Die Porzellanmacherin
Laura Pöhlmann hat sich mit einer Porzellanmanufaktur selbstständig gemacht. Die Produktdesignerin hat einen ganz eigenen Zugang zu diesem weißen Rohstoff. Ein Werkstattbesuch
Ingolstadt Es ist der Moment der Wahrheit. Der Augenblick, der über Erfolg oder Misserfolg vieler Stunden Arbeit entscheidet. Laura Pöhlmann löst mit ihren schmalen Fingern das schwarze Gummiband, das straff um eine quadratische Gipsform gebunden ist. Sie öffnet den Gipswürfel, indem sie dessen obere Hälfte wie einen Deckel hebt. „Das ist auch für mich ein spannender Moment“, flüstert sie und blickt gespannt in die Form, fast wie ein Kind, das an Weihnachten sein Geschenk auspackt. Ein Lächeln tritt in ihr Gesicht. Die Kugel, die im unteren Teil der Gipsform steckt, ist glatt und rund. Sie nimmt sie heraus, hält sie ins Licht und dreht die Porzellan-Kugel. „Schön, das ist auch für mich eine Premiere“, freut sich die 28-Jährige. Das Porzellanteil soll später einmal einen Christbaum zieren. Bis sie jedoch an einem Zweig baumelt, muss die Kugel aus rohem Porzellan gebrannt, glasiert und noch einmal gebrannt werden.
Porzellan ist ein Rohstoff, der die Menschen seit Jahrhunderten in den Bann zieht. Neben seinem wirtschaftlichen Wert hat Porzellan für viele eine ideelle Bedeutung. Man denke nur an die Porzellanfiguren in Omas Wohnzimmerschrank oder das edle Teeservice, das von Generation zu Generation vererbt wird. Woher Porzellan jedoch kommt, wie es verarbeitet und hergestellt wird, ist vielen unklar, hat Laura Pöhlmann festgestellt. Die 28-jährige Produktdesignerin hat sich im Februar in Ingolstadt selbstständig gemacht und stellt in ihrer kleinen Werkstatt an der Neuburger Straße eigene Porzellan-Kreationen her. „Ich möchte ein Bewusstsein schaffen, das über den alltäglichen Ge- von Porzellan hinausgeht“, erklärt die zierliche Frau, die selbst aus einer Porzellan-Region im Fichtelgebirge stammt.
Nach Angaben des bayerischen Vereins „Porzellanstraße“wird der weiße Rohstoff schon seit Jahrtausenden in China gehandelt, verbreitete sich aber erst im 17. Jahrhundert in Europa. Porzellan gehört zur Gruppe der Feinkeramik und besteht aus drei natürlichen Bestandteilen: Kaolin, Quarz und Feldspat. Es zeichnet sich durch seine glänzende Oberfläche, hellen Klang und Transparenz aus. Was damit gemeint ist, zeigt Laura Pöhlmann in ihrer kleinen Werkstatt: Hält man ein Porzellangefäß zum Beispiel an eine Schreibtischlampe, scheint das Licht hindurch.
Bevor sich die 28-Jährige mit ihrer Manufaktur „tausend320“ selbstständig machte, war sie sechs Jahre lang für einen Audi-Zulieferer als Virtual-Reality-Designerin tätig. Die Firmengründung war ein großer Schritt, sagt sie, „vor allem in Ingolstadt, wo alles sehr teuer ist“. Trotzdem sei sie glücklich mit ihrer Entscheidung, denn seitdem könne sie unabhängig ihre eigenen Ideen verwirklichen. Zum Beispiel ein Milchkännchen, das aussieht wie ein Pinguin. Wenn der Porzellan-Pinguin einmal fertig ist, soll die Milch aus seinem Schnabel in die Tasse fließen. Momentan steht noch ein Plastik-Pinguin aus dem 3D-Drucker auf der hölzernen, mit weißem Staub bedeckten Werkbank. Pöhlmanns Arbeit, von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt, umfasst viele Arbeitsschritte. Am Anfang steht der kreative Entwurf: Dann zeichnet sie mit einem Bleistift sobrauch lange Skizzen, bis sie das richtige Design gefunden hat. Als nächstes wird die Skizze digitalisiert, der Entwurf wird erstmals plastisch und bekommt durch einen 3D-Druck einen festen Körper. Nun kommt das Handwerk ins Spiel, denn um das flüssige Porzellan, den Porzellanschlicker, überhaupt in ein Design fassen zu können, braucht Pöhlmann eine Gipsform. Der Gips entzieht dem Schlicker das Wasser, das Porzellan beginnt im Kontakt mit Gips zu trocknen. Alle Formen baut die Produktdesignerin selber, manche bestehen aus zwei Teilen, komplexe Designs, wie ein Seestern-Eierbecher, sind nur mit mehrgliedrigen Gipsformen umsetzbar. Ist die Form fertig, kann Laura Pöhlmann mit der Produktion beginnen. Dazu gießt sie ihre individuelle Porzellanmixtur in die Gipsschale, verteilt die Masse gleichmäßig und entfernt, sobald die Masse an den Rändern getrocknet ist, den übrigen Schlicker wieder. Ist das Gefäß trocken und stabil, löst Pöhlmann es vorsichtig aus dem Gips und legt es in den Ofen, wo es bei bis zu 950 Grad etwa 18 Stunden gebrannt wird. Im nächsten Schritt verpasst sie dem Produkt die Glasur, die die Oberfläche später so schön glänzen lässt. Tassen der Ingolstädterin haben ein ganz besonderes Merkmal: Auf jeder Glasur hinterlässt Laura Pöhlmann ihre Fingerabdrücke. Nach dem Glasieren kommen die Gefäße noch einmal in den Ofen, diesmal zwischen 30 und 35 Stunden bei rund 1300 Grad. Die Maximalleistung des Ofens, daher der Firmenname, liegt bei 1320 Grad. Das Handwerk, das Laura Pöhlmann in ihrer winzigen Werkstatt – neben Ofen, Werkbank und zwei Regalen passt nicht viel mehr in den Raum – betreibt, ist ein sehr seltenes. Anders als die Produkte der PorzellanIndustrie sind die Stücke der Ingolstädter Manufaktur Unikate. Vom Entwurf bis zur fertigen Tasse stecken hunderte Arbeitsstunden in jedem Produkt. „Ich nehme jede Tasse mindestens 200 Mal in die Hand, bevor sie zum Kunden kommt“, erklärt die Jungunternehmerin. Das macht sich auch am Preis bemerkbar. Zwei Serien hat Pöhlmann bislang auf den Markt gebracht: Eine Tassenkollektion und eine Serie mit dekorativem Tischdesign, bei dem eine handgemachte Porzellan-Butterdose schon einmal 300 Euro kostet. „Diese Serie richtet sich an jemanden, der die Qualität und das Handwerk zu schätzen weiß. Das ist schon beinahe Kunst“, sagt die 28-Jährige fast entschuldigend. „Dafür hat man aber ein Produkt für die Ewigkeit.“