniform – wohl ziemlich überrumpelt. Allerdings wertete die Kammer umgekehrt die Tatsache, dass beide mit gezogener Dienstwaffe den eiligen Rückzug angetreten hatten, schon als Beleg für eine gesteigerte Aggressivität des Angeklagten. Dessen Steuerungsfähigkeit sei damals krankheitsbedingt erheblich eingeschränkt, allerdings nicht aufgehoben gewesen. Weshalb er verurteilt wurde. Und die Unterbringung? Wie gefährlich schätzt das Gericht den Mann ein?
Der psychiatrische Gutachter Reiß hatte zum Ende seiner Ausführungen gesagt: „Ich sehe die große Gefahr für künftige Delikte. Das kann eskalieren, wenn ihm jemand auf dem Pelz rückt.“Er hatte allerdings keine „hohe Wahrscheinlichkeit“für weitere Straftaten angenommen.
Das Gericht kam nun in der Gesamtabwägung zu dem Schluss, dass wohl zumindest „keine erheblichen Straftaten“von dem Angeklagten zu erwarten seien. Ein Restrisiko sei natürlich nie auszuschließen. Der Mann werde sicher, so lange er sich nicht behandeln lasse, „querulatorisch, lästig, aufbrausend“sein. Aber, so Richter Denz mit Blick auf die strengen Maßgaben des BGH: „Die rote Linie ist bei ihm noch nicht überschritten.“Wenn man mit ihm richtig rede, ihn richtig behandele, dann halte er sich durchaus an Spielregeln. Bevor er erkrankte, hätten ihn alle als liebenswert und hilfsbereit beschrieben.
Der Verteidiger des Angeklagten, Martin Rohrmann, hatten über seinen Mandanten gesagt: „Wenn er in Ruhe gelassen wird, lässt er auch andere in Ruhe.“Er hatte neun Monate auf Bewährung gefordert. Staatsanwältin Sandra von Dahl hatte dagegen auf zweieinhalb Jahre und auf Unterbringung in der Psychiatrie plädiert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.