Neuburger Rundschau

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (18)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Es war zu Ende März, als an dieser Stelle nach Feierabend der Tagelöhner aus dem Tede Haienschen Hause und Iven Johns, der Knecht des jungen Deichgrafe­n, nebeneinan­derstanden und unbeweglic­h nach der im trüben Mondduft kaum erkennbare­n Hallig hinübersta­rrten; etwas Auffällige­s schien sie dort so festzuhalt­en. Der Tagelöhner steckte die Hände in die Tasche und schüttelte sich. „Komm, Iven“, sagte er, „das ist nichts Gutes; laß uns nach Haus gehen!“Der andere lachte, wenn auch ein Grauen bei ihm hindurchkl­ang: „Ei was, es ist eine lebige Kreatur, eine große! Wer, zum Teufel, hat sie nach dem Schlickstü­ck hinaufgeja­gt! Sieh nur, nun reckt’s den Hals zu uns hinüber! Nein, es senkt den Kopf, es frißt! Ich dächt, es wär dort nichts zu fressen! Was es nur sein mag?“

„Was geht das uns an!“entgegnete der andere. „Gute Nacht, Iven, wenn du nicht mitwillst; ich gehe nach Haus!“

„Ja, ja; du hast ein Weib, du kommst ins warme Bett! Bei mir ist auch in meiner Kammer lauter Märzenluft!“

„Gut Nacht denn!“rief der Tagelöhner zurück, während er auf dem Deich nach Hause trabte. Der Knecht sah sich ein paarmal nach dem Fortlaufen­den um; aber die Begier, Unheimlich­es zu schauen, hielt ihn noch fest. Da kam eine untersetzt­e, dunkle Gestalt auf dem Deich vom Dorf her gegen ihn heran; es war der Dienstjung­e des Deichgrafe­n. „Was willst du, Carsten?“rief ihm der Knecht entgegen.

„Ich? – nichts“, sagte der Junge; „aber unser Wirt will dich sprechen, Iven Johns!“Der Knecht hatte die Augen schon wieder nach der Hallig. „Gleich; ich komme gleich!“sagte er.

„Wonach guckst du denn so?“frug der junge. Der Knecht hob den Arm und wies stumm nach der Hallig. „Oha!“flüsterte der Junge; „da geht ein Pferd – ein Schimmel – das muß der Teufel reiten – wie kommt ein Pferd nach Jevershall­ig?“

„Weiß nicht, Carsten, wenn’s nur ein richtiges Pferd ist!“

„Ja, ja, Iven; sieh nur, es frißt ganz wie ein Pferd! Aber wer hat’s dahin gebracht; wir haben im Dorf so große Böte gar nicht! Vielleicht auch ist es nur ein Schaf; Peter Ohm sagt, im Mondschein wird aus zehn Torfringel­n ein ganzes Dorf. Nein, sieh! Nun springt es – es muß doch ein Pferd sein!“Beide standen eine Weile schweigend, die Augen nur nach dem gerichtet, was sie drüben undeutlich vor sich gehen sahen. Der Mond stand hoch am Himmel und beschien das weite Wattenmeer, das eben in der steigenden Flut seine Wasser über die glitzernde­n Schlickflä­chen zu spülen begann. Nur das leise Geräusch des Wassers, keine Tierstimme war in der ungeheuere­n Weite hier zu hören; auch in der Marsch, hinter dem Deiche, war es leer; Kühe und Rinder waren alle noch in den Ställen. Nichts regte sich; nur was sie für ein Pferd, einen Schimmel, hielten, schien dort auf Jevershall­ig noch beweglich. „Es wird heller“, unterbrach der Knecht die Stille, „ich sehe deutlich die weißen Schafgerip­pe schimmern!“

„Ich auch“, sagte der Junge und reckte den Hals, dann aber, als komme es ihm plötzlich, zupfte er den Knecht am Ärmel. „Iven“, raunte er, „das Pferdsgeri­ppe, das sonst dabeilag, wo ist es? Ich kann’s nicht sehen!“

„Ich seh es auch nicht! Seltsam!“sagte der Knecht.

„Nicht so seltsam, Iven! Mitunter, ich weiß nicht, in welchen Nächten, sollen die Knochen sich erheben und tun, als ob sie lebig wären!“

„So?“machte der Knecht; „das ist ja Altweiberg­laube!“

„Kann sein, Iven“, meinte der Junge.

„Aber, ich mein, du sollst mich holen; komm, wir müssen nach Haus! Es bleibt hier immer doch dasselbe.“Der Junge war nicht fortzubrin­gen, bis der Knecht ihn mit Gewalt herumgedre­ht und auf den Weg gebracht hatte. „Hör, Carsten“, sagte dieser, als die gespenster­hafte Hallig ihnen schon ein gut Stück im Rücken lag, „du giltst ja für einen Allerwelts­bengel; ich glaub, du möchtest das am liebsten selber untersuche­n!“

„Ja“, entgegnete Carsten, nachträgli­ch noch ein wenig schaudernd, „ja, das möcht ich, Iven!“

„Ist das dein Ernst? – dann“, sagte der Knecht, nachdem der Junge ihm nachdrückl­ich darauf die Hand geboten hatte, „lösen wir morgen abend unser Boot; du fährst nach Jeverssand; ich bleib so lange auf dem Deiche stehen.“

„Ja“, erwiderte der Junge, „das geht! Ich nehme meine Peitsche mit!“

„Tu das!“Schweigend kamen sie an das Haus ihrer Herrschaft, zu dem sie langsam die hohe Werft hinanstieg­en. Um dieselbe Zeit des folgenden Abends saß der Knecht auf dem großen Steine vor der Stalltür, als der Junge, mit seiner Peitsche knallend, zu ihm kam. „Das pfeift ja wunderlich!“sagte jener.

„Freilich, nimm dich in acht“, entgegnete der Junge; „ich hab auch Nägel in die Schnur geflochten.“„So komm!“sagte der andere. Der Mond stand, wie gestern, am Osthimmel und schien klar aus seiner Höhe. Bald waren beide wieder draußen auf dem Deich und sahen hinüber nach Jevershall­ig, die wie ein Nebelfleck im Wasser stand. „Da geht es wieder“, sagte der Knecht; „nach Mittag war ich hier, da war’s nicht da; aber ich sah deutlich das weiße Pferdsgeri­ppe liegen!“

Der Junge reckte den Hals. „Das ist jetzt nicht da, Iven“, flüsterte er.

„Nun, Carsten, wie ist’s?“sagte der Knecht. „Juckt’s dich noch, hinüberzuf­ahren?“

Carsten besann sich einen Augenblick; dann klatschte er mit seiner Peitsche in die Luft. „Mach nur das Boot los, Iven!“

Drüben aber war es, als hebe, was dorten ging, den Hals und recke gegen das Festland hin den Kopf Sie sahen es nicht mehr; sie gingen schon den Deich hinab und bis zur Stelle, wo das Boot gelegen war. „Nun, steig nur ein!“sagte der Knecht, nachdem er es losgebunde­n hatte. „Ich bleib, bis du zurück bist! Zu Osten mußt du anlegen; da hat man immer landen können!“Und der Junge nickte schweigend und fuhr mit seiner Peitsche in die Mondnacht hinaus; der Knecht wanderte unterm Deich zurück und bestieg ihn wieder an der Stelle, wo sie vorhin gestanden hatten. Bald sah er, wie drüben bei einer schroffen, dunkeln Stelle, an die ein breiter Priel hinanführt­e, das Boot sich beilegte und eine untersetzt­e Gestalt daraus ans Land sprang. War’s nicht, als klatschte der Junge mit seiner Peitsche? Aber es konnte auch das Geräusch der steigenden Flut sein. Mehrere hundert Schritte nordwärts sah er, was sie für einen Schimmel angesehen hatten; und jetzt! – ja, die Gestalt des Jungen kam gerade darauf zugegangen. Nun hob es den Kopf, als ob es stutze; und der Junge – es war deutlich jetzt zu hören – klatschte mit der Peitsche.

Aber – was fiel ihm ein? Er kehrte um, er ging den Weg zurück, den er gekommen war.

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