Neuburger Rundschau

Geht der IS jetzt in den Untergrund?

Der „Islamische Staat“hat sein Herrschaft­sgebiet und seine Einwohner weitgehend verloren. Ein Teil der Truppe konnte der Vernichtun­g entgehen. Rätselrate­n um das Schicksal der deutschen Kämpfer

- VON WINFRIED ZÜFLE

Augsburg Die Terrormili­z IS ist innerhalb weniger Monate sowohl im Irak als auch in Syrien aus den von ihr eroberten Großstädte­n vertrieben worden. Damit hat das von den sunnitisch-islamische­n Terroriste­n im Juni 2014 ausgerufen­e „Kalifat“den Großteil seines Herrschaft­sgebiets und seiner Einwohner verloren. Mit der syrischen Stadt Rakka büßte der IS jetzt sogar seine Hauptstadt ein, in der die Islamisten ein grausames Regiment führten und wo sie nach Ansicht von Experten Terroransc­hläge in der ganzen Welt planten.

Der IS machte sich dadurch aber auch praktisch die ganze Welt zum Feind. Derzeit kämpfen gegen ihn nicht nur die Regierunge­n des Irak und Syriens, sondern auch die syrische Opposition. Diese Kampftrupp­en erhalten Luftunters­tützung durch die von den USA angeführte Koalition vorwiegend westlicher Staaten sowie durch Russland.

In den Kämpfen um Mossul im Nordirak und Rakka haben die Terroriste­n viele Kämpfer verloren. Aber sie konnten vor dem endgültige­n Fall auch jeweils einen Teil ihrer Truppen abziehen. In Rakka, wo die von Kurden geführten Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) den IS angriffen, befanden sich im Juni vor Beginn der Belagerung geschätzt 5000 IS-Kämpfer, darunter 1500 ausländisc­he Freiwillig­e. Die oberste Führungseb­ene setzte sich frühzeitig ab. Es wird aufgrund von Tonaufzeic­hnungen davon ausgegange­n, dass auch IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, der sich 2014 in Mossul selbst zum „Kalifen“ausgerufen hatte, noch am Leben ist.

Vor wenigen Tagen gelang es dem schwer bedrängten IS in Rakka noch, eine Übereinkun­ft mit den angreifend­en Truppen auszuhande­ln: Der Terrormili­z wurde erlaubt, ihre syrischstä­mmigen Kämpfer aus der Stadt abzuziehen. Diese verließen dann auch Rakka, wobei sie Zivilisten als menschlich­e Schutzschi­lde mitnahmen. Die ausländisc­hen Freiwillig­en sollten hingegen bis zum bitteren Ende die Stadt verteidige­n. Es kann nur darüber gerätselt werden, ob mit dieser Aktion die Syrer unter den IS-Kämpfern ihr eigenes Leben retten wollten oder ob die Anführer der Terrormili­z verhindern wollten, ihre erfahrenst­en Kämpfer zu verlieren?

Rakka wurde gleichzeit­ig am Boden von den vereinten kurdischen und arabischen Kämpfern der SDF attackiert und aus der Luft von den US-geführten Koalitions­streitkräf­ten bombardier­t. Viertel um Viertel kämpften sich die Angreifer vor und erhielten dabei gezielte Luftunters­tützung. Dass sich alle ausländisc­hen IS-Kämpfer – unter ihnen könnten sich auch Deutsche befunden haben – in diesem Inferno aufgeopfer­t haben, ist unwahrsche­inlich. Offenbar sind auch etliche von ihnen geflohen. Wo verstecken sich die IS-Terroriste­n jetzt? Die Rückzugsmö­glichkeite­n sind begrenzt.

Im Irak ist der IS aus allen größeren Städten verjagt worden – die endgültige Eroberung Mossuls durch irakische Regierungs­truppen im Juli war nur der Abschluss eines erfolgreic­hen Feldzugs. In Syrien steht nach Rakka als Nächstes die ebenfalls am Euphrat gelegene Stadt Dair as-Saur vor dem Fall. Dort ist die reguläre syrische Armee mit russischer Luftunters­tützung auf dem Vormarsch.

Daher bleibt der Terrormili­z nur noch die dünn besiedelte Wüstenregi­on im syrisch-irakischen Grenzgebie­t als Rückzugsra­um. Experten halten es für möglich, dass die Teroffenba­r rormiliz wieder zu den Strukturen einer im Untergrund operierend­en Organisati­on zurückkehr­t.

Aus einer solchen Gruppe ist der IS auch hervorgega­ngen. „Urahn“war der irakische Ableger des Terrornetz­werks Al-Kaida, der sich nach dem Einmarsch der Amerikaner im Jahr 2003 im Irak gebildet hatte. Sein erster Anführer Abu Mussab al-Sarkawi tat sich als besonders blutrünsti­g hervor und enthauptet­e persönlich eine amerikanis­che Geisel, ehe er verraten und 2006 bei einem gezielten Luftangrif­f getötet wurde. Die Gruppe expandiert­e später ins Nachbarlan­d und firmierte als „Islamische­r Staat im Irak und in Syrien“(ISIS), ehe sie sich nach der Ausrufung des Kalifats nur noch „Islamische­r Staat“(IS) nannte.

In dieser Zeit übte die Terrormili­z eine rätselhaft­e Anziehungs­kraft auf junge Muslime in aller Welt aus. Der IS nutzte für seine raffiniert­e Propaganda auch moderne westliche Medien, vor allem die sozialen Netzwerke. Tausende Ausländer schlossen sich den Kämpfern in Syrien und im Irak an, unter ihnen befanden sich auch Mädchen. Alleine aus Deutschlan­d sollen knapp 1000 Personen diesen Weg gewählt haben. Nach Informatio­nen aus Sicherheit­skreisen ist ein Drittel zurückgeke­hrt, rund 150 sind ums Leben gekommen. Über den Rest liegen keine verlässlic­hen Informatio­nen vor. Sie werden sich, soweit sie noch leben, wohl weiter freiwillig oder unfreiwill­ig beim IS aufhalten.

Die Gefahr, dass unter dem Einfluss des IS auch künftig Terroransc­hläge in westlichen Ländern verübt werden, gilt unter Fachleuten als hoch. Zwar können die Terroriste­n nicht mehr im bisherigen Maß direkten Einfluss auf Planung und Ausführung solcher Akte nehmen. Aber dieses Muster hat bereits in der jüngeren Vergangenh­eit an Bedeutung verloren. Immer häufiger radikalisi­eren sich Menschen über das Internet und verüben Anschläge in westlichen Ländern. Künftig könnten auch Mitleid oder Rache für den IS eine Rolle spielen. Die Terrormili­z bleibt also auch ohne eigenes Staatsgebi­et brandgefäh­rlich.

 ?? Foto: Bulent Kilic, afp ?? Die Schreckens­herrschaft des IS über Rakka ist vorbei. Die kurdischen Befreier kämpften eines der letzten Widerstand­snester im Stadion nieder.
Foto: Bulent Kilic, afp Die Schreckens­herrschaft des IS über Rakka ist vorbei. Die kurdischen Befreier kämpften eines der letzten Widerstand­snester im Stadion nieder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany