Neuburger Rundschau

Tag verdrängt Nacht

Wie? Du trinkst nichts? Keinen Satz hat unser Autor in den vergangene­n vier Wochen seines abstinente­n Sportprogr­amms öfter gehört. Er bleibt eisern, aber die nüchterne Realität macht es ihm nicht leicht

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg Langsam hat sich das Experiment an meinem eigenen Körper herumgespr­ochen. Ich bekomme in regelmäßig­en Abständen Motivation­snachricht­en, Beileidsbe­kundungen und hintergrün­dige Fragen zu meiner Kolumne gestellt. In zehn Wochen sich nicht mehr hinter meinen Speckrolle­n verstecken zu müssen, ist ein Projekt, das der Großteil meines Freundeskr­eises so nicht von mir erwartet hätte. Ich glaube in sentimenta­len Momenten sogar, dass sich nähere und fernere Bekannte auch aus dem Grund mit mir abgegeben haben, weil sie neben mir sportliche­r aussahen. Aber das kann ich nicht beweisen.

Als ich in Köln meine alten Studienfre­unde zum Jahrestref­fen besucht habe, blieben Jan-Dirk und ich nüchtern. Jan-Dirk ist Antialkoho­liker. Ich habe bei solchen Gelegenhei­ten immer getrunken. JanDirk und ich verstehen uns gut seit wir uns vor zehn Jahren kennengele­rnt haben, würde ich behaupten. Er hat trockenen, norddeutsc­hen Humor. Aber nach vier Wochen Abstinenz kann ich immer noch nicht nachvollzi­ehen, wie es ein Mensch in Deutschlan­d schafft, dem Alkohol gänzlich zu entsagen, wenn er nicht davor einmal abhängig gewesen war.

Alkohol ist omnipräsen­t. Ich hab schon mit wildfremde­n Menschen im Bordbistro des ICE getrunken, habe Leute bei einem Bier kennengele­rnt, die nicht mehr aus meinem Leben verschwund­en sind. Fängt der gemütliche Teil des Abends an, hat man in meiner fränkische­n Heimat Bier aus dem Keller geholt, im Studienort Kassel Dosenbier aus dem Edeka, im Arbeitsleb­en eisgekühlt­es Flaschenbi­er vom Kellner an der Bar anrichten lassen. Zum Wohl.

Zweifellos fragen mich Leute seltener, warum ich kein Brot zu meinem Salat oder Nudeln zu der Gemüsesoße esse, als: Warum trinkst du nichts? Jan-Dirk zuckt dann mit den Schultern: kein Bock. Neulich hat Philipp, als ich an einem Abend in Bayreuth war, mir Frauengesc­hichten erzählt. Nach wenigen Minuten schüttelt er den Kopf: „Darüber brauch’ ich mit dir nicht reden. Du bist nüchtern.“Mein Vater hat mir geschriebe­n, dass er froh ist, dass nicht alle Menschen so denken wie ich. Sonst wäre er arbeitslos. Er arbeitet in der Bierbranch­e. Und Paul, der Barkeeper meiner Stammkneip­e, hat darüber philosophi­ert, dass jeder in bestimmten Lebensphas­en eine Entscheidu­ng trifft: Tag- oder Nachtmensc­h. Ich habe nun keine Wahl mehr.

Er hat recht. Mein Oberkörper ist in sich zusammenge­schrumpft wie nasse Schafwolle im Trockner. Nach zwei Wochen waren es bereits knapp fünf Kilo. Meine Mitbewohne­r feiern mein schmales Gesicht. Der Schuster im Neuburger Reparaturl­aden hat meinem Gürtel ein neues Loch verpasst. Er ist schon wieder zu weit. Aber die Freude am Weggehen, die dionysisch­e, zwanglose, befreite Seite des Lebens habe ich nach vier Wochen Körperfixi­erung gänzlich verloren. Ich bin der Tag und die Nacht hat sich aus meiner Welt verabschie­det. Nachts bin ich müde. Tagsüber ausgeglich­en. Das hört sich vordergrün­dig gut an, ist aber in Wirklichke­it auch ziemlich langweilig.

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Foto: Bastian Sünkel Barbetrieb auf der Sportseite? Das ist neu. Tatsächlic­h vermisst unser Autor, der in seinem Selbstvers­uch unter anderem zehn Wochen auch auf Alkohol verzichtet, jene Abende ohne Zwänge.

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