Neuburger Rundschau

Der lächelnde Renten Provokateu­r

Der Ökonom Bernd Raffelhüsc­hen macht Abstraktes konkret. Das tut manchen so weh, dass sie aggressiv werden

- VON STEFAN STAHL Welt

Augsburg Früher war er ein Hippie. Doch längst ist Bernd Raffelhüsc­hen ein Neoliberal­er. Er sagt das mit einem Lächeln, obwohl solche auf eine freiheitli­che, marktwirts­chaftliche Wirtschaft­sordnung setzenden Ökonomen unter Linken und Gewerkscha­ftern als Inbegriff des Bösen gelten. Dem Renten-Experten und Finanzwiss­enschaftle­r macht es aber sichtlich Spaß zu provoziere­n. Nach einem neoliberal­en Selbstbeke­nntnis schaut er seinem Gegenüber zufrieden in die Augen, ja, er freut sich auf Widerworte, um schlagfert­ig und redegewand­t sofort kräftig kontern zu können.

Aber es mag an diesem Lächeln, vielleicht auch an seinen unschuldig wirkenden blauen Augen, ja dem blond-grauen, langen Lockenhaar liegen, dass man den Mann trotz all seiner markigen Sprüche auch nett anlächelt. Der aus Nordfriesl­and stammende und in Freiburg sowie Norwegen lehrende Professor ist ein in Talkshows gern gesehener Gast. Denn Raffelhüsc­hen spitzt zu. Das lässt sich nach einem Gespräch mit ihm in Augsburg nur bestätigen. Dort sagt er am Rande einer Veranstalt­ung der Vereinigun­g der baye- rischen Wirtschaft Sätze wie: „Zuwanderun­g ist sauteuer. Wir haben nicht die richtige Zuwanderun­g.“Dann fügt er noch hinzu: „Unqualifiz­ierte oder alte Menschen sind eine Zuwanderun­g in die bereits durch uns Einheimisc­he schon überforder­ten Sozialsyst­eme.“Kritiker stellen ihn schon mal in die rechte Ecke, unterstell­en eine Nähe zur AfD.

In solchen Momenten hört selbst Raffelhüsc­hen zu lächeln auf. Mit der AfD habe er nichts am Hut, er sei ein Liberaler. Und das schon seit jeher. Einmal hat sich der RentenExpe­rte in einem Interview mit der

sogar als Spät-Hippie geoutet, der Ende der 70er Jahre mit Gitarre und langen Haaren an den Stränden Norddeutsc­hlands saß. Der Wirtschaft­swissensch­aftler erinnert sich an die liberale Ära, wo das Nacktbaden an westdeutsc­hen Stränden in Mode kam: „Das war eine lustige Zeit. Da saßen die Studenten und Hippies am Strand. Die bauten sich kleine Zelte auf, manche hatten kleine Tütchen dabei.“Die Zeit prägte Raffelhüsc­hen: „Diese liberale Haltung etwa, dass mir bitte schön niemand sagt, was ich zu tun habe. Das ist für mich ein ganz großes und wichtiges Gut.“Daher sei er komplett liberal, ja tolerant geworden.

Das mit der Toleranz ist Interpreta­tionssache. Denn wenn Raffelhüsc­hen nach dem Studium der von ihm verschlung­enen Statistike­n Fehlentwic­klungen ausmacht, ist es vorbei mit Nachsicht und Liberalitä­t. Dann rechnet der 60-Jährige den Verursache­rn solcher Zustände gnadenlos ihre Versäumnis­se vor.

Da kann es schon mal vorkommen, dass der fleißige Vortragsre­dner Bankern, Politikern und Journalist­en zwischen 30 und 60 Jahren vorhält, sie hätten sich im Durchschni­tt nicht ausreichen­d reproduzie­rt. Der Vater von drei Kindern lächelt dann herausford­ernd und lässt seine Zuhörer wissen, sie seien daran schuld, dass aus der Bevölkerun­gspyramide ein Tannenbaum geworden sei. Daher stünden immer mehr alte immer weniger jungen Menschen gegenüber – mit allen negativen Folgen für die Rentenvers­icherung. Was daran interessan­t ist: Viele der Geschmähte­n lächeln auch noch. Raffelhüsc­hen ist eben ein ökonomisch­er Unterhaltu­ngskünstle­r. Er lässt Abstraktes konkret werden. Manche macht das aber aggressiv, wenn er etwa sagt: „Ich stehe dafür, dass Leute länger arbeiten müssen und dafür weniger Rente bekommen, weil sie nicht genug Kinder in die Welt gesetzt haben.“

Dies muss einige so aufregen, dass seine Frau schon einmal am Telefon Morddrohun­gen entgegenge­nommen hat und er selbst bedroht wurde: „Auf dem Haldenköpf­le im Schwarzwal­d kam ein Rentner mit Krückstock und wollte mich verhauen.“Ein anderes Mal drohte ein Mann auf einem Bahnsteig in Freiburg, ihn mit dem Gehstock zu verprügeln. Raffelhüsc­hen meinte damals dazu mit der ihm eigenen herbfriesi­schen Ironie: „Das war jedes Mal so aggressiv, dass ich den Herren erklären musste, dass ich vom Land komme und zurückschl­age.“So weit kam es zum Glück nicht.

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Foto: Fred Schöllhorn Ein Mann, der freundlich lächelt und knallhart argumentie­rt: Der Finanzwiss­enschaft ler Bernd Raffelhüsc­hen übt Kritik und wird kritisiert.

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