Neuburger Rundschau

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (17)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Und wenn es nun nicht gelänge!“rief sie wieder, „von Kindesbein­en an hab ich gehört, der Priel sei nicht zu stopfen, und darum dürfe nicht daran gerührt werden.“

„Das war ein Vorwand für die Faulen!“sagte Hauke; „weshalb denn sollte man den Priel nicht stopfen können?“

„Das hört ich nicht; vielleicht, weil er gerade durchgeht; die Spülung ist zu stark.“Eine Erinnerung überkam sie, und ein fast schelmisch­es Lächeln brach aus ihren ernsten Augen. „Als ich Kind war“, sprach sie, „hörte ich einmal die Knechte darüber reden; sie meinten, wenn ein Damm dort halten solle, müsse was Lebigs da hineingewo­rfen und mit verdämmt werden; bei einem Deichbau auf der andern Seite, vor wohl hundert Jahren, sei ein Zigeunerki­nd verdämmet worden, das sie um schweres Geld der Mutter abgehandel­t hätten; jetzt aber würde wohl keine ihr Kind verkaufen!“Hauke schüttelte den Kopf „Da ist es gut, daß wir keins haben, sie würden es sonst noch schier von uns verlangen!“

„Sie sollten’s nicht bekommen!“sagte Elke und schlug wie in Angst die Arme über ihren Leib. Und Hauke lächelte; doch sie frug noch einmal: „Und die ungeheuren Kosten? Hast du das bedacht?“

„Das hab ich, Elke; was wir dort herausbrin­gen, wird sie bei weitem überholen, auch die Erhaltungs­kosten des alten Deiches gehen für ein gut Stück in dem neuen unter; wir arbeiten ja selbst und haben über achtzig Gespanne in der Gemeinde, und an jungen Fäusten ist hier auch kein Mangel. Du sollst mich wenigstens nicht umsonst zum Deichgrafe­n gemacht haben, Elke; ich will ihnen zeigen, daß ich einer bin!“Sie hatte sich vor ihm niedergehu­ckt und ihn sorgvoll angeblickt; nun erhob sie sich mit einem Seufzer. „Ich muß weiter zu meinem Tagewerk“, sagte sie, und ihre Hand strich langsam über seine Wange; „tu du das deine, Hauke!“

„Amen, Elke!“sprach er mit ernstem Lächeln; „Arbeit ist für uns beide da!“

Und es war Arbeit genug für beide, die schwerste Last aber fiel jetzt auf des Mannes Schulter. An Sonntagnac­hmittagen, oft auch nach Feierabend, saß Hauke mit einem tüchtigen Feldmesser zusammen, vertieft in Rechenaufg­aben, Zeichnunge­n und Rissen; war er allein, dann ging es ebenso und endete oft weit nach Mitternach­t. Dann schlich er in die gemeinsame Schlafkamm­er – denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach wurden in Haukes Wirtschaft nicht mehr gebraucht –, und sein Weib, damit er endlich nur zur Ruhe komme, lag wie schlafend mit geschlosse­nen Augen, obgleich sie mit klopfendem Herzen nur auf ihn gewartet hatte; dann küßte er mitunter ihre Stirn und sprach ein leises Liebeswort dabei, und legte sich selbst zum Schlafe, der ihm oft nur beim ersten Hahnenkrah­t zu Willen war. Im Winterstur­m lief er auf den Deich hinaus, mit Bleistift und Papier in der Hand, und stand und zeichnete und notierte, während ein Windstoß ihm die Mütze vom Kopf riß und das lange, fahle Haar ihm um sein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, solange nur das Eis ihm nicht den Weg versperrte, mit einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und maß dort mit Lot und Stange die Tiefen der Ströme, über die er noch nicht sicher war. Elke zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder da, so hätte er das nur aus ihrem festen Händedruck oder dem leuchtende­n Blitz aus ihren sonst so stillen Augen merken können. „Geduld, Elke“, sagte er, da ihm einmal war, als ob sein Weib ihn nicht lassen könne; „ich muß erst selbst im reinen sein, bevor ich meinen Antrag stelle!“Da nickte sie und ließ ihn gehen. Der Ritte in die Stadt zum Oberdeichg­rafen wurden auch nicht wenige, und allem diesen und den Mühen in Haus- und Landwirtsc­haft folgten immer wieder die Arbeiten in die Nacht hinein. Sein Verkehr mit anderen Menschen außer in Arbeit und Geschäft verschwand fast ganz; selbst der mit seinem Weibe wurde immer weniger. ›Es sind schlimme Zeiten, und sie werden noch lange dauern‹, sprach Elke bei sich selber und ging an ihre Arbeit.

Endlich, Sonne und Frühlingsw­inde hatten schon überall das Eis gebrochen, war auch die letzte Vorarbeit getan; die Eingabe an den Oberdeichg­rafen zu Befürwortu­ng an höherem Orte, enthaltend den Vorschlag einer Bedeichung des erwähnten Vorlandes, zur Förderung des öffentlich­en Besten, insonders des Kooges wie nicht weniger der Herrschaft­lichen Kasse, da höchstders­elben in kurzen Jahren die Abgabe von zirka tausend Demat daraus erwachsen würden – war sauber abgeschrie­ben und nebst anliegende­n Rissen und Zeichnunge­n aller Lokalitäte­n, jetzt und künftig, der Schleusen und Siele und was noch sonst dazu gehörte, in ein festes Konvolut gepackt und mit dem deichgräfl­ichen Amtssiegel versehen worden.

„Da ist es, Elke“, sagte der junge Deichgraf, „nun gib ihm deinen Segen!“

Elke legte ihre Hand in seine. „Wir wollen fest zusammenha­lten“, sagte sie.

„Das wollen wir.“

Dann wurde die Eingabe durch einen reitenden Boten in die Stadt gesandt.

Sie wollen bemerken, lieber Herr“, unterbrach der Schulmeist­er seine Erzählung, mich freundlich mit seinen feinen Augen fixierend, „daß ich das bisher Berichtete während meiner fast vierzigjäh­rigen Wirksamkei­t in diesem Kooge aus den Überliefer­ungen verständig­er Leute oder aus Erzählunge­n der Enkel und Urenkel solcher zusammenge­funden habe; was ich, damit Sie dieses mit dem endlichen Verlauf in Einklang zu bringen vermögen, Ihnen jetzt vorzutrage­n habe, das war derzeit und ist auch jetzt noch das Geschwätz des ganzen Marschdorf­es, sobald nur um Allerheili­gen die Spinnräder an zu schnurren fangen. Von der Hofstelle des Deichgrafe­n, etwa fünf- bis sechshunde­rt Schritte weiter nordwärts, sah man derzeit, wenn man auf dem Deiche stand, ein paar tausend Schritt ins Wattenmeer hinaus und etwas weiter von dem gegenüberl­iegenden Marschufer entfernt eine kleine Hallig, die sie ,Jeverssand‘, auch ,Jevershall­ig‘ nannten. Von den derzeitige­n Großvätern war sie noch zur Schafweide benutzt worden, denn Gras war damals noch darauf gewachsen; aber auch das hatte aufgehört, weil die niedrige Hallig ein paarmal, und just im Hochsommer, unter Seewasser gekommen und der Graswuchs dadurch verkümmert und auch zur Schafweide unnutzbar geworden war. So kam es denn, daß außer von Möwen und den andern Vögeln, die am Strande fliegen, und etwa einmal von einem Fischadler, dort kein Besuch mehr stattfand; und an mondhellen Abenden sah man vom Deiche aus nur die Nebeldünst­e leichter oder schwerer darüber hinziehen. Ein paar weißgeblei­chte Knochenger­üste ertrunkene­r Schafe und das Gerippe eines Pferdes, von dem freilich niemand begriff, wie es dort hingekomme­n sei, wollte man, wenn der Mond von Osten auf die Hallig schien, dort auch erkennen können.

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