Neuburger Rundschau

Im Genuss des Augenblick­s

Wie Julia Lezhneva als Sopranisti­n und Dmitry Sinkovsky an der Violine und als Counterten­or das „Rendezvous im barocken Lustgarten“zu einem herausrage­nden Abend machen

- VON STEPHANIE KNAUER

Neuburg Im Saal des Meister Hora aus Michael Endes Roman „Momo“ticken viele Uhren. Manche schlagen die Sekunden mit tiefem Ton, manche zählen leise kleinere Einheiten dazwischen. Im „Sempre piano“, dem dritten Satz aus Telemanns „Pisendel-Konzert“, das dem Violiniste­n und Komponiste­n Johann Georg Pisendel zugedacht ist, wurde der betörenden Kantilene der Soli-Violine ein solches Ticken vom Streichere­nsemble unterlegt. Die Zeit war so hörbar gemacht und wurde selbst Musik, wie es auch in „Momo“heißt. Das abschließe­nde fröhliche Allegro klang nach „Carpe Diem“, einer Aufforderu­ng zum Genuss im Angesicht der Vergänglic­hkeit. So gesehen war Telemanns „Pisendel-Konzert“, das das „Rendezvous im barocken Lustgarten“am Samstag im Neuburger Kongregati­onssaal eröffnete, ein tief philosophi­sches.

Der Titel des Abends war einladend und lässt vieles offen – kaum ein barockes Werk, das nicht dazu passt. Dabei war das Programm sehr ausgeklüge­lt. Gern hätte man mehr darüber erfahren, auch über den gesungenen Inhalt im Programmhe­ft, das nur dürftig informiert­e. Das als einzigen Einwand – musikalisc­h war der Abend herausrage­nd. Das bewunderns­wert aus einem Guss musizieren­de Originalkl­ang-Ensemble „La Voce Strumental­e“, bestehend aus Saitenund Tasteninst­rumenten und geleitet von Leiter Dmitry Sinkovsky begeistert­e auch im zweiten „Pisendel-Konzert“, diesmal von Vivaldi, das zunächst einen ungewohnt ernsten Ton anschlug. Für die Soloviolin­e barg es eine Menge technische­r Hürden und Gelegenhei­ten zu brillieren. Sinkovsky spielte auf seiner Barockviol­ine mit grandioser Virtuositä­t, Klarheit und Reinheit selbst im ziemlich flott genommenen Final-Allegro, aber auch mit innig-klangschön­em Spiel im hohe Töne verlangend­en Mittelsatz. Fast zu flott geriet allerdings das überschäum­ende „Eia ergo“in Händels „Salve Regina“und nur einer Sängerin wie Julia Lezhneva gelingt es, in diesem Tempo die Kolorature­n lupenrein und klar, perfekt parallel mit Positiv oder Violine und das auch noch differenzi­ert zu meistern. Die erst 28-jährige russische Sopranisti­n war Stargast des Abends. Sie ist ein Shooting-Star insbesonde­re der Alte-Musik-Szene mit bereits beeindruck­ender Vita – verdienter­maßen, wie auch dieses Gastspiel bewies. Ihr Können ist phänomenal, die Technik nahezu makellos, ihre Gestaltung überragend lebendig und facettenre­ich und das à la Bartoli flatternde oder lyrische Vibrato beherrscht sie ebenso souve- wie klangschön­e geradlinig­e Töne.

Unter den vielen Kleinodien im Programm – darunter auch Nicola Porporas Motette „In caelo stelle dare fulgescant“, die Pergolesis Schreibsti­l ähnelte und von der Sopranisti­n erstmals auf CD eingespiel­t wurde – ragte besonders Vivaldis „Zeffiretti che susurrate“heraus, eine bezaubernd lieblich-arkadische und von zartem Lufthauch umspielte Arie, in der Dmitry Sinkovsky, die Solistin echoend, sein ebenfalls großes Können als Counterten­or zeigte. Instrument­al war auch Vivaldis berühmtes Lautenkonz­ert ein Highlight. Der italienisc­he Lautenist Luca Pianca, Mitbegründ­er der Originalkl­ang-Pioniere „Il Giardino Armonico“, brachte im Mittelsatz Unbekannte­s ins Bekannte durch – auch rhythmisch – gekonnt überrasche­nde Verzierunr­än gen und Veränderun­gen. Für die Interprete­n spricht ebenso der Schluss des Abends: Nicht bombastisc­h und schnell, sondern zart und leise endete er mit der Schluss-Szene der Belezza aus Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, die sich wie Schuberts Lied „gefrorene Tränen“stockend zur Musik verdichtet­e.

Das Publikum im ausverkauf­ten Saal jubelte, zu Recht.

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Fotos: Gerd Löser Hoch profession­ell und gleichzeit­ig emotional im Duett: Julia Lezhneva und Dmitry Sinkovsky beeindruck­ten mit ihrem Können.
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„Im barocken Lustgarten“lautete das Motto am Samstag bei den 70. Neuburger Barockkonz­erten. Auf der Bühne des Kongregati­onssaals standen das Ensemble La Voce Stru mentale unter der Leitung von Dmitry Sinkovsky und als Stargast die 28 jährige russische...

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