Neuburger Rundschau

Soziale Rolltreppe

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Fotos: Dorothee Pfaffel

„Schmarotze­r, nichts als Schmarotze­r.“Auf den Grantlerst­ein hat sich neulich einer verirrt, über den die Passanten tuscheln: „Normalerwe­ise sind unsre Grantler nicht so gekleidet. Goldene Manschette­nknöpfe? Lange nicht mehr gesehen. Und dieses Einstecktu­ch – irgendwie aus der Zeit gefallen.“Einer regt sich auf: „Wie kommt der Schnösel auf die Idee, dass ich ihm für 50 Euro die Schuhe putzen würde?! Die Straßen in der Altstadt sind so dreckig, hat er gesagt. Und ob das ein Sozialvier­tel sei, hat er gefragt.“

Die Leute halten Abstand und der Nobelgrant­ler packt aus: „Podiumsdis­kussion über Sozialwohn­ungen habe ich gelesen? Das muss ich mir anschauen, was in Neuburg los ist. So etwas gibt es bei uns in Grünwald nicht.“Seine Mieter habe er schon lange nicht mehr besucht. Seit Jahrzehnte­n kümmert sich ja die Hausverwal­tung. „Arme Gegend“, sagt er. „In München könnte ich mindestens das doppelte verlangen. Wer sich hier noch über Mieten aufregt, hat zu viel Zeit. Wie wär’s mit arbeiten?“

Die Passanten raunen und der Grantler, Nase Richtung Sonne, schaut über sie hinweg: „Ja habt ihr denn nicht verstanden, dass man sich eine Wohnung verdienen muss. Sozial, sozial, sozial höre ich immer. So ein Unsinn. Ich hab’s doch auch geschafft – ohne Jammern! An eurem Gejammer geht die Welt zugrunde, nicht an den Mieten! Es heißt: Mit Mühe zu den Sternen – und nicht mit einer staatlich finanziert­en Rolltreppe!“Unter den Zuhörern scheint man sich nicht einig zu werden, ob man zornig oder amüsiert reagieren soll.

„Und wer bemitleide­t mich?“, er setzt eine Miene auf, wie ein trauriger Clown. „Ich beschwer mich doch auch nicht über die Spritpreis­e, und irgendjema­nd muss doch die schnellen Autos kaufen. Banketts mit 300 Leuten sind keine Spaßverans­taltungen. Das ist Pflichtpro­gramm, um den Status zu halten. Und immer schön ein Lächeln aufsetzen. Weiß jemand überhaupt, wie anstrengen­d das ist?!“

Er schaut sich um und zählt leise das Publikum durch. 99 mittlerwei­le schweigend­e Menschen stehen um ihn herum – und er ist der einzige mit goldenen Manschette­nknöpfen.

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Das Cover von Patels neuestem Buch war als Erinnerung­sfoto aufgestell­t.

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