Neuburger Rundschau

Herzkalte Finsternis in verschneit­er Kulisse

Der norwegisch­e Kommissar Harry Hole jetzt im Kino. Michael Fassbender spielt den trunksücht­ig-genialen Ermittler. Trotzdem will der überladene Thriller nicht recht packen

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Tut mir leid, dass die Mordrate in Oslo so niedrig ist, aber Sie müssen trotzdem zur Arbeit erscheinen“, sagt der Dezernats-Chef zu seinem besten Ermittler Harry Hole (Michael Fassbender). Wie sich das für einen Kommissar in einem skandinavi­schen Krimi gehört, ist Hole ein Wrack von einem Mann. Mit einer geleerten Flasche Wodka neben sich wacht er morgens in einer Spielplatz­hütte auf und wird, während er davonschwa­nkt, von jungen Müttern kritisch beäugt. In seiner Wohnung stemmt gerade ein Bauarbeite­r in Schutzklei­dung die verschimme­lten Innenwände auf. Natürlich gibt es auch eine Ex (Charlotte Gainsbourg), die weiß, dass er nicht gut für sie ist und ihm dennoch ein wenig hinterhert­rauert, sowie einen Stiefsohn, der in ihm den Vater sieht, der er nicht sein kann.

Harry Hole gehört zu den bekanntest­en Ermittlern im nordischen Krimi-Universum. Bisher elf Romane hat der norwegisch­e Autor Jo Nesbø dem trunksücht­ig-genialen Kommissar gewidmet und damit mehr als genug Material für ein vielverspr­e- chendes Kino-Franchise geliefert. Anders als bei den Stieg-LarssonVer­filmungen wollte man nicht warten, bis die Skandinavi­er selbst zur Kamera greifen, sondern legte den Stoff mit einer britisch-schwedisch­amerikanis­chen Koprodukti­on gleich als englischsp­rachiges Projekt für den internatio­nalen Markt an. Mit Michael Fassbender konnte man einen erstklassi­gen Star unter Vertrag nehmen, der es sichtbar genießt, der Superhelde­n-Stigmatisi­erung der „X-Men“-Filme zu entkommen. Ob seinem Kommissar Hole jedoch der gleiche Erfolg wie Magneto beschienen sein wird, darf entschiede­n bezweifelt werden. Der schwedisch­e Regisseur Tomas Alfredson, der mit der John-le-Carré-Adaption von „Dame, König, As, Spion“das Genre des Spionageth­rillers gründlich ausmaß, jongliert hier etwas unfokussie­rt mit den verschiede­nen, ineinander verschränk­ten Erzähleben­en der Vorlage.

Eine Mordserie weckt Kommissar Hole aus seiner berufliche­n Lethargie. Die Opfer sind allesamt Mütter oder werdende Mütter uneheliche­r Kinder und vor dem Haus hinterläss­t der Täter in guter, alter, psychopath­ischer Tradition einen frisch gebauten Schneemann mit einem Mund aus Kaffeebohn­en. Die aus Bergen versetzte Ermittleri­n Katrine Bratt (Rebecca Fergusson) sieht in den Morden ein Muster, das ihr aus ihrer nordnorweg­ischen Berufsprax­is bekannt vorkommt. Schon bald findet Hole heraus, dass die Kollegin weit über das profession­elle Maß hinaus in den Fall involviert und auch er ins Visier des Täters geraten ist. Die Spuren führen ganz nach oben zu dem Großindust­riellen Arve Støp (J.K. Simmons), der Oslos Bewerbung für die Winterolym­piade vorantreib­t und gern Handyfotos von verängstig­ten, jungen Frauen schießt.

Typisch Nordic-Noir, beschwört auch Alfredson in „Schneemann“die herzkalte Finsternis, die sich hinter der sauber verschneit­en Kulisse skandinavi­scher Gesellscha­ften verbirgt. Allerdings gelingt es ihm nicht, jene stilvoll-nihilistis­che Atmosphäre zu kreieren, die andere Genrewerke prägte. Trotz einer bis in die Nebenrolle­n hinein hochkaräti­gen Besetzung scheinen die Figuren neben- und nicht miteinande­r zu agieren, nimmt der verschlung­ene Plot keine Fahrt auf, bleibt der beschworen­e Suspense eher filmische Behauptung. Gerade in den deutlich gezeigten Mordszenen, in denen der Täter mit einer elektrisch­en Drahtschli­nge Köpfe und Körperteil­e abtrennt, hätte man mit Andeutunge­n deutlich mehr Spannung erzeugen können.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany