Jamaika auch in Niedersachsen?
Die Grünen halten sich in Hannover alle Türen offen
Hannover Die Wahl ist gelaufen, die Suche nach einer neuen Regierungskoalition eröffnet: Nach dem Aus für Rot-Grün und der Absage der Liberalen an eine Ampel mit SPD und Grünen kann der Sozialdemokrat Stephan Weil nur Ministerpräsident bleiben, wenn er die CDU für eine Große Koalition gewinnt. Alternativ dazu halten sich die Grünen auch die Option auf eine JamaikaKoalition mit der Union und der FDP offen. „Wir stehen für Gesprä- che mit allen zur Verfügung“, sagte ihre Spitzenkandidatin Monika Piel. Eine Große Koalition würde Stillstand bedeuten, betonte auch die Landesvorsitzende der Grünen, Meta Janssen-Kucz. „Und Stillstand befördert Unzufriedenheit – und damit die Rechtspopulisten.“
Nach dem vorläufigen Endergebnis wurde Rot-Grün knapp abgewählt, vor allem wegen deutlicher Verluste der Grünen. Gegen eine Ampel spricht aus Sicht der FDP, dass sie in einer Regierung mit den Sozialdemokraten und den Grünen als reine Mehrheitsbeschafferin an die Wand gedrückt würde. Er sehe in einer solchen Konstellation auch keine Chance für einen Neustart, etwa in der Bildungspolitik, betonte der Landesvorsitzende der Liberalen, Stefan Birkner.
Ein Porträt von Stephan Weil lesen Sie auf Meinung & Dialog. Wie das politische Berlin auf die Wahl reagiert, steht in der
Berlin Jens Spahn weiß nun ganz genau, wie Wahlen gewonnen werden. Vor Ort informierte sich der ehrgeizige Finanz-Staatssekretär, der in der CDU längst für höhere Aufgaben gehandelt wird, am Sonntag über die Rezepte eines erfolgreichen Wahlkampfes. Allerdings nicht in Hannover, wo die CDU bei ihrem Versuch scheiterte, stärkste politische Kraft in Niedersachsen zu werden. Sondern in Wien – bei der Schwesterpartei ÖVP und deren Erfolgsgaranten Sebastian Kurz. Mit Folgen: Am Montag wird Spahn nicht müde, vor und hinter den Kulissen über Kurz zu schwärmen, der es geschafft habe, mit einem klaren konservativen Profil die ÖVP zur stärksten politischen Kraft zu machen. Davon könne und müsse sich die CDU einiges abschauen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel blickt nach Österreich. Schon am Sonntagabend hat sie mit dem Wahlsieger telefoniert, am Montag lobt sie ausdrücklich die Kampagne des künftigen Regierungschefs. Er habe einen modernen Wahlkampf geführt und „sehr energisch“seine Partei umgekrempelt, sagt sie, zieht aber völlig andere Schlüsse als Spahn und andere in der Union, die nun ein klares konservatives Profil fordern: Deutschland sei nicht Österreich, die Herausforde- durch die AfD sei „überschaubar“im Vergleich zu der durch die FPÖ in Österreich, und im Übrigen habe man die Probleme nicht schon gelöst, „wenn man es so macht wie in Österreich“. Vieles in der Flüchtlingspolitik sei zwischen ihr und Kurz nicht umstritten, „die Differenzen sind eher rhetorischer Natur“, sagt Merkel diplomatisch.
Spahn und Merkel stehen am Montag für die unterschiedlichen Schlüsse, welche die Union aus dem Ergebnis der Niedersachsen- und der Österreich-Wahl zieht. Das Rumoren in der Partei ist unüberhörbar, immer lauter wird die Kritik am Kurs der Kanzlerin. „Das unbeirrbare Weiter-So der CDU irritierte die konservative Wählerschaft, während eher links orientierte Wäh- ler in Niedersachsen sich für das Original entschieden haben“, sagt der bisherige stellvertretende Unionsfraktionschef Georg Nüsslein im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das muss Generalsekretär Tauber und andere, die immer über die Erneuerung der CDU in der sogenannten Mitte fabulieren, zum Nachdenken bringen.“
Andere in der Union werden hinter vorgehaltener Hand noch deutlicher. In der deutlich geschrumpften Fraktion gärt es, viele werfen Merkel vor, sich der Realität zu verweigern, die Klatsche bei der Bundestagswahl schönzureden und keine Konsequenzen daraus ziehen zu wollen. Das habe der Wähler in Niedersachsen abgestraft. Manche sprechen gar von einem „Merkelrung Malus“. Das aber wollen weder die CDU-Chefin noch ihre Getreuen auf sich sitzen lassen.
In absoluten Zahlen habe die CDU im Vergleich zur letzten Wahl in Niedersachsen 2013 nur 119 Stimmen verloren, die Zufriedenheit der Wähler mit der rot-grünen Landesregierung sei hoch gewesen. Ein Rechtsruck sei „schlicht das falsche Signal“, sagt der neue Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Diese Forderung höre sich gut an, „aber was heißt das für die faktische Politik?“, fragt er, um gleich seine Antwort zu geben: „Die Menschen wollen Probleme gelöst haben.“
So sieht es auch Angela Merkel. Ihren Kritikern wirft sie vor, in der Öffentlichkeit schlecht über den EU-Türkei-Deal zu reden, obwohl dieser einen „Wendepunkt“in der Flüchtlingspolitik darstelle. „Das hemmt uns, das hat uns gehemmt, das müssen wir aufarbeiten.“Aus diesem Grund gehe sie aber nicht geschwächt in die am morgigen
Hinter den Kulissen wird von ÖVP Chef Kurz geschwärmt
Mittwoch beginnenden Sondierungen mit den Grünen und der FDP, sagt Merkel. „In diese Sondierungsgespräche gehe ich sehr selbstbewusst mit meinen Freunden von CDU und CSU.“Man werde „fair“verhandeln, allerdings durchaus in dem Selbstverständnis, die stärkste politische Kraft in diesem Lande zu sein. Sie halte nichts davon, schon im Vorfeld mit „irgendwelchen roten Linien“die Gespräche zu erschweren.
Liberale und Grüne halten sich am Montag auffällig zurück. Dass ausgerechnet die drei Parteien der Jamaika-Koalition in Niedersachsen Stimmen eingebüßt haben, habe ausschließlich landespolitische Gründe, heißt es in beiden Parteien. Für die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter, werden die kommenden Gespräche mit Union und FDP durch die Niedersachsenwahl nicht einfacher. CDU und CSU hätten „keine klare Linie“.