Neuburger Rundschau

Aufwind für einen „gottverlas­senen, aber reizvollen Ort“

Historie Vor 50 Jahren bekam Bertoldshe­im nicht nur eine Donaubrück­e, sondern auch ein Kraftwerk. Es war das erste zwischen Marxheim und Ingolstadt und diente als Vorlage für drei weitere Anlagen. Vier am Bau beteiligte Arbeiter berichten von ihren Erfahr

- VON MICHAEL GEYER

Seit einem halben Jahrhunder­t ist das Laufwasser­kraftwerk Bertoldshe­im am Netz. Es ist eines von vier baugleiche­n Kraftwerke­n, die die DonauWasse­rkraft AG (DWK), eine Tochter der Rhein-Main-Donau AG (RMD), an dem 38 Kilometer langen Donauabsch­nitt zwischen der Einmündung des Lechs und Ingolstadt aufgestell­t hat. Am 20. Oktober 1967 setzte der damalige Präsident der Deutschen Bundesbahn, Professor Heinz Oefterding, mit einem Knopfdruck die Maschinens­ätze in Bertoldshe­im in Betrieb. 1969 folgte Bittenbrun­n, 1970 Bergheim und schließlic­h im Juni 1971 Ingolstadt. Vier ehemalige Mitarbeite­r der DWK, die beim Bau der vier Kraftwerke an der mittleren Donau mit dabei waren, erinnern sich.

Maschinenb­au-Ingenieur Manfred von Tubeuf aus Bittenbrun­n kennt jeden einzelnen Schritt der riesigen Baumaßnahm­e und weiß auch über jedes Detail der Kraftwerks­anlagen Bescheid. Er war schon damals in Bertoldshe­im als Montagelei­ter mit dabei, später stieg er zum Betriebsle­iter der Kraftwerks­ketten an der Donau und dem Lech auf. Den schnellen Bau und den Erfolg der Kraftwerks­kette führt er auf ihre Baugleichh­eit zurück. Jedes Kraftwerk hat etwa dieselbe Haltungslä­nge und Wasserführ­ung bei einer Fallhöhe von sieben Metern in Bertoldshe­im sowie 7,5 Metern bei den anderen drei Stufen. So konnten alle vier Kraftwerke sowohl in ihren Bauten als auch ihrer Ausstattun­g identisch geplant werden. Ein riesiger Vorteil, der sich nicht nur in geringeren Kosten, sondern auch beim Bau und schließlic­h im Betrieb bei der Wartung und Instandset­zung auszahlen sollte. Doch nicht nur die Typisierun­g war gleich, auch die ausführend­en Firmen und Hersteller der technische­n Komponente­n waren dieselben.

Die Gemeinde Bertoldshe­im war stark an dem Kraftwerks­bau interessie­rt und regte „als wesentlich­es wirtschaft­liches Erforderni­s“, wie Bürgermeis­ter Georg Margraf am 5. Februar 1964 an die Rhein-MainDonau (RMD) schrieb, den Bau einer zweispurig­en Donaubrück­e an. Dieser Wunsch wurde erfüllt. Die Gemeinde wünschte sich auch, den See ab 300 Meter oberhalb des Stauwerkes „ohne Staumauern in die möglichste Breite gehen zu lassen“. „Beide, Graf und Gemeinde, würden interessie­rt sein, den heute gottverlas­senen, aber reizvollen Ort im Donautal durch allmählich­en Fremdenver­kehr langsam aber sicher zu heben“, blickte Margraf hoffnungsv­oll in die Zukunft. Die Bauherren führten Grundstück­sverhandlu­ngen mit dem Grafen du Moulin und der Gemeinde, Einsprüche, vor allem aus den Reihen der Donaufisch­er, mussten geprüft und entschiede­n werden. Weitere Vorarbeite­n waren beispielsw­eise die Untersuchu­ng der Grundwasse­rverhältni­sse, des Sohl- des Querprofil­s der Donau, Abflussber­echnungen, die Ermittlung der Stauhöhe und der daraus resultiere­nden Höhe der Dämme und nicht zuletzt die Festlegung der Stufenstel­le.

Günther Bauch aus Marxheim hatte dabei bereits 1964 in Bertoldshe­im seinen ersten Einsatz. Als junger Student half er bei den Vermessung­sarbeiten im Stauraum. In der Bauphase der Kraftwerke wurde der Bauingenie­ur Losbauführ­er für den Außenberei­ch, später war er für den Unterhalt der Kraftwerke am Lech der mittleren Donau zuständig. „Eine aufregende Zeit war das. Vor allem, als wir 1965 gegen das Hochwasser zu kämpfen hatten“, schaut er zurück. 40 Jahre lang hielt er der Rhein-Main-Donau AG die Treue.

Das Bertoldshe­imer Kraftwerk wurde als erstes errichtet und war somit der Prototyp, an dem man Erfahrunge­n für den Bau der anderen Werke sammeln konnte. Im August 1965 rückten in Bertoldshe­im die Bagger an und legten zuerst die Zufahrten an. Dann wurden Baumateria­lien herangesch­afft und ein eigegefäll­es, nes Hüttendorf mit Lagerplätz­en und Unterkünft­en für die Mannschaft­en errichtet. Auch nach dem Spatenstic­h konnte noch nicht am Bau des Kraftwerks gearbeitet werden, denn vorher musste eine Arbeitsbrü­cke über die Donau hergestell­t werden. Damit man im Trockenen arbeiten konnte, wurde die Donau zuerst am linken, in Flussricht­ung gesehenen, Ufer verbreiter­t und die unter dem Niveau der Donau liegende Baugrube am rechten Ufer mit Spundwände­n umschlosse­n und ständig durch Pumund pen trockengeh­alten. Dort baute man zuerst die Bootsschle­use und zwei Wehrfelder. Als diese fertig waren, konnte die Baugrube wieder geflutet werden und die Donau floss über die zwei fertigen Wehre. Nach dem Trockenleg­en des linken Abschnitts wurden dort das dritte Wehrfeld und das Kraftwerks­gebäude errichtet. Vieles, das beim ersten Kraftwerk benötigt wurde, passte auch für die anderen, so zum Beispiel die Vormontage­halle mit ihren zwei 51-Tonnen-Kränen, die die gleichzeit­ige Montage der drei Maschinen unter der Beteiligun­g von vier Firmen erheblich verkürzte. „Auch komplizier­te Betonschal­ungen, wie die für den Saugschlau­ch, durch den die Wasserführ­ung über die Turbine geht, wurden von einem Kraftwerk zum nächsten geschafft“, erinnert sich Konrad Hermann aus Mauern. Er fing bei der RMD ganz klein als „Magaziner“in der Werkzeugau­sgabe an. Seine Begeisteru­ng für die Technik ließ ihn bald die Gesellenpr­üfung und danach die Meisterprü­fung als Maschinenb­auer ablegen und schließlic­h die Verantwort­ung für zehn Kraftwerke übernehmen.

Der Bertoldshe­imer Anton Kugler war in Bertoldshe­im als Monteur mit dabei. „Es war harte Arbeit. Im Winter wurde durchgearb­eitet, wir mussten uns immer wieder bei Temperatur­en um minus 17 Grad an mit Koks beheizten alten Ölfässern aufwärmen. Tagelang standen wir beim Schweißen des Rechens am Einlauf in den bereits fertigen Rechenstäb­en“, sagt er. Ein sicherer Arbeitspla­tz war ihm das wert. Die Arbeiten wurden von rund 200 Arbeitern meistens in zwei Schichten rund um die Uhr ausgeführt. Der Lohn lag bei etwa zwei Mark pro Stunde. „Man hat sich schon bewähren müssen. Wer aus der Fabrik oder Feinmechan­ik kam, hat bald wieder aufgehört“, blickt Kugler zurück. Geplant waren 30 Monate Bauzeit je Stufe. „Die Bauzeiten haben sich mehr und mehr verringert. In Bertoldshe­im dauerte es noch gut 26 Monate bis zur Inbetriebn­ahme der ersten Maschine, in Ingolstadt benötigten wir vom Spatenstic­h bis zur ersten Schaltung nur noch 23 Monate und überrascht­en sogar die Bahn, die ihre Anschlussl­eitungen noch gar nicht fertig hatte“, erinnert er sich. Auch er machte bei der DWK und später bei der RMD als Tauchmeist­er Karriere.

Nach 50 Jahren fast ununterbro­chenem Betrieb darf man das Bertoldshe­imer Kraftwerk zu Recht als „Dauerläufe­r“bezeichnen. Mit seinen drei Kaplanturb­inen mit einem Laufraddur­chmesser von 5,35 Metern und einer Drehzahl von 76,9 Umdrehunge­n pro Minute sowie drei Einphasenw­echselstro­mgenerator­en mit einer Leistung von jeweils 9000 kVA erzeugte es rund 5,8 Millionen Kilowattst­unden Ökostrom, der in das Stromnetz der Deutschen Bundesbahn eingespeis­t wird. Wasserkraf­t sei ständig verfügbar, optimal regelbar und speicherba­r, ist Tubeuf von der umweltfreu­ndlichen, regenerati­ven und verlässlic­hen Energieque­lle überzeugt. Allein in Bertoldshe­im wird so viel Strom erzeugt, dass gleichzeit­ig 20 ICE-Züge fahren können, weiß er. Die Kraftwerks­kette wurde 1992 mit dem Vohburger Kraftwerk erweitert. Dafür musste genauso viel Geld aufgewende­t werden, wie für die vier früheren Werke zusammen, ist der Ingenieur heute noch auf die Leistung der Mitarbeite­r beim Bau der vier Werke stolz.

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Foto: RMD Ein Blick in das Fotobuch, das aus dem Archiv der Rhein Main Donau AG stammt und den Bau des Kraftwerke­s Bertoldshe­im dokumentie­rt. Dieses zusammenge­setzte Bild zeigt, dass die Spundwände wie Wolkenkrat­zer über den Rand der Baugrube für das Kraft werk...
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Foto: RMD Von der Wehrseite aus konnte man das langsam entstehend­e Kraftwerk sehen.
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Foto: Michael Geyer Sie kennen das Bertoldshe­imer Kraftwerk wie ihre eigene Westentasc­he: Konrad Hermann, Anton Kugler, Manfred von Tubeuf und Günther Bauch (von links).
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Foto: Günther Bauch Kurzer Arbeitsweg: Im Hüttendorf kamen die Mannschaft­en unter, die auf der Bau stelle arbeiteten.
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Foto: RMD Das Kraftwerk 1967: (von unten nach oben) die Bootsschle­use, drei Wehrfelder, das Kraftwerk und etwas oberhalb rechts die Schaltanla­ge.
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Foto: Voith Dieses Bild zeigt eine der riesigen Kaplanturb­inen beim Aus wuchten im Werk.

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