Im Genuss des Augenblicks
Wie Julia Lezhneva als Sopranistin und Dmitry Sinkovsky an der Violine und als Countertenor das „Rendezvous im barocken Lustgarten“zu einem herausragenden Abend machen
Neuburg Im Saal des Meister Hora aus Michael Endes Roman „Momo“ticken viele Uhren. Manche schlagen die Sekunden mit tiefem Ton, manche zählen leise kleinere Einheiten dazwischen. Im „Sempre piano“, dem dritten Satz aus Telemanns „Pisendel-Konzert“, das dem Violinisten und Komponisten Johann Georg Pisendel zugedacht ist, wurde der betörenden Kantilene der Soli-Violine ein solches Ticken vom Streicherensemble unterlegt. Die Zeit war so hörbar gemacht und wurde selbst Musik, wie es auch in „Momo“heißt. Das abschließende fröhliche Allegro klang nach „Carpe Diem“, einer Aufforderung zum Genuss im Angesicht der Vergänglichkeit. So gesehen war Telemanns „Pisendel-Konzert“, das das „Rendezvous im barocken Lustgarten“am Samstag im Neuburger Kongregationssaal eröffnete, ein tief philosophisches.
Der Titel des Abends war einladend und lässt vieles offen – kaum ein barockes Werk, das nicht dazu passt. Dabei war das Programm sehr ausgeklügelt. Gern hätte man mehr darüber erfahren, auch über den gesungenen Inhalt im Programmheft, das nur dürftig informierte. Das als einzigen Einwand – musikalisch war der Abend herausragend. Das bewundernswert aus einem Guss musizierende Originalklang-Ensemble „La Voce Strumentale“, bestehend aus Saitenund Tasteninstrumenten und geleitet von Leiter Dmitry Sinkovsky begeisterte auch im zweiten „Pisendel-Konzert“, diesmal von Vivaldi, das zunächst einen ungewohnt ernsten Ton anschlug. Für die Solovioline barg es eine Menge technischer Hürden und Gelegenheiten zu brillieren. Sinkovsky spielte auf seiner Barockvioline mit grandioser Virtuosität, Klarheit und Reinheit selbst im ziemlich flott genommenen Final-Allegro, aber auch mit innig-klangschönem Spiel im hohe Töne verlangenden Mittelsatz. Fast zu flott geriet allerdings das überschäumende „Eia ergo“in Händels „Salve Regina“und nur einer Sängerin wie Julia Lezhneva gelingt es, in diesem Tempo die Koloraturen lupenrein und klar, perfekt parallel mit Positiv oder Violine und das auch noch differenziert zu meistern. Die erst 28-jährige russische Sopranistin war Stargast des Abends. Sie ist ein Shooting-Star insbesondere der Alte-Musik-Szene mit bereits beeindruckender Vita – verdientermaßen, wie auch dieses Gastspiel bewies. Ihr Können ist phänomenal, die Technik nahezu makellos, ihre Gestaltung überragend lebendig und facettenreich und das à la Bartoli flatternde oder lyrische Vibrato beherrscht sie ebenso souve- wie klangschöne geradlinige Töne.
Unter den vielen Kleinodien im Programm – darunter auch Nicola Porporas Motette „In caelo stelle dare fulgescant“, die Pergolesis Schreibstil ähnelte und von der Sopranistin erstmals auf CD eingespielt wurde – ragte besonders Vivaldis „Zeffiretti che susurrate“heraus, eine bezaubernd lieblich-arkadische und von zartem Lufthauch umspielte Arie, in der Dmitry Sinkovsky, die Solistin echoend, sein ebenfalls großes Können als Countertenor zeigte. Instrumental war auch Vivaldis berühmtes Lautenkonzert ein Highlight. Der italienische Lautenist Luca Pianca, Mitbegründer der Originalklang-Pioniere „Il Giardino Armonico“, brachte im Mittelsatz Unbekanntes ins Bekannte durch – auch rhythmisch – gekonnt überraschende Verzierunrän gen und Veränderungen. Für die Interpreten spricht ebenso der Schluss des Abends: Nicht bombastisch und schnell, sondern zart und leise endete er mit der Schluss-Szene der Belezza aus Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, die sich wie Schuberts Lied „gefrorene Tränen“stockend zur Musik verdichtete.
Das Publikum im ausverkauften Saal jubelte, zu Recht.