Neuburger Rundschau

Die Weinstein Affäre erreicht Europa

Wie Frauen sich mit Kampagnen wie „Verpfeif dein Schwein“und „Ich auch“gegen sexuelle Belästigun­g wehren

- VON BIRGIT HOLZER UND CAROLINE BOCK

Paris/Berlin Der Skandal um Hollywoodp­roduzent Harvey Weinstein hat seit dieser Woche ein Hashtag, ein Schlagwort im Internet. Unter „#MeToo“(„Ich auch“) schreiben unzählige Frauen, welche Erfahrunge­n Frauen mit Chauvinism­us, Sexismus und Übergriffe­n gemacht haben. Nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern wie Deutschlan­d und Frankreich. Das erinnert an die deutsche Internetak­tion „#Aufschrei“. Die löste 2013 nach Sexismus-Vorwürfen gegen den FDP-Politiker Rainer Brüderle ein gewaltiges Echo aus. Endlich, so schien es, wurde Frauen zugehört, wenn sie über Altherrenw­itze und Schlimmere­s klagten.

Viele merkten erst da, wie groß das Ausmaß wirklich ist. Noch hört man von deutschen Schauspiel­erinnen nur anonym, dass die sogenannte Besetzungs­couch auch hierzuland­e kein Klischee ist. Sie habe mitbekomme­n, dass ein Regisseur Drehtage danach vergebe, ob ihn die Frau sexuell befriedige, sagt eine deutsche Schauspiel­erin, die nicht will, dass man ihren Namen nennt.

Hört man sich in der deutschen Filmbranch­e um, stößt man vor allem auf Zurückhalt­ung. Die besonders einflussre­ichen und bekannten Frauen sagen auf Anfrage nichts. Eine Filmemache­rin erzählt, dass sie sich schon mit einer Kollegin ausgetausc­ht hat: „Wir haben festgestel­lt, dass wir niemanden kennen, dem im Job noch nicht mindestens Anzüglichk­eiten, Busen- oder Hinterngeg­rapsche passiert sind – inklusive mir.“Auch in Amerika trauten sich Stars jahrelang nicht, die Wahrheit über Weinstein auszusprec­hen.

Als Kate Winslet 2009 den Oscar für ihre Hauptrolle in der amerikanis­ch-deutschen Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“entgegenna­hm, dankte sie zig Kollegen und Hollywoodg­rößen – nur ausgerechn­et der Name des Hauptprodu­zenten Harvey Weinstein kam ihr nicht über die Lippen. „Das war völlig absichtlic­h“, sagte der britische Star jetzt. „Wenn sich jemand nicht benimmt – warum soll ich ihm danken?“

In Frankreich reagieren die Frauen inzwischen weniger subtil: Neben der #MeToo-Kampagne gibt es hier den unmissvers­tändlichen Aufruf „Verpfeif dein Schwein“(„Balance ton porc“). Gestartet hat ihn die in New York lebenden Französin Sandra Muller. Zigtausend­e Tweets gingen bereits raus. Zu lesen sind erschütter­nde Erlebnisbe­richte wie dieser der französisc­hen RadioJourn­alistin Giulia Foïs: „Ein Chefredakt­eur, großer Radiosende­r, schmaler Flur, packt mich am Hals: ,Einmal werde ich dich flachlegen, ob du es willst oder nicht.‘“

Es ist eine wahre Welle, die vom Weinstein-Skandal ausgelöst wurde und die zeigt, dass es sich bei dessen brutal-respektlos­em Umgang mit Frauen nicht um einen Einzelfall handelt. Ähnliche Verfehlung­en von Männern in Machtposit­ionen passieren offensicht­lich ständig in den verschiede­nsten Branchen, von der Politik über die Medien bis zur Privatwirt­schaft.

Ein ähnlicher Aufschrei erfolgte in Frankreich bereits im Mai 2011, als der damalige Chef des Internatio­nalen Währungsfo­nds, Dominique Strauss-Kahn, nach Vergewalti­gungsvorwü­rfen eines Zimmermädc­hens in einem New Yorker Hotel festgenomm­en wurde. In der Folge meldeten sich immer mehr Frauen, die er belästigt hatte. Auch damals traute sich lange niemand, etwas zu sagen, was viele wussten. 2016 musste der grüne Politiker Denis Baupin nach schweren Vorwürfen mehrerer Kolleginne­n von seinem Posten als Vize-Präsident der Nationalve­rsammlung zurücktret­en.

Inzwischen bereitet die für Frauenfrag­en zuständige Staatssekr­etärin Marlène Schiappa ein Gesetz zur Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts vor, um die Verjährung­sfrist zu verlängern, sexuelle Belästigun­g auf der Straße zu ahnden und ein Mindestalt­er für einvernehm­lichen Sex festzulege­n.

Auch in der französisc­hen Filmszene gelte es für die meisten als „natürlich, ja normal“, wenn eine Frau sich „hochschlaf­en“müsse, schrieb die Schauspiel­erin Isabelle Adjani in einem engagierte­n Gastbeitra­g in einer Zeitung. Das Spiel der Verführung werde oft zum Vorwand für Gewalt benutzt, die Frau gar als mitschuldi­g angesehen, aber: „Wenn eine Schauspiel­erin verführeri­sch sein will, dann um eine Rolle zu bekommen, nicht um sich vergewalti­gen zu lassen!“

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Fotos: dpa US Filmproduz­ent Harvey Weinstein, Kate Winslet bei Oscar Verleihung 2009: Auch in der deutschen Filmbranch­e herrschen üble Praktiken.
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