So ein Glückspilz!
Der Wald war dieses Jahr voller Schwammerl. Zum Ende der Saison versuchen Sepp Egerer und NR-Redakteurin Claudia Stegmann noch einmal ihr Glück und suchen Steinpilze, Ruhe und den richtigen Weg
Neuburg Irgendwo hier muss sie doch sein, diese eine Stelle, an der es vor vier Wochen noch so viele Steinpilze gab?! Sepp Egerer schaut sich um. Wir stehen mitten im Gietlhausener Forst und weit und breit ist nirgends diese rote Metallhalterung zu sehen, die ihm als Orientierung dient. „Wir gehen jetzt einfach mal da lang!“, sagt er und führt mich durch hohes, nasses Gras. Sepp Egerer ist das, was man einen passionierten Pilzsammler nennt. Schon als Kind ist er mit seinem Vater Josef in den Wald gegangen und hat von ihm gelernt, welche Pilze giftig und welche genießbar sind und dass ein Kartoffelbovist schön staubt, wenn man ihn auf den Boden wirft.
Zwei bis dreimal die Woche geht Sepp Egerer während der Pilzsaison in den Wald, und dieses Mal darf ich mit. Das macht er nicht nur der Pilze wegen, denn die verschenkt er oft, sondern auch wegen der Ruhe. „Ich brauch’ das, um zu mir zu finden. Ich bin ja sonst immer der Hansdampf in allen Gassen.“Außerdem habe es etwas Mystisches, „wenn man im Morgennebel einen Steinpilz entdeckt. Das ist fast so, als wenn das Christkind da gewesen ist.“Morgennebel haben wir an diesem Tag nicht, doch über die wunderbare Braunkappe mit dem sattgelben Schwamm freuen wir uns trotzdem diebisch.
Die Pilzsaison geht dem Ende zu. Das merken wir daran, dass viele Pilze schon verschimmelt sind. Doch wer wollte, konnte dieses Jahr reichlich Beute im Wald machen. Die Bedingungen seien gut gewesen, sagt Sepp Egerer. Und so lautet sein erster Tipp für eine erfolgreiche Pilzjagd: Nach Regen und bei hoher Luftfeuchtigkeit schießen die Pilze am besten aus dem Boden.
Während ich damit beschäftigt bin, nicht über Äste oder Wurzeln zu stolpern und die Pilze vor meinen Augen im Herbstlaub verschwinden, entdeckt Sepp Egerer am dunklen Wegesrand einen Rotfußröhrling. „Wie machst du das nur?“, frage ich ihn. Seine Antwort ist wenig aufmunternd für meine Pilzblindheit. „Ich hab Pilze schon vom Auto aus gesehen!“– sagt’s und köpft den nächsten Pilz. Zu meinem Glück ist er verwurmt.
Über weichen, grünen Moosboden geht es weiter, immer tiefer in den Wald hinein. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen – also der Laie vom kundigen Pilzsammler. Denn der zweite Tipp für einen erfolgreichen Fund lautet: Geh nicht dahin, wo andere bereits sind. Aus diesem Grund schlagen wir gleich zu Beginn unseres Spaziergangs eine andere als die geplante Richtung ein. Konkurrenz in Person einer weiblichen Pilzsammlerin ist nämlich vor Ort. „Des hab i g’fressen!“, sagt Sepp leise zu mir, denn der Pilzsammler ist per se ein Alleingänger. Und er mag offenbar keine anderen Sammler, die erstens mit reicher Beute, zweitens mit verwerflicher Ausrüstung und drittens mit neunmalklugen Weisheiten durch den Wald stapfen. Und genau einen solche hat die Dame erst kürzlich getroffen, wie sie uns erzählt. In einer Klorollentüte habe er seine Pilze bei sich getragen und auf die Bemerkung, dass er offenbar mehr Glück habe als sie selbst, habe er geantwortet: „Mei, man muss halt mehr Pilze kennen, dann findet man auch mehr!“
Manchmal reicht aber auch ein guter Tipp von einem Insider. Förster Alfred Hornung hatte Sepp Egerer einmal eine Stelle verraten, an der Tintenschopflinge wachsen – allerdings nur unter der Prämisse, dass er seine Beute mit ihm teile. Für Sepp Egerer war das ein guter Deal, denn „beim Pilze sammeln ist es ja auch ein bisschen so, als würde man einen Schatz suchen“.
Das Körbchen hat sich mittlerweile ansehnlich gefüllt. Ziegenlippen, Braunkappen, Rotfußröhrlinge und sogar ein Parasol liegen darin. Ein Steinpilz – das Fleisch des Waldes, wie Seppis Vater immer gesagt hat – würde den Fund jetzt noch krönen. Alle Hoffnung ruht nun auf jenem verheißungsvollen Fleckchen, an dem Sepp Egerer vor vier Wochen acht prächtige Steinpilze gefunden hatte. Doch als wir nach zweimal links, dreimal rechts und querfeldein durch dichtes Gestrüpp tatsächlich da sind, erwarten uns nur die angefressenen Überreste eines solchen. „Schad’!“, sagt Seppi. Ein bisschen Glückspilz muss man beim Pilze sammeln eben auch sein.
Auf dem Rückweg kommen wir an Täublingen vorbei. „Es gibt den ungenießbaren Speitäubling und den genießbaren Apfeltäubling. Die kann ich aber nicht unterscheiden, deshalb lass ich sie stehen“, sagt er und gibt seinen dritten Ratschlag fürs Pilze sammeln: „Es ist von Vorteil, wenn man sich auskennt.“Dass so mancher Sammler sein Wissen überschätzt, erlebte er erst vor Kurzem, wie er erzählt. Eine Frau sei mit einem Korb voller Pilze zu ihm gekommen, die sie im Wald gesammelt hatte. Die Ausbeute wäre längst im Kochtopf und auf den Tellern der Familie gelandet, hätte ihr Mann nicht Bedenken angemeldet und um Prüfung durch Sepp Egerer gebeten. Das Ergebnis: In dem Korb lag kein einziger essbarer Pilz.