Neuburger Rundschau

Die Porzellanm­acherin

Laura Pöhlmann hat sich mit einer Porzellanm­anufaktur selbststän­dig gemacht. Die Produktdes­ignerin hat einen ganz eigenen Zugang zu diesem weißen Rohstoff. Ein Werkstattb­esuch

- VON THOMAS BALBIERER

Ingolstadt Es ist der Moment der Wahrheit. Der Augenblick, der über Erfolg oder Misserfolg vieler Stunden Arbeit entscheide­t. Laura Pöhlmann löst mit ihren schmalen Fingern das schwarze Gummiband, das straff um eine quadratisc­he Gipsform gebunden ist. Sie öffnet den Gipswürfel, indem sie dessen obere Hälfte wie einen Deckel hebt. „Das ist auch für mich ein spannender Moment“, flüstert sie und blickt gespannt in die Form, fast wie ein Kind, das an Weihnachte­n sein Geschenk auspackt. Ein Lächeln tritt in ihr Gesicht. Die Kugel, die im unteren Teil der Gipsform steckt, ist glatt und rund. Sie nimmt sie heraus, hält sie ins Licht und dreht die Porzellan-Kugel. „Schön, das ist auch für mich eine Premiere“, freut sich die 28-Jährige. Das Porzellant­eil soll später einmal einen Christbaum zieren. Bis sie jedoch an einem Zweig baumelt, muss die Kugel aus rohem Porzellan gebrannt, glasiert und noch einmal gebrannt werden.

Porzellan ist ein Rohstoff, der die Menschen seit Jahrhunder­ten in den Bann zieht. Neben seinem wirtschaft­lichen Wert hat Porzellan für viele eine ideelle Bedeutung. Man denke nur an die Porzellanf­iguren in Omas Wohnzimmer­schrank oder das edle Teeservice, das von Generation zu Generation vererbt wird. Woher Porzellan jedoch kommt, wie es verarbeite­t und hergestell­t wird, ist vielen unklar, hat Laura Pöhlmann festgestel­lt. Die 28-jährige Produktdes­ignerin hat sich im Februar in Ingolstadt selbststän­dig gemacht und stellt in ihrer kleinen Werkstatt an der Neuburger Straße eigene Porzellan-Kreationen her. „Ich möchte ein Bewusstsei­n schaffen, das über den alltäglich­en Ge- von Porzellan hinausgeht“, erklärt die zierliche Frau, die selbst aus einer Porzellan-Region im Fichtelgeb­irge stammt.

Nach Angaben des bayerische­n Vereins „Porzellans­traße“wird der weiße Rohstoff schon seit Jahrtausen­den in China gehandelt, verbreitet­e sich aber erst im 17. Jahrhunder­t in Europa. Porzellan gehört zur Gruppe der Feinkerami­k und besteht aus drei natürliche­n Bestandtei­len: Kaolin, Quarz und Feldspat. Es zeichnet sich durch seine glänzende Oberfläche, hellen Klang und Transparen­z aus. Was damit gemeint ist, zeigt Laura Pöhlmann in ihrer kleinen Werkstatt: Hält man ein Porzellang­efäß zum Beispiel an eine Schreibtis­chlampe, scheint das Licht hindurch.

Bevor sich die 28-Jährige mit ihrer Manufaktur „tausend320“ selbststän­dig machte, war sie sechs Jahre lang für einen Audi-Zulieferer als Virtual-Reality-Designerin tätig. Die Firmengrün­dung war ein großer Schritt, sagt sie, „vor allem in Ingolstadt, wo alles sehr teuer ist“. Trotzdem sei sie glücklich mit ihrer Entscheidu­ng, denn seitdem könne sie unabhängig ihre eigenen Ideen verwirklic­hen. Zum Beispiel ein Milchkännc­hen, das aussieht wie ein Pinguin. Wenn der Porzellan-Pinguin einmal fertig ist, soll die Milch aus seinem Schnabel in die Tasse fließen. Momentan steht noch ein Plastik-Pinguin aus dem 3D-Drucker auf der hölzernen, mit weißem Staub bedeckten Werkbank. Pöhlmanns Arbeit, von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt, umfasst viele Arbeitssch­ritte. Am Anfang steht der kreative Entwurf: Dann zeichnet sie mit einem Bleistift sobrauch lange Skizzen, bis sie das richtige Design gefunden hat. Als nächstes wird die Skizze digitalisi­ert, der Entwurf wird erstmals plastisch und bekommt durch einen 3D-Druck einen festen Körper. Nun kommt das Handwerk ins Spiel, denn um das flüssige Porzellan, den Porzellans­chlicker, überhaupt in ein Design fassen zu können, braucht Pöhlmann eine Gipsform. Der Gips entzieht dem Schlicker das Wasser, das Porzellan beginnt im Kontakt mit Gips zu trocknen. Alle Formen baut die Produktdes­ignerin selber, manche bestehen aus zwei Teilen, komplexe Designs, wie ein Seestern-Eierbecher, sind nur mit mehrgliedr­igen Gipsformen umsetzbar. Ist die Form fertig, kann Laura Pöhlmann mit der Produktion beginnen. Dazu gießt sie ihre individuel­le Porzellanm­ixtur in die Gipsschale, verteilt die Masse gleichmäßi­g und entfernt, sobald die Masse an den Rändern getrocknet ist, den übrigen Schlicker wieder. Ist das Gefäß trocken und stabil, löst Pöhlmann es vorsichtig aus dem Gips und legt es in den Ofen, wo es bei bis zu 950 Grad etwa 18 Stunden gebrannt wird. Im nächsten Schritt verpasst sie dem Produkt die Glasur, die die Oberfläche später so schön glänzen lässt. Tassen der Ingolstädt­erin haben ein ganz besonderes Merkmal: Auf jeder Glasur hinterläss­t Laura Pöhlmann ihre Fingerabdr­ücke. Nach dem Glasieren kommen die Gefäße noch einmal in den Ofen, diesmal zwischen 30 und 35 Stunden bei rund 1300 Grad. Die Maximallei­stung des Ofens, daher der Firmenname, liegt bei 1320 Grad. Das Handwerk, das Laura Pöhlmann in ihrer winzigen Werkstatt – neben Ofen, Werkbank und zwei Regalen passt nicht viel mehr in den Raum – betreibt, ist ein sehr seltenes. Anders als die Produkte der PorzellanI­ndustrie sind die Stücke der Ingolstädt­er Manufaktur Unikate. Vom Entwurf bis zur fertigen Tasse stecken hunderte Arbeitsstu­nden in jedem Produkt. „Ich nehme jede Tasse mindestens 200 Mal in die Hand, bevor sie zum Kunden kommt“, erklärt die Junguntern­ehmerin. Das macht sich auch am Preis bemerkbar. Zwei Serien hat Pöhlmann bislang auf den Markt gebracht: Eine Tassenkoll­ektion und eine Serie mit dekorative­m Tischdesig­n, bei dem eine handgemach­te Porzellan-Butterdose schon einmal 300 Euro kostet. „Diese Serie richtet sich an jemanden, der die Qualität und das Handwerk zu schätzen weiß. Das ist schon beinahe Kunst“, sagt die 28-Jährige fast entschuldi­gend. „Dafür hat man aber ein Produkt für die Ewigkeit.“

 ?? Fotos: Thomas Balbierer ?? Laura Pöhlmanns Handwerk besteht aus drei Phasen: dem kreativen Entwurf, der Herstellun­g der Gipsform und der eigentlich­en Produktion der Porzellans­tücke. Jedes Gefäß wird zweimal gebrannt.
Fotos: Thomas Balbierer Laura Pöhlmanns Handwerk besteht aus drei Phasen: dem kreativen Entwurf, der Herstellun­g der Gipsform und der eigentlich­en Produktion der Porzellans­tücke. Jedes Gefäß wird zweimal gebrannt.
 ??  ?? Nach dem Brand ist Porzellan ein harter Rohstoff. Das Rohmateria­l, der sogenannte Porzellans­chlicker, ist jedoch flüssig und von der Konsistenz her mit Pfannkuche­nteig vergleichb­ar.
Nach dem Brand ist Porzellan ein harter Rohstoff. Das Rohmateria­l, der sogenannte Porzellans­chlicker, ist jedoch flüssig und von der Konsistenz her mit Pfannkuche­nteig vergleichb­ar.
 ??  ?? In den Händen von Laura Pöhlmann ent steht aus dieser grauen Kugel eine Christbaum­kugel.
In den Händen von Laura Pöhlmann ent steht aus dieser grauen Kugel eine Christbaum­kugel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany