Zwischen Schein und Sein
Im Marstall-Foyer sind Fotos von Julius Sayle zu sehen. Warum die Porträtaufnahmen so interessant sind
Neuburg Stolze 3000 Besucher lockte die Ausstellung zur Fotografen-Dynastie Sayle laut Kulturamt 2015 in den Neuburger Rathausfletz. Nun gibt es eine neue Auflage mit dem Titel „Flotte Bienen, tolle Hechte“. Sie ist im Marstall-Foyer zu sehen und beinhaltet ausschließlich Werke von Julius Sayle (zweite Generation). Gezeigt werden mehr als 40 Porträts aus knapp 20 Jahren (1924 bis 1943). Das Interessante daran: der Spagat zwischen Schein und Sein.
Die Ausstellung greift das Spiel mit und die Inszenierung von Wunsch-Identitäten auf. Wie die Leiterin des Neuburger Stadtarchivs, Barbara Zeitelhack, bei der Eröffnung gestern erklärte und auch im Booklet zur Ausstellung nachzulesen ist, seien Fotografien nicht unbedingt authentisch. Sie dokumentierten vielmehr das spannende Verhältnis zwischen dem Fotografierten, der auf eine bestimmte Art und Weise abgebildet werden möchte, und dem Fotografen, der den anderen in Szene setzen, aber auch sein Können zeigen will. Bei den ausgewählten Porträts sei es Julius Sayle geglückt, statt steife und bemühte Posen abzulichten, die Ausstrahlung der jeweiligen Person herauszuarbeiten, so Zeitelhack. Manche präsentieren sich ironisch, andere adrett, die einen als Diven, die anderen als Dandys. Durch den Vermerk der Berufe der Menschen wird das Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Selbstdarstellung erkennbar.
In der Art, wie sich die Menschen, die überwiegend aus dem gehobenen Bürgertum stammen, präsentieren, gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Die Frauen orientieren sich – bis auf die Tennisspielerinnen – an den geltenden Schönheitsidealen. Als Vorbilder dienten wohl Stars. Die Männer inszenieren sich als weltgewandte Gentlemen, jugendliche Helden, wagemutige Flieger, erfolgrei- che Angler oder an ihrem Platz in der Arbeitswelt. Die realen Verhältnisse und Lebensumstände der Porträtierten bleiben verborgen. Besonders auffällig: der junge Mann, der würdevoll seine Tätowierungen zeigt, aber eigentlich Zwangsarbeiter war. Dieses Bild sei eine Rarität, sagte Zeitelhack, da Zwangsarbeiter normalerweise nicht ohne ihr Abzeichen fotografiert werden durften.
Wie die Leiterin des Archivs erläuterte, zeige man die Fotos bei der Ausstellung bewusst als historische Dokumente. Das heißt, dass zum Beispiel die Ränder, die ein Fotograf abschneidet, geblieben sind. Teilweise sind sogar die Vorhänge des Fotoateliers zu sehen. Auch die Ecken der Platten sind bei vielen Motiven noch sichtbar.
Die Fotografien stammen aus dem Nachlass der Fotografen-Dynastie Sayle (Max, Julius, Max). Mehr als 100000 Bilder konnten 2013 erworben werden und befinden sich nun im Stadtarchiv von Neuburg. „Hier haben wir für historisch interessierte Neuburger einen Schatz gehoben“, sagte Oberbürgermeister Bernhard Gmehling. In seiner Rede hob er außerdem die viele und gute Arbeit hervor, die Zeitelhack mit ihrem Team aus dem Archiv und dem Kulturamt um Kathrin Jacobs für die Ausstellung geleistet habe. Robert Freiberger referierte noch zum Thema „Fotografieren auf Glas – Zauber der Chemie mit Silber und Licht“, bevor die rund 120 Besucher die Fotografien in Augenschein nehmen konnten.
Die Ausstellung im Foyer des Marstalls ist bis 5. November immer Montag bis Sonntag von 9 bis 16 Uhr geöffnet, außerdem zur Kulturnacht am 14. Oktober von 9 bis 23 Uhr. Der Eintritt ist frei. Aufruf Wer mehr zu den Menschen auf den Fotos weiß, möge sich beim Stadt archiv (Amalienstraße A 47 in Neuburg) melden.