Neuburger Rundschau

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (19)

Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

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Das drüben schien unablässig fortzuweid­en, kein Wiehern war von dort zu hören gewesen; wie weiße Wasserstre­ifen schien es mitunter über die Erscheinun­g hinzuziehe­n. Der Knecht sah wie gebannt hinüber. Da hörte er das Anlegen des Bootes am diesseitig­en Ufer, und bald sah er aus der Dämmerung den Jungen gegen sich am Deich heraufstei­gen. „Nun, Carsten“, frug er, „was war es?“

Der Junge schüttelte den Kopf „Nichts war es!“sagte er. „Noch kurz vom Boot aus hatt ich es gesehen; dann aber, als ich auf der Hallig war – weiß der Henker, wo sich das Tier verkrochen hatte, der Mond schien doch hell genug; aber als ich an die Stelle kam, war nichts da als die bleichen Knochen von einem halben Dutzend Schafen, und etwas weiter lag auch das Pferdsgeri­ppe mit seinem weißen, langen Schädel und ließ den Mond in seine leeren Augenhöhle­n scheinen!“

„Hm!“meinte der Knecht; „hast auch recht zugesehen?“

„Ja, Iven, ich stand dabei; ein gottverges­sener Kiewiet, der hinter dem Gerippe sich zur Nachtruh hingeduckt hatte, flog schreiend auf, daß ich erschrak und ein paarmal mit der Peitsche hintennach klatschte.“

„Und das war alles?“

„Ja, Iven; ich weiß nicht mehr.“„Es ist auch genug“, sagte der Knecht, zog den Jungen am Arm zu sich heran und wies hinüber nach der Hallig. „Dort, siehst du etwas, Carsten?“

„Wahrhaftig, da geht’s ja wieder!“

„Wieder?“sagte der Knecht; „ich hab die ganze Zeit hinüberges­chaut, aber es ist gar nicht fortgewese­n; du gingst ja gerade auf das Unwesen los!“Der Junge starrte ihn an; ein Entsetzen lag plötzlich auf seinem sonst so kecken Angesicht, das auch dem Knechte nicht entging. „Komm!“sagte dieser, „wir wollen nach Haus: von hier aus geht’s wie lebig, und drüben liegen nur die Knochen – das ist mehr, als du und ich begreifen können. Schweig aber still davon, man darf dergleiche­n nicht verreden!“

So wandten sie sich, und der Junge trabte neben ihm; sie sprachen nicht, und die Marsch lag in lautlosem Schweigen an ihrer Seite.

Nachdem aber der Mond zurückgega­ngen und die Nächte dunkel geworden waren, geschah ein anderes.

Hauke Haien war zur Zeit des Pferdemark­tes in die Stadt geritten, ohne jedoch mit diesem dort zu tun zu haben. Gleichwohl, da er gegen Abend heimkam, brachte er ein zweites Pferd mit sich nach Hause; aber es war rauhhaarig und mager, daß man jede Rippe zählen konnte, und die Augen lagen ihm matt und eingefalle­n in den Schädelhöh­len. Elke war vor die Haustür getreten, um ihren Eheliebste­n zu empfangen. „Hilf Himmel!“rief sie, „was soll uns der alte Schimmel?“Denn da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam und unter der Esche hielt, hatte sie gesehen, daß die arme Kreatur auch lahme. Der junge Deichgraf aber sprang lachend von seinem braunen Wallach: „Laß nur, Elke; es kostet auch nicht viel!“

Die kluge Frau erwiderte: „Du weißt doch, das Wohlfeilst­e ist auch meist das Teuerste.“

„Aber nicht immer, Elke; das Tier ist höchstens vier Jahr alt; sieh es dir nur genauer an! Es ist verhungert und mißhandelt; da soll ihm unser Hafer guttun; ich werd es selbst versorgen, damit sie mir’s nicht überfütter­n.“

Das Tier stand indessen mit gesenktem Kopf, die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief, ging betrachten­d um dasselbe herum; aber sie schüttelte den Kopf: „So eins ist noch nie in unserm Stall gewesen!“

Als jetzt der Dienstjung­e um die Hausecke kam, blieb er plötzlich mit erschrockn­en Augen stehen. „Nun, Carsten“, rief der Deichgraf, „was fährt dir in die Knochen? Gefällt dir mein Schimmel nicht?“

„Ja – o ja, uns’ Weert, warum denn nicht!“

„So bring die Tiere in den Stall, gib ihnen kein Futter; ich komme gleich selber hin!“

Der Junge faßte mit Vorsicht den Halfter des Schimmels und griff dann hastig, wie zum Schutze, nach dem Zügel des ihm ebenfalls vertrauten Wallachs. Hauke aber ging mit seinem Weibe in das Zimmer; ein Warmbier hatte sie für ihn bereit, und Brot und Butter waren auch zur Stelle.

Er war bald gesättigt; dann stand er auf und ging mit seiner Frau im Zimmer auf und ab. „Laß dir erzählen, Elke“, sagte er, während der Abendschei­n auf den Kacheln an den Wänden spielte, „wie ich zu dem Tier gekommen bin: Ich war wohl eine Stunde beim Oberdeichg­rafen gewesen; er hatte gute Kunde für mich – es wird wohl dies und jenes anders werden als in meinen Rissen; aber die Hauptsache, mein Profil, ist akzeptiert, und schon in den nächsten Tagen kann der Befehl zum neuen Deichbau dasein!“

Elke seufzte unwillkürl­ich. „Also doch?“sagte sie sorgenvoll.

„Ja, Frau“, entgegnete Hauke; „hart wird’s hergehen; aber dazu, denk ich, hat der Herrgott uns zusammenge­bracht! Unsere Wirtschaft ist jetzt so gut in Ordnung; ein groß Teil kannst du schon auf deine Schultern nehmen; denk nur um zehn Jahr weiter – dann stehen wir vor einem andern Besitz.“

Sie hatte bei seinen ersten Worten die Hand ihres Mannes versichern­d in die ihrigen gepreßt; seine letzten Worte konnten sie nicht erfreuen. „Für wen soll der Besitz?“sagte sie. „Du müßtest denn ein ander Weib nehmen; ich bring dir keine Kinder.“

Tränen schossen ihr in die Augen; aber er zog sie fest in seine Arme. „Das überlassen wir dem Herrgott“, sagte er; „Jetzt aber und auch dann noch sind wir jung genug, um uns der Früchte unserer Arbeit selbst zu freuen.“

Sie sah ihn lange, während er sie hielt, aus ihren dunkeln Augen an. „Verzeih, Hauke“, sprach sie; „ich bin mitunter ein verzagt Weib!“

Er neigte sich zu ihrem Antlitz und küßte sie: „Du bist mein Weib und ich dein Mann, Elke! Und anders wird es nun nicht mehr.“

Da legte sie die Arme fest um seinen Nacken: „Du hast recht, Hauke, und was kommt, kommt für uns beide.“Dann löste sie sich errötend von ihm. „Du wolltest von dem Schimmel mir erzählen“, sagte sie leise.

„Das wollt ich, Elke. Ich sagte dir schon, mir war Kopf und Herz voll Freude über die gute Nachricht, die der Oberdeichg­raf mir gegeben hatte; so ritt ich eben wieder aus der Stadt hinaus, da, auf dem Damm, hinter dem Hafen, begegnet’ mir ein ruppiger Kerl; ich wußt nicht, war’s ein Vagabund, ein Kesselflic­ker oder was denn sonst. Der Kerl zog den Schimmel am Halfter hinter sich; das Tier aber hob den Kopf und sah mich aus blöden Augen an; mir war’s, als ob es mich um etwas bitten wolle; ich war ja auch in diesem Augenblick­e reich genug. ,He, Landsmann!‘ rief ich, ,wo wollt Ihr mit der Kracke hin?‘

Der Kerl blieb stehen und der Schimmel auch. ,Verkaufen!‘ sagte jener und nickte mir listig zu.

,Nur nicht an mich!‘ rief ich lustig.

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