Aufwind für einen „gottverlassenen, aber reizvollen Ort“
Historie Vor 50 Jahren bekam Bertoldsheim nicht nur eine Donaubrücke, sondern auch ein Kraftwerk. Es war das erste zwischen Marxheim und Ingolstadt und diente als Vorlage für drei weitere Anlagen. Vier am Bau beteiligte Arbeiter berichten von ihren Erfahr
Seit einem halben Jahrhundert ist das Laufwasserkraftwerk Bertoldsheim am Netz. Es ist eines von vier baugleichen Kraftwerken, die die DonauWasserkraft AG (DWK), eine Tochter der Rhein-Main-Donau AG (RMD), an dem 38 Kilometer langen Donauabschnitt zwischen der Einmündung des Lechs und Ingolstadt aufgestellt hat. Am 20. Oktober 1967 setzte der damalige Präsident der Deutschen Bundesbahn, Professor Heinz Oefterding, mit einem Knopfdruck die Maschinensätze in Bertoldsheim in Betrieb. 1969 folgte Bittenbrunn, 1970 Bergheim und schließlich im Juni 1971 Ingolstadt. Vier ehemalige Mitarbeiter der DWK, die beim Bau der vier Kraftwerke an der mittleren Donau mit dabei waren, erinnern sich.
Maschinenbau-Ingenieur Manfred von Tubeuf aus Bittenbrunn kennt jeden einzelnen Schritt der riesigen Baumaßnahme und weiß auch über jedes Detail der Kraftwerksanlagen Bescheid. Er war schon damals in Bertoldsheim als Montageleiter mit dabei, später stieg er zum Betriebsleiter der Kraftwerksketten an der Donau und dem Lech auf. Den schnellen Bau und den Erfolg der Kraftwerkskette führt er auf ihre Baugleichheit zurück. Jedes Kraftwerk hat etwa dieselbe Haltungslänge und Wasserführung bei einer Fallhöhe von sieben Metern in Bertoldsheim sowie 7,5 Metern bei den anderen drei Stufen. So konnten alle vier Kraftwerke sowohl in ihren Bauten als auch ihrer Ausstattung identisch geplant werden. Ein riesiger Vorteil, der sich nicht nur in geringeren Kosten, sondern auch beim Bau und schließlich im Betrieb bei der Wartung und Instandsetzung auszahlen sollte. Doch nicht nur die Typisierung war gleich, auch die ausführenden Firmen und Hersteller der technischen Komponenten waren dieselben.
Die Gemeinde Bertoldsheim war stark an dem Kraftwerksbau interessiert und regte „als wesentliches wirtschaftliches Erfordernis“, wie Bürgermeister Georg Margraf am 5. Februar 1964 an die Rhein-MainDonau (RMD) schrieb, den Bau einer zweispurigen Donaubrücke an. Dieser Wunsch wurde erfüllt. Die Gemeinde wünschte sich auch, den See ab 300 Meter oberhalb des Stauwerkes „ohne Staumauern in die möglichste Breite gehen zu lassen“. „Beide, Graf und Gemeinde, würden interessiert sein, den heute gottverlassenen, aber reizvollen Ort im Donautal durch allmählichen Fremdenverkehr langsam aber sicher zu heben“, blickte Margraf hoffnungsvoll in die Zukunft. Die Bauherren führten Grundstücksverhandlungen mit dem Grafen du Moulin und der Gemeinde, Einsprüche, vor allem aus den Reihen der Donaufischer, mussten geprüft und entschieden werden. Weitere Vorarbeiten waren beispielsweise die Untersuchung der Grundwasserverhältnisse, des Sohl- des Querprofils der Donau, Abflussberechnungen, die Ermittlung der Stauhöhe und der daraus resultierenden Höhe der Dämme und nicht zuletzt die Festlegung der Stufenstelle.
Günther Bauch aus Marxheim hatte dabei bereits 1964 in Bertoldsheim seinen ersten Einsatz. Als junger Student half er bei den Vermessungsarbeiten im Stauraum. In der Bauphase der Kraftwerke wurde der Bauingenieur Losbauführer für den Außenbereich, später war er für den Unterhalt der Kraftwerke am Lech der mittleren Donau zuständig. „Eine aufregende Zeit war das. Vor allem, als wir 1965 gegen das Hochwasser zu kämpfen hatten“, schaut er zurück. 40 Jahre lang hielt er der Rhein-Main-Donau AG die Treue.
Das Bertoldsheimer Kraftwerk wurde als erstes errichtet und war somit der Prototyp, an dem man Erfahrungen für den Bau der anderen Werke sammeln konnte. Im August 1965 rückten in Bertoldsheim die Bagger an und legten zuerst die Zufahrten an. Dann wurden Baumaterialien herangeschafft und ein eigegefälles, nes Hüttendorf mit Lagerplätzen und Unterkünften für die Mannschaften errichtet. Auch nach dem Spatenstich konnte noch nicht am Bau des Kraftwerks gearbeitet werden, denn vorher musste eine Arbeitsbrücke über die Donau hergestellt werden. Damit man im Trockenen arbeiten konnte, wurde die Donau zuerst am linken, in Flussrichtung gesehenen, Ufer verbreitert und die unter dem Niveau der Donau liegende Baugrube am rechten Ufer mit Spundwänden umschlossen und ständig durch Pumund pen trockengehalten. Dort baute man zuerst die Bootsschleuse und zwei Wehrfelder. Als diese fertig waren, konnte die Baugrube wieder geflutet werden und die Donau floss über die zwei fertigen Wehre. Nach dem Trockenlegen des linken Abschnitts wurden dort das dritte Wehrfeld und das Kraftwerksgebäude errichtet. Vieles, das beim ersten Kraftwerk benötigt wurde, passte auch für die anderen, so zum Beispiel die Vormontagehalle mit ihren zwei 51-Tonnen-Kränen, die die gleichzeitige Montage der drei Maschinen unter der Beteiligung von vier Firmen erheblich verkürzte. „Auch komplizierte Betonschalungen, wie die für den Saugschlauch, durch den die Wasserführung über die Turbine geht, wurden von einem Kraftwerk zum nächsten geschafft“, erinnert sich Konrad Hermann aus Mauern. Er fing bei der RMD ganz klein als „Magaziner“in der Werkzeugausgabe an. Seine Begeisterung für die Technik ließ ihn bald die Gesellenprüfung und danach die Meisterprüfung als Maschinenbauer ablegen und schließlich die Verantwortung für zehn Kraftwerke übernehmen.
Der Bertoldsheimer Anton Kugler war in Bertoldsheim als Monteur mit dabei. „Es war harte Arbeit. Im Winter wurde durchgearbeitet, wir mussten uns immer wieder bei Temperaturen um minus 17 Grad an mit Koks beheizten alten Ölfässern aufwärmen. Tagelang standen wir beim Schweißen des Rechens am Einlauf in den bereits fertigen Rechenstäben“, sagt er. Ein sicherer Arbeitsplatz war ihm das wert. Die Arbeiten wurden von rund 200 Arbeitern meistens in zwei Schichten rund um die Uhr ausgeführt. Der Lohn lag bei etwa zwei Mark pro Stunde. „Man hat sich schon bewähren müssen. Wer aus der Fabrik oder Feinmechanik kam, hat bald wieder aufgehört“, blickt Kugler zurück. Geplant waren 30 Monate Bauzeit je Stufe. „Die Bauzeiten haben sich mehr und mehr verringert. In Bertoldsheim dauerte es noch gut 26 Monate bis zur Inbetriebnahme der ersten Maschine, in Ingolstadt benötigten wir vom Spatenstich bis zur ersten Schaltung nur noch 23 Monate und überraschten sogar die Bahn, die ihre Anschlussleitungen noch gar nicht fertig hatte“, erinnert er sich. Auch er machte bei der DWK und später bei der RMD als Tauchmeister Karriere.
Nach 50 Jahren fast ununterbrochenem Betrieb darf man das Bertoldsheimer Kraftwerk zu Recht als „Dauerläufer“bezeichnen. Mit seinen drei Kaplanturbinen mit einem Laufraddurchmesser von 5,35 Metern und einer Drehzahl von 76,9 Umdrehungen pro Minute sowie drei Einphasenwechselstromgeneratoren mit einer Leistung von jeweils 9000 kVA erzeugte es rund 5,8 Millionen Kilowattstunden Ökostrom, der in das Stromnetz der Deutschen Bundesbahn eingespeist wird. Wasserkraft sei ständig verfügbar, optimal regelbar und speicherbar, ist Tubeuf von der umweltfreundlichen, regenerativen und verlässlichen Energiequelle überzeugt. Allein in Bertoldsheim wird so viel Strom erzeugt, dass gleichzeitig 20 ICE-Züge fahren können, weiß er. Die Kraftwerkskette wurde 1992 mit dem Vohburger Kraftwerk erweitert. Dafür musste genauso viel Geld aufgewendet werden, wie für die vier früheren Werke zusammen, ist der Ingenieur heute noch auf die Leistung der Mitarbeiter beim Bau der vier Werke stolz.