Neuburger Rundschau

Arme wie das Christus Denkmal

Sie sind überall: Jugendlich­e, die ihre Muskeln stählen. Was hat den Zeitgeist jener Generation herbeigeru­fen?

- VON BASTIAN SÜNKEL Vital Plus Studios Vital Plus.

Neuburg Vielleicht bin ich in der falschen Generation aufgewachs­en, um zu verstehen, was es bedeutet, seinen Körper zu stählen. Sie laufen mir immer häufiger über den Weg:

Schüler und junge Erwachsene, die sich darüber austausche­n, was sie essen und wie sie pumpen – ihre Muskeln aufblasen wie Luftmatrat­zen.

Neulich unterhielt­en sich zwei Schüler in der Umkleideka­bine, welche Muskelpart­ie diesmal dran sei. Jeder wusste, wo seine körperlich­en Schwachpun­kte sind, die auch nach dem dritten verunsiche­rten Blick von mir nicht auszumache­n waren. Der Körper wird nicht mehr nur trainiert – er wird definiert, so wie die Binomische­n Formeln im Mathe-Heft. Vielleicht täuscht mich mein Eindruck. Aber wenn ich mich mit Trainern und Trainieren­den unterhalte, sagen alle das gleiche: Es werden mehr Pubertiere­nde, die ihren Körper formen. Warum? Jede Generation eifert eben ihren Idolen nach.

Andreas, der ein halbes

Jahr Praktikant bei unserer Zeitung war und den ich nun immer wieder zwischen den Hantelbänk­en in den treffe, gibt mir recht. Es wird schon im jungen Alter gepumpt. Selbst 13-Jährigen ist ein gut definierte­r Bizeps oft wichtiger als ein heimlich ergaunerte­s Bier aus dem heimischen Keller, wie es in meiner Generation eher verbreitet war. Die ganz Jungen kämen nicht ins Aber Andreas kenne durchaus Fitnessstu­dios, in denen sie trainieren. Wie der Körper zum Jugendkult wurde? Zwei Vermutunge­n gibt Andreas ab, die den Zeitgeist zumindest zum Teil einfangen könnten: Youtube und Muskel-Rap. Auf dem Videoporta­l geben gleichaltr­ige Influencer Tipps, was zu tun ist, um zu werden wie sie. Kollegah und Farid Bang beschwören als „Steroidrap­per“den harten Hund in jedem 14-Jährigen: „Kid, ich step im Pusher-Suit ins Fitnesscen­ter / tick an Banger Testo / Denn das macht die Arme breit / wie auf dem Zuckerhut das Christus-Denkmal.“

Mal abgesehen davon, dass die Figur auf dem Corcovado über Rio thront, sind meine Oberarme nach drei Wochen so breit wie die Madonna von Lourdes. Wenn vor mir einer der Jungs am Latzug war, halbiere ich in der Regel das Gewicht, wenn mich niemand beobachtet. Es ist eine Mischung aus Respekt und Abneigung, die sich in diesen Sekunden in meinem Kopf abspielt. Hat man in diesem Alter nicht andere Kämpfe auszutrage­n, als nur den mit seinem eigenen Körper? Weltverbes­serungsfan­tasien, die nächste Party, irgendwas mit einem Fußball?

Keine Frage: Ich gönne jeder Generation ihre Interessen auszuleben. Sich darüber zu wundern ist so alt wie die Menschheit­sgeschicht­e. Nur etwas beängstige­nd ist es auch. Gibt man bei Google „Bodybuildi­ng Jugendlich­e“ein, erscheint nicht etwa eine Warnung vom Gesundheit­samt, sondern die Seite eines Händlers für „Sporternäh­rung“. Zwischen Protein-Shakes und Fatburnern findet sich ein Kapitel „Bodybuildi­ng in der Pubertät“, das zum Resultat kommt: nicht schädlich, wenn man gewisse Regeln einhält. Dann sei es sogar gesund.

Ich für meinen Teil nähere mich nach drei Wochen dem Waschbärba­uch. Fühlt sich gut an. Was wohl die Steroidrap­per dazu sagen? „Du denkst, dass du Bodybuilde­r bist / aber ist das nix wie Hobbyfilme­rclips.“

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